Baristas dürfen bei Championships nun weltweit auch mit Pflanzenmilch antreten.
Das Geschäft mit der Muttermilch
Egal, von welchem menschlichen oder nicht-menschlichen Tier sie kommt – Muttermilch ist immer Milch, die von Lebewesen nur produziert wird, wenn diese Nachwuchs bekommen. Die Milchindustrie degradiert weltweit vor allem Kühe zu hochleistungsfähigen Milchmaschinen.
„Richtige Milch kommt … aus dem Euter”, lasen wir am 14.10.2022 in einer Brandrede gegen Hafermilch in der Tageszeitung „Die Welt“.[1]Heine, Ernaehrungsirrsinn: Die-Hafermilch-Buße, https://www.welt.de/kultur/plus241541089/Ernaehrungsirrsinn-Die-Hafermilch-Busse.html Wir wissen außerdem: Aus Sojabohnen, Hafer oder sonstigen Pflanzen produzierte milchige Trinkflüssigkeit darf nach EU-Vorgaben unter anderem aus Gründen des Verbraucherschutzes[2]Zum Zusammenspiel der sehr komplexen Rechtsquellen/Rechtsprechung siehe auch Gottwald/Müller-Amenitsch, Urteilssammlung Veggie Food, 1. Auflage 2020, S. 18 ff. im Handel nicht als solche – also als Milch – bezeichnet werden.[3]Art. 78 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang VII der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013, bestätigt vom EuGH,Urteil vom 14.06.2017 – Pressemitteilung … Weiterlesen Käse heißt dementsprechend EU-weit nur das, was nach dem Käsereiprozess tatsächlich aus der Milch entsteht, die aus dem Euter einer Kuh kommt. Darf’s ein bisschen Lab aus Kälbermagen bei der Produktion sein?!
Es gibt Baristas, die der festen Überzeugung sind, erst Kuhmilch mache einen flat white zum flat white, und es hat auch in deutschen Großstädten teilweise lange gedauert, bis es „die gute“ Soja- und Hafermilch in fast allen Cafés gab, wenn auch mit weiterhin unterschiedlicher Besteuerung.[4]Kuhmilch wird als Lebensmittel des täglichen Bedarfs klassifiziert und mit 7 % Mehrwertsteuer belegt; Pflanzenmilch als verarbeitetes Lebensmittel dagegen mit 19 %. Kaffee und seine Zubereitung mögen eine Wissenschaft für sich sein – die industrielle Intensivtierhaltung zur Kuhmilchgewinnung ist nach heutigem Stand der Wissenschaft eine inakzeptable, grausame Belastung für die weiblichen Kühe, deren Kälber, das Klima und die Gesundheit der Menschen.[5]Herbrich, Das System Massentierhaltung im Verfassungsrecht, Baden-Baden 2022, S. 171; PETA Deutschland: Milch: alle Infos zu Tierleid, Umwelt und Gesundheit, https://www.peta.de/themen/milch/ zuletzt … Weiterlesen „Richtige Milch enthält Eiter“ – so hätte man den obigen Welt-Artikel auch zynisch überschreiben können,[6]Statt vieler: PETA Deutschland, Kampagnen: Milchindustrie, https://www.peta.de/kampagnen/kuehe-milchindustrie/, zuletzt abgerufen am 28.12.2022. sofern man Kuhmilch als „richtig“ einordnen will.[7]In derselben Zeitung widerlegt: Will, „Hafermilch ist die Projektionsfläche des Boomer-Hasses“, … Weiterlesen
Das Regelwerk der SCA bei der Barista Championship
In Frankfurt/Main fand in derselben Woche im Oktober die Barista Championship statt, organisiert von der Special Coffee Association Germany (SCA). Eine der Disziplinen, in der die Baristas hier gegeneinander antraten, war auch die Zubereitung eines sogenannten Milchgetränks. Es überraschte nicht weiter zu lesen, dass die SCA – eine für die Welt des Kaffees und den Arbeitsmarkt darum herum maßgebliche GmbH – für die Durchführung dieser Championship eine Regelung vorhielt, die den obigen Kriterien entsprach. Im Regelwerk zur Meisterschaft wurde ein Milchgetränk insofern definiert als
„… a combination of 1 single shot of espresso (…) and steamed cow’s milk…“.
“…eine Kombination aus einem Espressoshot und aufgeschäumter Kuhmilch…“.
Die Verwendung von Pflanzenmilch führte theoretisch zur Disqualifizierung des/der jeweiligen Teilnehmer:in in der entsprechenden Kategorie. Die SCA Germany berief sich darauf, dass die Schritte zur Qualifizierung als Weltmeister:in in einer Disziplin stufenweise über die Ebene verschiedener Länder führe und das Regelwerk für ein Land, das die nationale Meisterschaft abhalte, bindend sei. Nationale Teilmeisterschaften würden nur als „competition bodies“ registriert und hätten keinen Einfluss auf das Regelwerk. Nur so sei eine Vertretung der Gewinner:in der jeweiligen Kategorie auch international möglich.[8]SCA Germany, Regelwerk, https://scagermany.coffee/fcf-barista-latteart-meisterschaften-sca-regelwerk/, zuletzt abgerufen am 28.12.2022.
Ein Teilnehmer aus Tübingen, Mikolaj Pociecha (Mik), hatte nicht nur gegen diese Bestimmung verstoßen und Hafermilch verwendet, er hatte bereits vor der Teilnahme an dem Wettbewerb die Bühne genutzt, um vor seinem Antritt die fehlende Diversität in der Organisation sowie die Diffamierung von Veganer:innen im Wettkampf zu kritisieren.[9]Dieser war kurzzeitig auf YouTube abrufbar, wurde dann aber von der SCA wieder entfernt. Unterstützt durch Martin Lai, Geschäftsführer seines Arbeitgebers (SUEDHANG Kaffee aus Tübingen), machte er geltend, die Regelung als solche sei schon ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das Regelwerk der SCA über eine Weltanschauung zu stellen, die sich in diesen Lebensbereich erstrecke (nämlich Veganismus als bereichsübergreifende Überzeugung und Ausdruck einer säkular-ethischen Lebensform), verstoße gegen das Verbot der Diskriminierung am Arbeitsplatz bzw. bei Ausübung der Arbeit nach §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG.
Hintergrund
Die ganze „Geschichte“ des Baristas Mik, der unter diesen Voraussetzungen antrat und sich eigentlich wegen der Verwendung von Hafermilch absichtlich disqualifizieren lassen wollte,[10]Letztlich schied er wegen Zeitüberschreitung aus, offiziell nicht wegen der Verwendung von Pflanzenmilch. findet sich unter anderem auf der Webseite seines Arbeitgebers in der von diesem herausgegebenen Zeitschrift[11]SUEDHANG Kaffee, Blatt 3 – SAY NO, https://www.suedhang.org/product/blatt/, zuletzt abgerufen am 28.12.2022. SUEDHANG Kaffee und seine Baristas verstehen sich danach auch als Aktivist:innen – im Juli 2022 initiierten sie bereits eine Kampagne gegen die höhere Mehrwertsteuer auf Pflanzenmilchgetränke, und auch die Aktion in Frankfurt/Main war geplant und angekündigt – mit dem Ziel, die SCA zu einem modernen Verständnis des Barista-Handwerks zu bewegen, die inklusiv für Menschen mit veganer Ernährung und Lebenseinstellung ist, statt zu diskriminieren. Mik schreibt dementsprechend auf seiner eigenen Instagram-Seite:
„I live coffee every day…. For me coffee is a medium through which I aim to bring positive change. I am NOT willing to compromise… I encourage all vegan baristas and coffee professionals to participate in competitions on their own terms…“
„Ich lebe Kaffee jeden Tag. Ich verstehe Kaffee als Medium für positive Veränderungen. An Kompromissen bin ich nicht interessiert … ich ermutige alle veganen Baristas und Kaffee-Profis, an derartigen Wettbewerben nach ihren eigenen Regeln teilzunehmen.“
Diesem Aufruf zur Revolution können wir uns anschließen, handelt es sich doch bei der säkularethisch-veganen Bewegung gerade um eine friedliche Revolte – Veganer:innen beabsichtigen, mit der eigenen Lebensweise die Entstehung von Leid in allen Lebensbereichen zu vermeiden beziehungsweise zu verringern. Das Verwaltungsgericht Münster hatte – die Kantinenversorgung eines Berufssoldaten und damit eine ganz andere Lebenswelt betreffend – bereits im März 2022 in diesem Sinne entschieden,[12]VG Münster, Urteil vom 09.02.2022, https://rewis.io/urteile/urteil/kg1-09-02-2022-5-k-257620/, zuletzt abgerufen am 28.12.2022. dass vegane Ernährung „Ausdruck einer verfestigten, konsequenten und ethisch begründeten umfassend veganen Lebensweise“ sein kann und in diesem Fall vom Schutzbereich des einheitlichen Grundrechts der Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit des Art. 4 Abs. 1, 2 Grundgesetz (GG) umfasst ist. Dies indiziert nach zutreffender Auffassung das Diskriminierungsverbot des §§ 1, 2 Abs. 1 AGG – die Rechtslage ist in Deutschland jedoch nicht so eindeutig wie beispielsweise im Vereinigten Königreich.[13]Dazu Müller-Amenitsch im Reel-Interview mit dem Betreiber von SUEDHANG Kaffee, abrufbar unter dem Instagram-Account von SUEDHANG Kaffee.
In den Folgewochen nach der deutschen Barista Championship trafen sich die Mitglieder des „director’s board“ der SCA Deutschland zweimal – auf der Website war immerhin zwischenzeitlich zu lesen, dass der Barista über seinen Vortrag und die Verwendung der Hafermilch ein Thema auf die Bühne gebracht habe, das „alle beschäftigt“.[14]SCA Germany, Regelwerk, https://scagermany.coffee/fcf-barista-latteart-meisterschaften-sca-regelwerk/, zuletzt abgerufen am 28.12.2022. Das Feedback wurde weitergeleitet an die SCA Global, die am 21.12.2022 entschied – so steht es im Regelwerk für die nächste, in Griechenland stattfindende Meisterschaft:
„the milk beverage course can now be prepared using plant based or other animals’ milk”
„das Milchgetränk kann mit der Verwendung von Pflanzenmilch oder anderer, tierischer Milch hergestellt werden“
Ausblick
Es ist nach der deutschen Rechtslage nicht eindeutig zu sagen, ob das AGG und seine Diskriminierungsverbote im Zusammenhang mit der Ausrichtung der Wettkämpfe durch die SCA Germany überhaupt gelten. Die SCA Germany ist als GmbH organisiert, die Teilnahme an den Meisterschaften ist berufsunabhängig, freiwillig, und hat auch keine unmittelbaren, zwingenden (beruflichen) Folgen für die teilnehmenden Baristas. Die Frage musste in diesem Zusammenhang allerdings vorerst nicht geklärt werden.
Dennoch macht die SCA Global mit dieser Regeländerung definitiv einen Schritt in die richtige Richtung, der sehr begrüßenswert ist. Wir gratulieren aber vor allem Suedhang Kaffee und Mik, die mit ihrer friedlichen Aktion dazu beigetragen haben, dass endlich Bewegung in eine offenbar doch sehr konservative Szene kommt.
Wir hoffen auf viele weitere Schritte in diese eingeschlagene Richtung.
ist seit Dezember 2021 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin mit den Schwerpunkten Tier(schutz)recht, Tierethik und Verfassungsrecht.
Quellen