Mit welchem Recht sollten Menschen andere Tiere essen dürfen? Lange Zeit standen diese oder ähnliche Fragen im Fokus, wenn aus einer tierethischen und -rechtlichen Sicht über Ernährungsfragen diskutiert wurde. Mittlerweile wird aber immer deutlicher, dass diese Frage zu kurz greift. Denn längst gibt es ein „Futterproblem 2.0“: Nicht nur die Ernährung von Menschen ist ethisch relevant, sondern auch die Frage, wie Menschen andere Tiere ernähren, wie sie gewollt oder ungewollt zu deren Ernährung beitragen und sie beeinflussen.
Der Band „Just Fodder“ des britischen Philosophen Josh Milburn verfolgt das Ziel, diese Frage aus einer tierrechtlichen Perspektive zu beleuchten. Statt bei der Ernährung von Tieren davon auszugehen, dass es dabei bloß um „just fodder“ gehe, also um eine uninteressante, banale, immer schon geklärte Angelegenheit, will Milburn eine Perspektive auf „just fodder“ eröffnen, d. h. auf eine gerechte, ethisch legitime Ernährung von Menschen und (anderen) Tieren.
„Warum sollte der Gegessene um des Essenden willen getötet werden?“ (21),
fragt Milburn programmatisch im ersten Kapitel seines Buches. In der Tat: Wenn man anerkennt, dass ein universalistisches Ethos, das keine willkürlichen Unterscheidungen anwenden will, notwendig zu dieser Frage führt, dann ist es umso merkwürdiger, mit welcher Vehemenz noch heute auf die Versuche reagiert wird, auch omnivoren bzw. karnivoren Tieren eine pflanzliche Ernährung zu ermöglichen. Dass etwa die vegane Ernährung von Hunden und Katzen immer wieder derart aggressive Reaktionen bei Menschen hervorrufe, zeige vor allem, wie selektiv hier wahrgenommen wird: „Es scheint, dass jene Menschen, die sich sehr besorgt über die vermeintliche Grausamkeit gegenüber den essenden Tieren zeigen, zugleich völlig unbesorgt mit Blick auf das Leiden und Sterben der gegessenen Tiere sind.“ (21, Übers. SH)
Das Kernproblem: Der Umgang mit Karnivoren
Zugleich betont Milburn, dass es hier um mehr als um bloße Ressentiments gehe: Die Frage, wie (vegane) Menschen mit karnivoren Tieren umgehen sollten, ist vielleicht eine der anspruchsvollsten Fragen der aktuellen Tierethik und könne nicht mit dem bloßen Hinweis auf die vermeintliche „Natürlichkeit“ von karnivoren Tieren wegerklärt werden.
Wie also sollte man mit karnivoren Tieren umgehen, (wie) sollte man sie füttern? Milburn denkt hier verschiedene tierrechtlich akzeptable Optionen durch, wobei ihm der Techno-Fix, also die Aussicht auf zukünftig tierleidfrei hergestelltes „Cultivated Meat“ am sinnvollsten und am systematischsten erscheint. Interessanterweise bleibt Milburn bei dieser Festlegung nicht stehen, sondern will vermeiden, dass „Cultivated Meat“ die problematische Hierarchie von „essbaren Tieren“ als der genetischen Grundlage und den Essenden auf der anderen Seite reproduziert. „Cultivated Meat“ sollte daher, wenn es eine zukünftige Lösung für das Karnivoren-Problem sein soll, auf menschlicher DNA basieren:
„Die Produktion von Menschenfleisch zur Ernährung von Fleischfressern hat sogar den Vorteil, dass ein völlig einwilligungsfähiges, autonomes Individuum die letzte Quelle des Fleisches ist […].“ (43, Übers. SH)
Die Ernährung der „Animal Family“
Milburn geht im weiteren Verlauf des Buches davon aus, dass unterschiedliche Beziehungen zu Tieren unterschiedliche Pflichten bedingen. Dementsprechend orientieren sich fast alle Kapitel des Buches an diesen Beziehungstypen: Milburn thematisiert die „Animal Family“, also all jene Tiere, mit denen wir in engen Beziehungen zusammenleben. Ihnen gegenüber sieht er zwei zentrale Verpflichtungen: Menschen haben die Pflicht, ihre Tierfamilie zu füttern und sie zugleich davor zu bewahren, selbst Futter für andere zu werden. Als besonders problematisch erweist sich zudem das menschliche Zusammenleben mit jenen Tieren, die selbst (fakultative oder obligate) Karnivoren sind. Insbesondere die Ernährung von „Companions“ wie Hunden und Katzen ist hier angesprochen – und damit die Intuition vieler Menschen, der zufolge die Anpassung der Futtergewohnheiten von Tieren an die ästhetischen, moralischen, gewohnheitsbedingten oder finanziellen Vorstellungen von Menschen problematisch sei. Tierliche Interessen und Fähigkeiten sind wichtig, dennoch sollte kein Interesse nur deswegen berücksichtigt werden, weil es vorhanden ist, so Milburn. Auch Interessen können und sollten geprüft werden: „Selbst dann, wenn das [Anmerkung der TRB-Redaktion: sogenannte] Raubtierverhalten für einige Tiere zum guten Leben gehört, kann dies nicht rechtfertigen, dass andere Tiere um des [Anmerkung der TRB-Redaktion: sogenannten] Raubtieres willen geschädigt werden.” (56, Übers. SH) Milburn plädiert deswegen für eine möglichst vegane Ernährung – auch der „Animal Family“.
Tierliche Nachbarn füttern?
Mit der Kategorie der „Animal Neighbours“ sind bei Milburn zunächst jene Tiere gemeint, die unabhängig von Menschen leben, mitunter aber von ihnen gefüttert werden – Wildvögel beispielsweise. Milburn spricht auch von „liminalen Tieren“, die also Grenzgänger zwischen einem Leben als Wildtier und den Lebensbereichen von Menschen sind. Diese liminalen Tiere sind alles andere als einheitlich, was unsere Beziehung zu ihnen betrifft: Während wir uns über die Gegenwart einiger von ihnen freuen, bereitet die von anderen uns eher Sorgen, weswegen wir es meist vermeiden, diese Gruppe bewusst zu füttern. Im Unterschied zu unseren „Companions“ haben wir Milburn zufolge aber keine (individuelle) moralische Pflicht, unsere tierlichen Nachbarn zu füttern, was allerdings nicht ausschließt, dass wir es teilweise dennoch dürfen. Um unser Verhältnis zu dieser Gruppe genauer zu verstehen, bezieht sich Milburn auf eine tugendethische Kategorie: Die Tugend der Gastfreundschaft könne eine Hilfe sein, um genauer zu verstehen, wie unsere Beziehung zu den tierlichen Nachbarn beschaffen sein sollte. Das bedeutet etwa, dass sie von uns verlangt, genau auf die Bedürfnisse der jeweiligen Tiere zu achten, also beispielsweise zu vermeiden, Igeln Kuhmilch anzubieten, was schädlich für sie (und selbstredend ebenso für Kuh und Kalb) ist – ein häufiges Problem. Ebenso sollte ein guter Gastgeber Sorge um die Sicherheit seiner Gäste tragen: Wer Wildtiere wie z. B. Vögel füttert, muss sie also vor dem Angriff von Prädatoren schützen und dafür Sorge tragen, dass die Futterstellen hygienisch sauber sind. Insbesondere die Interaktion von tierlichen Nachbarn und Companions müsse stärker in den Blick rücken und mit ihr unsere menschliche Verpflichtung, etwa Freigängerkatzen zu Brutzeiten von Wildvögeln stärker zu regulieren.
Tödliche Landwirtschaft und ihre Alternativen
Etwas ungewohnt scheint die nächste Kategorie zu sein: Milburn spricht von „Animal Thieves“ und meint damit (keine Prädatoren, sondern) jene Wildtiere, die auf landwirtschaftlich genutzten Flächen bzw. von deren Erträgen leben und daher häufig als „Schädlinge“ behandelt werden. Milburn konzentriert sich dabei nicht nur auf das Problem, dass diese Tiere von menschlicher Aktivität wie dem Anpflanzen bestimmter Futtersorten angezogen und dennoch allzu oft unter das Verdikt einer „Plage“ fallen, sondern er thematisiert vor allen Dingen die teilweise tödlichen Konsequenzen der Landwirtschaft für diese Tiere und präsentiert Überlegungen zu einer weniger schädlichen und gefährlichen Weise des Pflanzenanbaus. Auch wenn Tiere dort (meist) nicht absichtlich getötet würden, müssen doch weitergehende Konsequenzen daraus gezogen werden, dass diese Tiere selbst unbeabsichtigt durch z. B. Ernteverfahren zu Tode kommen. Dies sei vor allem ein politisches Anliegen, das nicht individualethisch verkürzt werden dürfe: Milburn gibt hier einerseits zu bedenken, dass eine Verringerung der menschlichen Population und in der Konsequenz ein reduzierter Lebensmittelverbrauch Teil einer solchen politischen Raison sein kann. Andererseits konzentriert er sich stark auf technische Neuerungen und betont die Bedeutung von vertikalen Anbaumöglichkeiten, die deutlich weniger Gefahr für Tiere bedeuten.
Natur wiederherstellen? Zum Problem geretteter Prädatoren
Bei den „Animal Refugees“ geht es um Tiere in Wildtierauffangstationen, die das Problem mit sich bringen können, dass es sich bei ihnen um Prädatoren handelt, die von den Mitarbeitenden der Auffangstationen (oder mit dem inhaltlich etwas weitergefassten englischen Begriff: „Wildlife Rehabilitation Centre“) mit anderen Tieren gefüttert werden müssten. Milburn lehnt die Arbeit der Auffangstationen dabei nicht schlichtweg ab: Es sei wichtig, Wildtiere zu pflegen, gerade dann, wenn sie Opfer von menschlichen Handlungen wurden, wenn etwa Tiere, die in Zoos oder Zirkussen missbraucht wurden, in den Auffangstationen eine Zufluchtsstätte finden können. Unter diesem Blickwinkel sind Auffangstationen dann „nicht-ideale Institutionen“, also Einrichtungen, die nur während der Zeit existieren, in der andere, tierausbeuterische Institutionen andauern. So sei anzunehmen, dass mit dem wachsenden Bewusstsein für die Rechte von Tieren auch mehr entsprechende Übergangsinstitutionen wie Auffangstationen nötig werden. Aber auch unabhängig von menschlichem Verschulden können Auffangstationen als Gerechtigkeitsinstitutionen gesehen werden, weil sie aus einer natürlichen Welt eine gerechte Welt machen wollen. Zugleich zeige sich eine enorme moralische Komplexität in diesem Phänomen. Was das Futterproblem betrifft, unterscheidet Milburn zwischen jenen Tieren, die relativ leicht pflanzlich ernährt werden können, und jenen Tieren, bei denen dies nur sehr schwer, wenn überhaupt, der Fall ist.
Ganz konkret: Die Löwin Sophia
Der konkrete Fall der aus einem Zirkus geretteten Löwin Sophia dient ihm hier als Beispiel: Gibt es in diesem Fall eine Art „Guardianship Principle“, das es erlaubt, andere Tiere für Sophia zu töten – entweder, indem diese gejagt würden oder indem die Löwin mit den „Nebenprodukten“ der Tierindustrie ernährt würde? Beide Vorschläge existieren in der einschlägigen Literatur, werden von Milburn aber überzeugend zurückgewiesen, weil sie sich seiner Auffassung nach zu vorschnell mit der scheinbaren Notwendigkeit abfinden, dass der Schutz von Tieren in den Auffangstationen mit der intentionalen (und alsbald auch institutionalisierten) Verletzung der Rechte anderer Tiere einhergeht. Auffangstationen sollten daher Ernst damit machen, dass viele Tiere vegan ernährt werden können – auch obligate Karnivoren (wie die Hauskatze) können ernährungsphysiologisch zumindest hinreichend auf vegane Weise ernährt werden, weil sie zwar bestimmte Nährstoffe, nicht aber bestimmte Lebensmittelgruppen benötigen. Dort, wo dies keine Option darstellt, sollten Auffangstationen das Fleisch von im Straßenverkehr getöteten Tieren als Quelle in Erwägung ziehen, ebenso könnten sie die Körper jener Tiere, die in ihrer Obhut versterben, notfalls ebenfalls dazu verwenden, ohne dass diese Verwendung respektlos wäre.
Keine Naturromantik: Das Leben von Wildtieren
Das Leid von Wildtieren, denen sich Milburn abschließend unter dem Oberbegriff der „Animal Strangers“ widmet, hat unmittelbar mit zwei Futterproblemen zu tun: Mit der Predation (Bejagung durch Fressfeinde) und dem (Ver-)Hungern. Dies anzuerkennen sei entscheidend, um die häufig zu beobachtende Laissez-faire-Intuition zu überwinden, der zufolge dieses Leid zwar tragisch und traurig, vom Menschen aber nicht zu beeinflussen sei. Diese Intuition hängt oft mit der Annahme zusammen, dass menschliche Eingriffe entweder ausgesprochen unpraktikabel oder außerordentlich weitreichend seien, sodass sie meist grundlegend abgelehnt werden. Milburn hingegen folgt der umgekehrten Intuition: Wer einmal anerkannt hat, dass das Leiden von Wildtieren derart massiv ist – „Nature is not a happy place for animals“ (159), so Milburn –, wird sich dafür einsetzen, diese Tiere nicht sich selbst zu überlassen. Milburn vertritt daher einen interventionistischen Standpunkt. Wie könnten solche Interventionen gegenüber „der Natur“ aussehen? Gibt es eine ethische Pflicht, die Gazelle dem Löwen zu entreißen? Wenn es eine Möglichkeit gibt, sog. Beutetiere vor Prädatoren zu schützen, ohne dabei zugleich deren Rechte zu missachten, dann sollten diese Möglichkeiten umgesetzt werden, so Milburn, der zugleich auch sieht, dass diese Überzeugung sich auswächst, sobald entsprechende Interventionen nicht auf Einzelfälle bezogen bleiben, sondern institutionalisiert werden. Hier müsste zunächst über eine alternative Ernährung von Prädatoren nachgedacht werden oder gar über deren genetische Veränderungen – eine Überlegung, die zunächst abwegig scheinen mag, aber konsequent der Einsicht entspricht, wie bodenlos das Leiden von Wildtieren vielfach ist und dass wir daher die Pflicht haben, dieses Leid zu bekämpfen.
Sich mit dem Essen befassen – eine knappe Bilanz
Milburns Buch ist eine faszinierende Erkundung des Essens und der normativen Fragen, die sich daraus ergeben. Es lohnt sich, diese Praxis nicht bloß als einen konkreten Anwendungsfall für die abstraktere Frage nach dem „moralischen Status“ von Tieren zu begreifen, sondern nah bei der eigentlichen Praxis des Essens zu bleiben, um von dort aus all jene komplexen Probleme in den Blick zu bekommen, die Milburn in seinem Buch gut und spannend lesbar nachzeichnet. Selbst als tierrechtlerisch engagierter und veganer Mensch werden einige seiner Schlussfolgerungen vielleicht reichlich gewagt und utopisch wirken – es sind aber vielleicht gerade diese klug durchdachten Utopien, die heute nötig sind, um langfristige Alternativen zur Gleichgültigkeit der Tierindustrie entwerfen zu können.
Josh Milburn: Just Fodder. The Ethics of Feeding Animals, Montreal 2022 (240 S.)
Simone Horstmann, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dortmund und hat mehrere Bücher zum Verhältnis von Theologie und Tierrechtsanliegen publiziert, zuletzt „Religiöse Gewalt an Tieren“ (2021) und „Interspezies Lernen. Grundlinien interdisziplinärer Tierschutz- und Tierrechtsbildung“ (2021). Sie lebt in Unna gemeinsam mit drei Hunden, zwei Katzen, sechs Hühnern und einem Menschen.