Tiertransporte aus der EU in Drittstaaten – eine juristische Odyssee (Teil II)

Tiere, die unter extremen Wetterbedingungen tagelang in LKWs aus der EU in ferne Länder transportiert werden. Halb verdurstet und überhitzt. Lämmer, eingeklemmt in den Laderäumen. Hundewelpen in Styroporboxen. Schweine, kollabiert und begraben unter ihren Artgenossen. Rinder, die an den Beinen aufgehängt gegen Schiffswände knallen, während sie verladen werden.

Es sind grausame Bilder, die uns Jahr um Jahr erreichen und zeigen, wie groß das Leid an den europäischen Außengrenzen für Tiere ist. Manch einer kann nur noch den Kopf schütteln, entsetzt darüber, dass dies erlaubt sein mag. Aber ist es das überhaupt?

Theorie vs. Praxis

Trotz der Verbesserungen durch die EU-Verordnung 1/2005 und das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 23. April 2015 klaffen die EU-rechtliche Stellung der Tiere auf Tiertransporten und die Lebensrealität dieser Tiere immer weiter auseinander. Einige wesentliche Gründe hierfür sind bereits in Teil I dieser Beitragsreihe erläutert. Um weitere zentrale Ursachen hierfür, auch in anderen EU-Mitgliedstaaten als Deutschland, geht es in diesem Beitrag.

Ein wichtiger Grund dafür liegt darin, dass die jeweiligen Kontrollstellen in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich mit den Anforderungen an die Fahrten und Reisepläne verfahren. So haben die Niederlande zum Beispiel Transporte von und durch Russland gänzlich verboten,[1]Die Niederlande stoppen Tiertransporte nach Russland, https://www.provieh.de/nl-tiertransporte-stopp-russland [zuletzt abgerufen am 07.04.2021]. während etwa Rumänien einen Schafstransport auf See schickte, der offensichtlich keinen Notfallplan vorweisen konnte und mehr Tiere auf geheimen Decks transportierte, als auf den Papieren ersichtlich waren.[2]Kevany/Kassam, Cattle stranded at sea for two months are likely dead or ‘suffering hell’, … Weiterlesen

Lage in Deutschland

Aber auch in Deutschland werden immer noch regelmäßig Transporte in Länder abgefertigt, in denen die erforderlichen EU-Standards nicht eingehalten werden können. So werden Tiere im Hochsommer nach Usbekistan oder Kasachstan befördert, obwohl die dort herrschenden Außentemperaturen von über 40 Grad Celsius zu einer extremen Hitze im Innenraum führen, in welchem es maximal 35 Grad haben darf (EG Nr. 1/2005, Anlage I, Kapitel VI, 3.1). Wieso diese Transporte von Amtstierärzten dennoch genehmigt werden, lesen Sie in Beitrag III dieser Themenreihe.

Durch die Regelungen der EU, durch die eine Fahrzeit der Tiere mit ausreichenden Pausen beliebig lang dauern darf, sind diese bei extremen Wetterbedingungen oft wochenlang zu den entferntesten Zielen unterwegs.

Auch sind in den meisten Drittstaaten die Pausenplätze nicht verifiziert, in vielen Ländern erscheint deren Existenz fraglich oder ist sogar widerlegt,[3]Martin/Fuchs, Besichtigung von Entlade- und Versorgungsstationen gemäß der VO (EG) 1/2005 in der Russischen Föderation, die in Transportplänen zu Langstreckentransporten angegeben werden, … Weiterlesen

wie die deutsche Bundesregierung im Falle der Türkei indirekt zugab.[4]Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion AfD, BT-Drs. 19/727 v. 13.02.2018, S. 3, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/007/1900727.pdf [zuletzt abgerufen am 07.04.2021].

Zudem sind die Zeitangaben in den entsprechenden Papieren zumeist unrealistisch. Die Stauzeiten an den Landesgrenzen, bei denen es durchaus zu stunden- oder tagelangen Rückstaus kommen kann, werden in den Fahrzeiten nicht einkalkuliert.

Das Problem mit den Lenkzeiten

Problematisch ist in dieser Hinsicht auch, dass die Transporte zumeist nur mit zwei Fahrer:innen absolviert werden. Diese müssen die geltenden Pausenzeiten für Fahrer:innen einhalten. Nach 4,5 Stunden Lenkzeit sind mindestens 15 bzw. 30 Minuten Ruhe vorgesehen.[5](EU) Nr. 165/2014, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32020R1054&from=EN [zuletzt abgerufen am 07.04.2021].

Rechnet man mit diesen Lenk- und Ruhezeiten und mit nur zwei Fahrer:innen, so verlängern sich die Exporte ungemein. Die in den Fahrtenbüchern dokumentierten Fahrten entsprechen demnach nur selten der Wahrheit, es sei denn, die Fahrer:innen verstoßen gegen die Lenkzeiten-Regelung.

Hinzu kommt, dass bei kürzeren Transporten mit nur einem/r Fahrer:in (etwa Österreich – Italien) die Pausenzeiten der Tiere an die Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer:in angelehnt werden. So kommt es dazu, dass ein:e Fahrer:in in seiner einstündigen Pause angeblich ca. 250 Kälber entlädt, diese mit Ersatznahrung füttert und wieder einlädt. Aufgrund der Realitätsferne dieser Angaben ist davon auszugehen, dass viele, wenn nicht alle Tiere, auf solchen Transporten unterversorgt bleiben.

In Spanien, einem stark frequentierten Zwischenziel für Tiertransporte, kann bis dato die vorgeschriebene Pause der Tiere von 24 Stunden häufig nicht belegt werden. Für die Tiere geht es im Anschluss weiter aufs Schiff, mit dem sie in den Nahen Osten und dort zumeist hin zu betäubungslosen Schlachtungen (Schächten) transportiert werden.[6]ARD Doku/Verheyen, Tiertransporte gnadenlos – Viehhandel ohne Grenzen, … Weiterlesen

Das Problem mit den Fahrzeugen

Wie Medienberichte eindeutig zeigen, herrschen auf den Schiffen insbesondere von Mai bis September höchste Temperaturen. Einige Tierschützer:innen berichten davon, wie Tiere förmlich „gekocht“ werden, so Thomas Waitz (MdEP) in einem Webinar.[7]zur Aufzeichnung des Webinars, https://www.vier-pfoten.eu/campaigns-topics/topics/farm-animals/closingthegap; Panorama, Rindertransport per Schiff: Tierschutz über Bord?, … Weiterlesen Die Tranporteur:innen prüfen und dokumentieren die Temperaturen an Bord nicht. Zudem ist in den meisten Fällen kein tiermedizinisches Fachpersonal an Bord, das den Tieren Hilfe leisten könnte. Und auch, wenn ein:e Tierarzt:in an Bord ist, ist es in den Transportdecks meist so stickig, dunkel und diesig, dass verletzte Tiere kaum bis gar nicht zu erkennen sind und durch die Enge nicht behandelt werden können.

Weiterhin lassen die Kontrollen und Regelungen bezüglich der Transportfahrzeuge zu wünschen übrig.

Der österreichische Tierarzt und Tiertransportexperte Dr. Alexander Rabitsch dokumentierte in zahlreichen Fällen,[8]Teil des Webinars vom 23. Februar 2021, organisiert von Four Paws e.V., Präsentation von Dr. Alexander Rabitsch, … Weiterlesen dass die Fahrzeuge absolut ungeeignet sind, um Tiere sicher zu transportieren. So sind viele Transporter mit mobilen Wänden und Böden ausgestattet, die Lücken offenbaren, in denen Tiere hängen bleiben und sich verfangen können, sodass ihre Gliedmaßen brechen oder die Haut bis zum Knochen abgetragen wird. Oftmals sind Wasserspender fehlkonstruiert. Jungtiere erkennen die Trinkgelegenheiten nicht als solche, erreichen sie nicht oder es kommt aufgrund des zu niedrigen Wasserdrucks kein Wasser heraus. Auch sind die Abmessungen der Ladefläche häufig nicht ausreichend. So werden Tiere unzureichend gesichert, die Flächen sind zu klein oder zu niedrig, oder die Tiere werden so fixiert, dass sie entweder nicht aufstehen oder sich nicht hinlegen können.

Fazit – Teil II

Es lässt sich also feststellen, dass die Regelungen der EU trotz der Verbesserungen noch immer nicht ausreichen, um transportierte Tiere tatsächlich zu schützen.

Insbesondere die Langstreckentransporte von über acht Stunden sind mehr als bedenklich und trotz einer Reihe theoretisch existierender technischer Vorschriften de facto nicht tiergerecht durchführbar und kontrollierbar. Die EU-Regelungen werden offensichtlich nicht eingehalten bzw. können insbesondere in Drittstaaten nicht kontrolliert werden. Auch die Ruhezeiten und Fahrzeuge bieten keinen ausreichenden Schutz. Es bleibt daher nur zu appellieren, die Transporte auf maximal acht Stunden zu begrenzen und in Drittstaaten ohne verlässliche Tierschutzstandards nicht mehr zu transportieren. Zudem müssen in allen Mitgliedsstaaten einheitliche, strenge Kontrollen durchgeführt werden. Jede Ungereimtheit in den Papieren muss zu einer Versagung der Erlaubnis führen. Außerdem dürfen sich Zweifel und Unstimmigkeiten bei gerichtliche Eilverfahren gegen verweigerte Transportgenehmigungen nicht mehr zugunsten der antragstellenden Transporteure auswirken.

 

Ob die 2007 erlassene EU-Verordnung über Tiertransporte die Lage für die Tiere auf Langstreckentransporten vor den Toren der Union die Lage für die Tiere verbessert hat, lesen Sie in Teil III dieser Themenreihen.

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war im Frühjahr 2021 Rechtspraktikantin bei PETA Deutschland e.V. in Berlin und unterstützt den Tierrechtsblog in ihrer Freizeit weiterhin.

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