Ein Jemand sein (Teil 2)

Der Personenstatus von Tieren aus rechtlicher Sicht.

Mit der Zuschreibung eines moralischen Werts ist unweigerlich und immer stärker auch die Forderung nach juristischen Konsequenzen verbunden. Der philosophisch konzipierte Personenstatus ist deshalb eine immanent wichtige Frage in der Debatte um juristisch fundierte Tierrechte.

Der erste Teil des Beitrags hat gezeigt, dass der Personenstatus in der Geschichte der Philosophie immer unter dem Zieldruck des Machterhalts bestimmter Menschen stand. Die Veränderungen in der Gesellschaft weisen aber darauf hin, dass sich die Art und Weise, wie wir andere Tiere sehen und moralisch bewerten, ständig weiterentwickelt. Die im Beitrag zuvor beleuchtete Moral-Philosophie zur tierlichen Person macht klar: Wir müssen aufhören, die Dinge nur aus menschlicher Perspektive zu betrachten und die Bedürfnisse anderer Spezies außer Acht zu lassen, und zwar auch – und vor allem – aus rechtlicher Sicht.

Was sagt das Gesetz dazu?

„De lege lata“, übersetzt: Nach geltendem Recht, also nach allem, was in den deutschen und den meisten ausländischen Gesetzen geschrieben steht, sind Tiere keine Rechtspersonen.[1]Der Begriff der Rechtsperson wird hier synonym gebraucht mit den Begriffen Rechtssubjekt oder Rechtsträger:in. Eine Rechtsperson ist jemand, der/die Träger:in von Rechten, also rechtsfähig sein … Weiterlesen Menschen nennt man im Recht auch „natürliche Personen“.

Daneben gibt es „juristische Personen“, das sind Organisationen wie Aktiengesellschaften, rechtsfähige Vereine u. a. Diese können derivativ, also vom Menschen abgeleitet, Rechtspersonenstatus erlangen. Das ergibt sich aus Art. 19 Grundgesetz (GG). Dieser schließt den Katalog der Grundrechte im deutschen Grundgesetz ab. In seinem Absatz 3 heißt es: „Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“ Juristischen Personen stehen Rechte wie etwa die Eigentumsfreiheit und sogar eine Art Persönlichkeitsrecht zu, welches gegen Geschäfts- und Rufschädigung schützen kann.

Diesen Status haben Tiere nicht. Sie werden allein über Art. 20a GG geschützt. Art. 20a GG ist eine Staatszielbestimmung, kein Grundrecht. In solch einer Staatszielbestimmung verpflichtet sich der Staat lediglich, die Tiere zu schützen. „Natürliche Personen“ und „juristische Personen“ werden also anerkannt – und mit „Persönlichkeit“ ausgestattet. Juristische Personen entstehen also erst durch einen Kunstgriff des Gesetzes. Dieser wird aber nicht etwa gemacht, weil Unternehmen für sich besonders schutzwürdig sind, denn streng genommen haben sie keine materielle Existenz, sondern sind reine „Kopfgeburten“. Der Schutz von Unternehmen ist vielmehr immer mittelbar auch den Menschen geschuldet, die ein Unternehmen gegründet haben oder dies ausmachen.

Könnte man gedanklich Art. 19 Abs. 3 GG um die „tierliche Person“ erweitern? Oder könnte man Art. 20a GG als Grundrecht für Tiere verstehen? Allein die Tatsache, dass dies von Teilen der Gesellschaft gewollt ist, ist noch kein Argument dafür. Teilweise wird zwar angeführt, dass jede Erweiterung des Kreises der Rechtspersonen ein mühsamer Prozess war – aber dies trifft noch keine Aussage darüber, ob ein bestimmter Kreis von Lebewesen „Rechtspersonen“ sein kann.[2]Stucki, Grundrechte für Tiere, 2016, S. 77, S. 184, 187 – gegen das sogenannte „historische Ausdehnungsargument“, welches nur eine spekulative Prognose, aber keine stabile Grundlage für die … Weiterlesen

Können Tiere überhaupt Personen sein?

Die bisher fehlende gesetzliche Regelung lässt nicht den Schluss zu, dass ein Tier keine Rechtsperson sein kann.

Das geschriebene Recht bedarf einer ständigen Überprüfung, ob es noch gerecht ist. Es existieren jetzt schon Vorschriften im deutschen Recht, die zumindest Hinweis auf eine Rechtssubjektstellung von Tieren geben können. Art. 20a GG verpflichtet den Staat, die natürlichen Lebensgrundlagen… „und die Tiere“ zu schützen.[3]Hirt/Maisack/Moritz, Kommentar zum TierSchG, 3. Auflage 2016, Art. 20 a GG, Rn. 2f. § 1 Tierschutzgesetz (TierSchG) enthält den Gesetzeszweck, Leben und Wohlbefinden der Tiere als Mitgeschöpfe der Menschen zu schützen – gemeint ist damit auch jedes einzelne Tier aufgrund seines Eigenwerts. [4]Hirt/Maisack/Moritz, Kommentar zum TierSchG, 3. Auflage 2016, Einführung, Rn. 25., § 1, Rn. 3. Tiere sind nach dem Gesetz ausdrücklich keine Sachen, § 90a S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Sie sind sachenähnliche Objekte, an denen Eigentum möglich ist. Dies verdeutlicht die gesetzlich gewollte Unterordnung unter den Menschen – und die Zweiteilung zwischen Mensch und Tier nicht nur im philosophischen, sondern auch im Rechtssinne. Dies steht der Rechtssubjektivität von Tieren indes nicht entgegen; es wird deutlich, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, die Einteilung stehe ihm zu. Es handelt sich also um eine politische Entscheidung.

§ 90a BGB sagt weiter, dass für Tiere besondere Gesetze zu ihrem Schutz gelten, und erweckt den Eindruck, das Tierschutzrecht in Deutschland sei besonders gut. Leider zeigt sich immer wieder, wie dieses vermeintlich gut aufgestellte Tierschutzrecht in Deutschland in der Praxis seit Jahrzehnten versagt.[5]Umfänglich im Gutachten behandelt bei Hahn/Hoven, Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft, 2022; … Weiterlesen Zudem ist die wichtigste Forderung und Folge, die an die Eigenschaft als Rechtsperson geknüpft wird, die Fähigkeit, Rechte zu haben – Subjekt zu sein – und nicht nur in einem festgelegten Rahmen geschützt zu werden – Objekt zu sein. Eigene Rechte und bloßer Schutz mögen in der Tat manchmal zusammenfallen, gleichzusetzen sind sie in ihrer Wirkung nicht, was sich am Beispiel des Tierschutzgesetzes seit 50 Jahren zeigt.[6]https://tierrechtsblog.de/deutschland/eine-frage-der-vernunft/#more-1531 Der Tierschutz in Deutschland reflektiert nur ein konsensuales ethisches Minimum. Eine gesetzgeberische Entscheidung zur Stärkung der Rechtsposition ist folgerichtig nicht nur möglich, sondern auch notwendig.

Es gibt verschiedene rechtsphilosophische Theorien zum Personenstatus, die es in der Folge zu beleuchten gilt.

Recht und Vernunft in Korrelation?

Was macht nun eine Rechtsperson aus? Zu früheren Zeiten wurden vergleichbar mit Locke juristische Rechte an die Vernunftfähigkeit geknüpft. Vernunftfähigkeit wurde nur Menschen zugestanden.[7]Stucki, Grundrechte für Tiere, 2016, S. 210, 216. Diese naturrechtliche Auffassung bezog sich zum Teil auf metaphysische Personalitätsmerkmale, was zu dem merkwürdigen Zirkelschluss führte, dass „nur ein Mensch auch Person sein kann“. [8]Stucki, Grundrechte für Tiere, 2016, S. 209: „Pauschalkriterium der Abstammung“. Der vernunftrechtliche und menschenrechtliche Personenbegriff wurden im Zusammenspiel gesehen, der Begriff der Person war am Ende damit nur ein anderes Wort für Mensch. [9]Stucki, Grundrechte für Tiere, 2016, S. 210. Diese Auffassung ist schon deshalb abzulehnen, weil es in jeder Gesellschaft Menschen gibt, die aufgrund ihres (sehr jungen oder sehr fortgeschrittenen) Alters oder aufgrund geistiger Einschränkungen oder Krankheit nach dieser Theorie nie in ihrem Leben Träger:innen von Pflichten sein können (im Folgenden: „marginalisierte Gruppen“[10]Stucki, Grundrechte für Tiere, 2016, S. 216.). Für Tiere muss dann das Gleiche gelten. Der Ausspruch „Nur eine menschliche Person kann eine Person sein“ im Fall der Elefantin Happy zeigt, dass Menschen sich immer noch darauf berufen, wenn ihnen nichts anderes mehr einfällt.[11]https://www.lto.de/recht/kurioses/k/zoo-elefant-happy-ist-kein-mensch-kein-anspruch-auf-freilassung; … Weiterlesen

Rechte und Pflichten in Korrelation?

Es scheint auf den ersten Blick logisch, Rechte nur in gegenseitigem Wechsel mit Pflichten zu denken (sogenannte Symmetrietheorie oder Theorie von der Pflichtsubjektivität). Wer Rechte haben möchte, muss sie sich in gewisser Hinsicht verdienen. Aber ist das wirklich so? Tiere könnten danach nur Personen sein und Rechte haben, wenn sie gleichzeitig auch Träger von Pflichten sein können. Die Frage stellt sich zum einen, wem gegenüber diese Pflichten bestehen sollen – „der Gesellschaft“, anderen Tieren, den Menschen? Was etwa könnten die Pflichten einer Elefantin gegenüber der Gesellschaft sein – am Ende doch nur, weiter im Zoo zu bleiben und die Menschen zu unterhalten? Zum anderen aber versagt die Theorie von der Pflichtsubjektivität bereits in ihrer Anwendung auf die menschliche Person nach geltendem Recht: Der Abschluss eines Vertrags etwa ist für den Menschen erst mit 18 Jahren einschränkungsfrei möglich – sehr junge Menschen sollen sich nicht „verpflichten“ können.[12]Die Strafmündigkeit startet in Deutschland erst mit 14, und auch die Deliktsfähigkeit ist unter sieben Jahren stark beschränkt. Rechtsperson ist jeder Mensch davon unabhängig ab Geburt – auch marginalisierte Gruppen, die nie in ihrem Leben Träger:innen von Pflichten sein können. Das muss auch für Tiere gelten – unabhängig von der Frage, ob die angesprochenen Rechte für nichtmenschliche Tiere überhaupt relevant sein können.

Interessentheorie als Grundlage

Die Rechtspersönlichkeit von Tieren lässt sich aus der – vorzugswürdigen – Interessentheorie ableiten. Nach dieser wird eine Person durch die intrinsischen, das heißt ihr innewohnenden, schutzwürdigen Interessen zu einer solchen. Diese Wertung findet sich bereits im Schutzgedanken des § 1 TierSchG.[13]Hirt/Maisack/Moritz, Kommentar zum TierSchG, 3. Auflage 2016, Einführung, Rn. 25., § 1, Rn. 3. Letztlich fragt diese Theorie:

Hat ein Lebewesen so etwas wie ein erlebtes Wohlergehen – und hat es Interessen? Die Grenze dessen, was als Interesse eingeordnet werden kann, liegt bei der Empfindungsfähigkeit für Schmerz und Leiden, dem Bewusstsein beziehungsweise der Empfänglichkeit für Lust und Unlust.

Die intrinsische Schutzwürdigkeit ergibt sich aus dem Einbezug übergeordneter Werte – in Deutschland kann dieser über Art. 20a GG geschehen, welcher den Tierschutz wenigstens als ethischen Minimalkonsens festschreibt. Ergo ist bei Bejahung der Interessenfähigkeit keine Pflichtsubjektivität mehr nötig. Daher bedarf es auch keiner aktiven Wahrnehmung von Rechten, Prozessfähigkeit oder sonstigem – die Rechte von Tieren können von Menschen für diese wahrgenommen werden. Das Institut der Verbandsklage im Tierschutzrecht, das in einigen Bundesländern existiert, zeigt, wie das geschehen kann.[14]Auch die Einsetzung etwa von „Tieranwälten“ o. Ä. ist denkbar – um die praktische Durchsetzung soll es aber in diesem Beitrag nicht gehen.

Ergebnis

Weil wir in Deutschland eine geschriebene Rechtsordnung haben, muss auch die tierliche Rechtsperson aus dieser Normordnung hervorgehen. Es ist offensichtlich, dass wir das positive Recht brauchen, um die Situation der Tiere zu verändern. Dann lässt sich das Recht erst für diese nutzbar machen.

Genau wie Menschen haben Tiere arteigene Bedürfnisse. Dazu gehört das Bedürfnis, keine Schmerzen und Leiden zugefügt zu bekommen. Tiere möchten in Freiheit leben, nicht in Zoos oder Versuchslabors oder Ställen eingepfercht sein, in denen sie sich nicht artgerecht entfalten können, vielmehr Qualen und Schmerzen erleiden und dann am Ende getötet, gegessen oder sonsttige Weise verwertet werden. In Freiheit leben heißt auch, den Radius der Bewegung selbst bestimmen zu können, ein Wahlrecht zu haben. Dies setzt nicht voraus, dass die Tiere das Wort Freiheit oder dessen Bedeutung kennen.

Zu tierlichen Grundbedürfnissen gehören auch eine artspezifische Suche und Aufnahme von Nahrung sowie artspezifisches Ruheverhalten.[15]Anschaulich stellt Herbrich, Das System Massentierhaltung im Verfassungsrecht, Berlin 2022, S. 171 ff. die natürlichen Bedürfnisse der Tiere am Beispiel von „Nutztieren“ dar. An der … Weiterlesen Bei sozialen Tieren wie Elefanten gehört der Kontakt zu Artgenossen zum Katalog der Grundbedürfnisse. Viele Tiere wollen Familien gründen, und zwar sexuell selbstbestimmt[16]Sexuelle Selbstbestimmung mag für Tiere etwas anderes bedeuten als für Menschen und setzt nicht voraus, dass sich die Tiere damit gedanklich auseinandersetzen. Der Begriff wird insbesondere zur … Weiterlesen und nicht über Zwangsbesamung und über Elternschaft in grotesk kurzen Zyklen und ohne Familienbund. Manche Tiere gehen lebenslange Verbindungen, viele Tiere Freundschaften ein. All diese Bedürfnisse sind mittlerweile erforscht und können nicht seriöserweise in Abrede gestellt werden. All diese Bedürfnisse können in der Gefangenschaft im Zoo nicht erfüllt werden.

Diese Bedürfnisse erhalten aber in unserer demokratischen Grundordnung nur die erforderliche Aufmerksamkeit und Durchsetzung, wenn sie als Rechte installiert und einklagbar sind. Andernfalls erschöpfen sie sich in dem Schutz, den wir zu Genüge kennen.

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ist seit Dezember 2021 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin mit den Schwerpunkten Tier(schutz)recht, Tierethik und Verfassungsrecht.

Quellen[+]