Tiertransporte aus der EU in Drittstaaten – eine juristische Odyssee (Teil I)

Am 25. November 2019 kenterte vor der Küste Rumäniens ein Frachtschiff. An Bord: mindestens 14.600 Schafe.
Die Crew sowie insgesamt 180 Schafe konnten evakuiert werden. Die restlichen 14.420 Schafe ertranken qualvoll im Inneren des Schiffes. Für sie kam jede Rettung zu spät. Denn wie sich herausstellte, existierte weder ein Evakuierungsplan für die Tiere, noch waren alle Decks und Tiere überhaupt vorschriftsgemäß dokumentiert.[1]Dehghan, Secret decks found on ship that capsized killing thousands of sheep. Secret decks found on ship that capsized killing thousands of sheep, … Weiterlesen

Und auch vom 18. Dezember 2020 bis März 2021 irrten die Schiffe „Karim Allah“ und „Elbeik“ im Mittelmeer umher. Die Schiffe starteten in Spanien, beladen mit über 2.600 Tieren, die am vorgesehenen Zielort aufgrund von Seuchengefahr nicht anlegen durften. Einige der Tiere starben qualvoll auf dem Schiff, die restlichen wurden direkt im Hafen von Cartagena getötet, da sie als „Re-Importe“ keine Einfuhr-Erlaubnis erhielten.[2]Kevany/Kassam, Cattle stranded at sea for two months are likely dead or ‘suffering hell’, … Weiterlesen

Als im März 2021 dann die „Evergiven“ den Suez-Kanal versperrte, wurde das Ausmaß des Leids bekannt: Über 100.000 Tiere mussten ohne Versorgung tage-, wenn nicht wochenlang auf den Schiffen ausharren, bevor sie an ihren Zielort und damit in den sicheren, grausamen Tod gelangen konnten.[3]PETA, Über 100.000 Tiere stecken im Suezkanal fest, https://www.peta.de/presse/ueber-100-000-tiere-stecken-im-suezkanal-fest-statement-von-peta-eu-muss-kommerzielle-tiertransporte-endlich-verbieten/ … Weiterlesen

Die Rechtslage

Seit den 1990er-Jahren gelangen Bilder wie diese immer wieder an die Öffentlichkeit. Sie sind keine Einzelfälle, sondern die traurige Realität für viele Tiere, die tagtäglich aus der EU in weit entfernte Drittstaaten transportiert werden. Doch wie ist die Rechtslage für diese Tiere?

Nachdem Gabriele Fuchs, zuständige Amtstierärztin der Stadt Kempten, im Januar 2012 einen Antrag auf Transportgenehmigung ablehnte, kam es am 23. April 2015 zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)[4]Entscheidung des EuGH vom 23. April 2015, https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=163872&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1 … Weiterlesen, welche die seit 2007 geltende EU-Verordnung 1/2005 sehr zugunsten der Tiere und Amtstierärzt:innen auslegt. So räumten die Richter:innen ihnen einen weiten Ermessensspielraum bei ihrer Entscheidung über Tiertransport-Anträge ein, inwiefern die Angaben des Antragsstellenden bezüglich des Transports realitätsnah sind. Sofern fraglich erscheint, ob die geltenden Tierschutzstandards bis zur Schlachtung am Zielort eingehalten werden können, sind etwaige Anträge durch die Amtstierärzt:innen abzulehnen.

Und die Schlupflöcher in der Praxis

Seit 2018 zeigt eine Vielzahl von Medienberichten[5]2017/2018, 37 Grad/Karremann, Geheimsache Tiertransporte, https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad/37-geheimsache-tiertransporte-100.html ; 2019, Report Mainz, der erfolglose Kampf von Veterinären … Weiterlesen jedoch, dass die realen Bedingungen für die Tiere trotz der verbesserten Rechtslage immer dramatischer werden und die Transporteure diverse Wege zur Umgehung der Rechtslage ausnutzen:

  • Zum einen das „Sammelstellen-Hopping“: Ein Großteil der zuständigen Veterinärämter in Deutschland genehmigt kaum noch Transporte in Drittstaaten, in denen Missstände bekannt geworden sind. Es gibt dennoch einige wenige Amtstierärzt:innen, die weiterhin Anträge bewilligen und Transporte abfertigen. Transporteure nutzen dies und legen teils hunderte Kilometer extra (samt Tieren) zurück, um Sammelstellen in Landkreisen zu erreichen, welche ihre Transporte sicher genehmigen.[6]Maisack/Rabitsch, Verlängerung der Beförderungsdauer durch illegales „Sammelstellen-Hopping“, … Weiterlesen
  • Eine andere Art der Umgehung ist die Zwischenlagerung. Dabei werden die Tiere zunächst in einen anderen EU-Staat transportiert, in dem keine strengen Kontrollen erfolgen. Dort werden die Tiere entladen und untergebracht, mit anderen Gruppen vermischt und einige Zeit weiter gemästet, bevor sie mit Schiffen oder LKW weiter in Drittstaaten reisen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die katalanische Hafenstadt Tarragona, wie eine Dokumentation „Tiertransporte gnadenlos – Viehhandel ohne Grenzen“ des Journalisten Edgar Verheyen gezeigt hat.[7]ARD Doku/Verheyen, Tiertransporte gnadenlos – Viehhandel ohne Grenzen, … Weiterlesen
  • Eine beliebte Methode ist zudem eine Art „Etikettenschwindel“. So wurden 2017 nach offiziellen Angaben nur 64 Rinder ausgeführt, die als sogenannte „Schlachttiere“ klassifiziert wurden, jedoch 79.150, welche an den Zielorten zur Zucht genutzt werden sollten. Vertraut man diesen Zahlen, so müsste es in den betreffenden Drittstaaten zuweilen eine erhebliche Population an Rindern geben. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr werden die angeblich zur Zucht importierten Tiere ebenfalls sofort oder nachdem die trächtigen Kühe ihre Kälbchen zur Welt gebracht haben, geschlachtet.[8]Stellungnahme der DJGT zu Rindertransporten in tierschutzrechtliche Hochrisikostaaten, Seite 7 und 23 f., … Weiterlesen Für die Kontrollen bedeutet dieser Schwindel jedoch, dass die Messlatte zur Genehmigung der Ausreise nicht so hoch ist, da keine EU-rechtlich legale Schlachtung nachgewiesen werden muss.
Gründe für das Vollzugsdefizit

Zur Verschlechterung des Zustands trägt mitunter bei, dass die zuständigen Verwaltungsgerichte die ablehnenden Antragsentscheidungen von Amtstierärzt:innen in Eilverfahren häufig wieder kippten. Die Richter:innen sind zumeist nicht ausreichend mit der komplexen Materie des Tierschutzrechts vertraut. Daher gewichten sie im sogenannten „summarischen“ Eilprüfungsverfahren häufig den grundsätzlichen Anspruch des Transporteurs auf Erteilung der Genehmigung höher als die zu gewährleistenden Tierschutzstandards.[9]Voraussetzungen für Abfertigung, EU-VO (EG) 1/2005, https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32005R0001:DE:HTML#d1e39-1-1 [zuletzt abgerufen am 07.04.2021].

Bisherige Maßnahmen durch PETA

Trotz der vergleichsweise guten rechtlichen Stellung der Tiere im Tierschutztransportrecht leiden diese also faktisch weiter. Es ist daher wichtig, das geltende Recht auch umzusetzen. PETA hat dazu in der Vergangenheit schon eine Reihe von Anläufen gestartet, wodurch die Debatte immer wieder Fahrt aufnahm:

  • Anschreiben an knapp 400 Veterinärämter und die Bundeslandwirtschaftsministerin im April 2018. Enthielten Appell, von der durch den EuGH geschaffenen Rechtslage auch Gebrauch zu machen und weitere Transporte in sog. „Hochrisikostaaten“ bis auf Weiteres bundesweit politisch zu verbieten[10]PETA, Anschreiben an knapp 400 Veterinärämter und die Bundeslandwirtschaftsministerin im April 2018, … Weiterlesen
  • Petitionsübergabe an den bayerischen Umweltminister im Februar 2019[11]PETA, Petitionsübergabe an bayrischen Umweltminister im Februar 2019, https://www.peta.de/presse/fast-29000-unterschriften-in-13-tagen-peta-uebergibt-petition-an-bayerns/ [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen
  • Strafanzeigen gegen verschiedene Amtsveterinär:innen bundesweit vom August 2019[12]PETA, Strafanzeige gegen Amtsveterinäre im August 2019, https://www.peta.de/presse/trotz-extremtemperaturen-und-vorsaetzlicher-tierquaelereien-am-zielort-weiterhin/; … Weiterlesen
  • Strafanzeige gegen Amtsveterinär:innen des Landkreises Trier-Saarburg im Juli 2020 und Demo vor dem Landratsamt in Trier[13]PETA, Strafanzeige gegen Amtsveterinäre des Landkreises Trier-Saarburg im Juli 2020, https://www.peta.de/presse/termineinladung-peta-sensenmann-und-gequaelte-kuh-protestieren-morgen-ab-12/; … Weiterlesen
Erstes Fazit

In jüngster Zeit hat das Thema durch wirksame Öffentlichkeitsarbeit neue Fahrt aufgenommen. Immer mehr Bundesländer verhängen Erlasse zum Stopp von Langstreckentransporten.[14]PETA, Auflistung der Bundesländer, die noch Tiertransporte in Drittstaaten erlauben, https://www.peta.de/themen/tiertransporte/ [zuletzt abgerufen am 07.04.2021]. Und auch die EU hat am 19. Juli 2020 einen Untersuchungsausschuss zum Thema eingesetzt.[15]EU-Parlament, Einsetzung eines Untersuchungsausschusses der EU zum Thema Tiertransporte in Drittstaaten, https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2020-0163_DE.html [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen Einen Blick auf weitere tatsächliche und juristische Hürden im Bereich der Verbesserung des Tierschutzes auf Tiertransporten sowie auf die Situation in anderen EU-Ländern liefert Teil II dieser Beitragsreihe.

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war im Frühjahr 2021 Rechtspraktikantin bei PETA Deutschland e.V. in Berlin und unterstützt den Tierrechtsblog in ihrer Freizeit weiterhin.

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