Der Personenstatus von Tieren aus philosophischer Sicht
In den vergangenen Jahren machen vermehrt Gerichtsfälle Schlagzeilen, in denen Tieren bestimmte Rechte zugestanden – oder aber versagt werden. Meist geht es inhaltlich um die Befreiung von Primaten aus unwürdiger, isolierter Gefangenschaft in Zoos oder ähnlichen Einrichtungen.[1]Äffinnen Sandra und Cecilila –https://www.greatapeproject.de/sandra-cecilia-afada/, sowie Äffin Estrellita – https://www.tierrechtsblog.de/weltweit/tierrechte-verfassung-ecuador/, … Weiterlesen Kürzlich wurde auch eine Elefantin vom „Nonhuman Rights Project“ vor Gericht vertreten.[2]Elefantin Happy – https://www.nonhumanrights.org/client-happy/ Die Anwält:innen, die die Rechte dieser Tiere vertreten, stützen sich auf das sogenannte „Habeas Corpus“, zu Deutsch: „Du sollst einen Körper haben.“ Habeas Corpus gewährt das Recht, aus unrechtmäßiger Inhaftierung befreit zu werden. Die Inhaberschaft dieses Rechts ist an die Voraussetzung geknüpft, dass eine Person im rechtlichen Sinne dies beansprucht.
Happy
So beschäftigte sich ein Berufungsgericht im amerikanischen Bundesstaat New York mit der Frage, ob eine Elefantin mit dem Namen Happy nach insgesamt über 40 Jahren Gefangenschaft aus ihrer kargen Isolation im Bronx Zoo befreit werden kann – unter Zugrundelegung der Voraussetzungen von Habeas Corpus.
Die Besonderheit bei Happy war, dass sie als erste Elefantin den sogenannten Spiegeltest bestanden hatte. Für diesen wird ein Tier – möglichst unbemerkt – mit einer Markierung (zum Beispiel Farbfleck) versehen, die es nur sehen kann, wenn es in einen Spiegel blickt. Lässt das Verhalten des Tieres darauf schließen, dass es erkennt, „die Markierung befindet sich an meinem eigenen Körper“, ist der Spiegeltest „bestanden“. Einige Tiere versuchen dann, den Farbfleck zu entfernen oder zeigen darauf. In diesen Fällen geht man davon aus, dass die Tiere eine Vorstellung vom „Selbst“ besitzen (Selbstwahrnehmung). Das wird teilweise als Anknüpfungspunkt dafür genommen, ihnen Personenstatus zuzugestehen. Für sich allein betrachtet ist das Kriterium zuwillkürlich.
Immerhin zwei der sieben Richter:innen stimmten für die Befreiung Happys aus der lebenslangen Haft;[3]Der Volltext der Entscheidung mit dem Sondervotum der Richter:innen Jenny Rivera und Rowan Wilson findet sich unter https://www.nycourts.gov/ctapps/Decisions/2022/Jun22/52opn22-Decision.pdf, zuletzt … Weiterlesen die Entscheidung fiel also zu Lasten der Elefantin aus. Die Urteilsbegründung enthält den redundant anmutenden Satz: „Nur eine menschliche Person kann eine Person sein“ – und die explizit ausgedrückte Befürchtung der Richter:innen, eine Anerkennung von Happy als Person würde eine Klageflut und einen destabilisierenden Einfluss auf die Gesellschaft als Folgen haben. Es ist belastend vor allem für den Status der Tiere, dass derartig folgenreiche Entscheidungen von mittelalterlicher Angst getrieben scheinen – so ist doch die Philosophie mittlerweile viel weiter in ihrem Erkenntnisgewinn. So schreibt auch Richter Wilson in seinem Sondervotum:
„Wenn die Mehrheit antwortet: „Nein, Tiere können keine Rechte haben“, dann sorge ich mich um das Tier, aber noch mehr sorge ich mich darum, dass diese Antwort die menschliche Fähigkeit zu Verständnis, Empathie und Mitgefühl leugnet und verleugnet.“[4]https://www.nonhumanrights.org/client-happy/, zuletzt abgerufen am 24.10.2022.
Wir möchten in diesem Beitrag deshalb der Frage nachgehen, woran sich der Personenstatus – außerhalb der rein-juristischen Sphäre – eigentlich festmacht. Ein zweiter, zeitlich später erscheinender Beitragsteil wird sich der rechtsphilosophischen Betrachtung widmen.
Die philosophische Person
Dem juristischen Konzept des Personenstatus liegt die philosophische Frage zugrunde, was eine Person ausmacht.
Die Diskussion darüber, welche Lebewesen als „Personen“ gelten sollten, dreht sich maßgeblich um zwei Fragenkomplexe. Zum einen geht es darum, was genau den Personenstatus begründet. Zum anderen stellt sich daraus abgeleitet die Frage, welche moralischen Implikationen ein zugestandener Personenstatus mit sich bringt. Also: WAS macht jemanden zu einer Person, und welche Konsequenz ergibt sich daraus, dass jemand als Person gilt?
Die meisten von uns denken automatisch an einen Menschen, wenn von einer Person die Rede ist. Diese Wahrnehmung ist derart gefestigt, dass wir sie kaum hinterfragen und andere, nicht-menschliche Tiere deshalb im Regelfall nicht als Person bezeichnen. Um diese Haltung zu begründen – oder eben abzulehnen –, müssen wir zunächst einen Blick darauf werfen, was ein Lebewesen zu einer Person macht. Ist es wie bei Happy die Wahrnehmung des eigenen Selbst – im Spiegel? Sind es hochphilosophische Maßstäbe, oder müssen wir den Blickwinkel erweitern und auch tatsächliche Indikatoren in die Beurteilung einbeziehen?
Was macht die Person zur Person?
Vielfach wird als Ausgangspunkt John Lockes Bestimmung der Personalität gewählt. Für den 1632 geborenen englischen Philosophen und Mediziner konnte eine Person nur sein, wer Vernunft besitzt und reflexiv über sich nachdenken kann. Auch das Sprachvermögen war für Locke unverzichtbarer Bestandteil der Personalität, da die abstrahierenden Gedanken auch begrifflich gefasst werden müssten. Nach dieser und davon abgeleiteten Auffassungen benötigt ein Lebewesen, um als Person zu gelten, also ein Selbstbewusstsein im eng gefassten Sinne. Es muss sich als Lebewesen bewusst wahrnehmen und sein eigenes Leben in Gänze erfassen. Und kann diese Wahrnehmung nicht auch linguistisch dargestellt werden, rückt damit auch der Personenstatus außer Reichweite.[5]Steiner, Gary (2017): Tiere als Personen, aber nicht als Staatsbürger, in: TIERethik, 9/14, S. 21
Andere Fähigkeiten, an die der Personenstatus von verschiedenen Denker:innen geknüpft wird, umfassen etwa ein Zukunftsbewusstsein, die Fähigkeit zu urteilen oder auch das eigene Handeln zu steuern. Grundsätzlich stimmen die meisten Arbeiten darin überein, dass Fähigkeiten wie diese Voraussetzung dafür sind, dass jemand „Person“ sein kann. Der Philosoph Robert Spaemann schrieb dieser Annahme entsprechend: „Personen sind Subjekte des Könnens.“ [6]Spaemann, Robert (1996): Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“. Stuttgart: Klett-Cotta, 140
Wie genau sich dieses Können darstellt, darüber herrscht freilich Uneinigkeit. Für den Philosophen Leonard Nelson galt beispielsweise: Wer Interessen hat, dessen Interessen müssen auch gewahrt werden. Ein Lebewesen mit Interessen habe also unweigerlich moralische Rechte, und wer moralische Rechte habe, der gelte als Person. Um Interessen zu haben, muss ein Lebewesen Nelson zufolge nicht zwangsläufig über eine bestimmte Sache nachdenken können. Es genüge auch, etwas unmittelbar Präsentes in einem bestimmten Moment haben zu wollen. [7]Birnbacher, Dieter (2017): Sind Tiere Personen?, in: TIERethik, 9/14, 45f Stellen wir uns etwa ein Wildtier vor, das in einer Falle gefangen und festgehalten wird, hat es in diesem Moment zweifelsohne ein Interesse daran, der Falle zu entkommen und zurück in den Wald zu laufen – ganz unabhängig davon, inwiefern es über sein Entkommen oder darüber, was das für sein Leben als Ganzes bedeutet, dezidiert nachdenkt. Und es ist davon auszugehen, dass offene Zoo-Tore in der Bronx die Elefantin Happy dazu bewegt hätten, ihren Bewegungsradius zu vergrößern und vor allem: ihre Wege selbst zu wählen, ohne das Wort Freiheit zu kennen oder aussprechen zu können.
Bestimmen Fähigkeiten den moralischen Status?
In Nelsons Gedanken klingt es bereits an: Mit der Zuschreibung gewisser Fähigkeiten oder Bedürfnisse werden normalerweise auch ein moralischer Wert und der Anspruch einer bestimmten Umgangsweise verbunden. In den obigen Ausführungen wurde deutlich, wie uneins man sich über die Ausprägung dieser Fähigkeiten ist. Schließlich sind weder die Kenntnis über die eigenen moralischen Rechte noch festgelegte intellektuelle Fähigkeiten Voraussetzungen dafür, über Rechte zu verfügen. Bei einem Menschen würde das kaum jemand bestreiten: Auch wer sich seiner Rechte als Mensch nicht bewusst ist (ob im moralischen oder juristischen Sinne), verfügt über eben jene. Die juristische Dimension kommt hier zwangsläufig ins Spiel; schließlich geht es auch darum, welche Rechte sich aus einem gewissen Moralstatus ergeben können.
Bewertungsgrundlage: Mensch
Der US-Philosoph Gary Steiner erkennt hinter den von Philosoph:innen geforderten Voraussetzungen für den Personenstatus jedoch einen starken Anthropozentrismus. [8]Steiner, Gary (2017): Tiere als Personen, aber nicht als Staatsbürger, in: TIERethik, 9/14, 14-39 Der Mensch sehe sich und seine Wahrnehmung als unhinterfragte Grundlage für die Einstufung und Bewertung anderer Lebewesen. Je komplexer die Fähigkeiten eines Tieres, desto höher der moralische Status, der ihm zugeschrieben wird. Doch welche Fähigkeiten hierfür betrachtet werden, ist Steiner zufolge schlicht zu Mensch-orientiert (vgl. ebd.). PETA-Gründerin Ingrid Newkirk beschreibt in ihrem Buch „Tiere: Wer sie sind und was das für unser Zusammenleben bedeutet“ die erstaunlichen und vielfältigen Fähigkeiten von Tieren. Warum, so muss man sich fragen, sollte etwa eine menschliche Lautäußerung über reflexive Gedanken unseren moralischen Status festlegen und nicht beispielsweise die so unterschiedlichen Fähigkeiten, Freude, Trauer, Wut oder Verzweiflung auf andere Weise auszudrücken, oder schlicht das Bewusstsein eines Lebewesens? Die Bedürfnisse von Tieren werden noch immer nach den moralischen Vorstellungen des Menschen beurteilt.
Und das ist kein Zufall. Schließlich hat der Mensch ein unmittelbares Interesse daran, Tieren einen geringeren moralischen Status als sich selbst zuzuweisen. Nur darauf basiert die Rechtfertigung dafür, Tiere fast ungehindert ausbeuten zu dürfen. Die Ausbeutung von Tieren ist ein weltweites, äußert profitables Geschäft. Der dahinterstehende Speziesismus ist jedoch geprägt von Willkür und Machterhalt. Nun könnte man meinen, der Personenstatus würde keine Rolle spielen, es müsse stattdessen bloß darum gehen, Tieren einen höheren Wert zuzuschreiben und so einen besseren Umgang mit ihnen einzufordern.
Doch mit der Zuschreibung eines moralischen Werts ist unweigerlich und immer stärker auch die Forderung nach juristischen Konsequenzen verbunden. Der philosophisch konzipierte Personenstatus ist deshalb eine immanent wichtige Frage in der Debatte um juristisch fundierte Tierrechte.
der Tierschutzorganisation PETA Deutschland e.V.
Quellen