Something’s right in the State of Denmark

Dänisches Bezirksgericht entscheidet: Auch im Kindergarten ist die Weltanschauungsfreiheit vegan lebender Kinder nach Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützt.

Vegan lebendes Kind: geschützt durch die Europäische Menschenrechtskonvention

Im dänischen Jammerbugt (Region Nordjütland) besuchte ein vegan lebendes Mädchen den örtlichen Kindergarten in Trägerschaft der Gemeinde. Der Kindergarten und die Gemeinde weigerten sich, der Tochter veganes Essen zu stellen – und schlugen auch die Bitte der Eltern ab, sie zuhause mit einem Lunchpaket auszustatten; dies selbst bei Übernahme der Zahlungen für die regulären, nicht-veganen Mahlzeiten durch die Eltern. De facto wäre das Mädchen also gezwungen gewesen, sich im Kindergarten auch mit Fleisch und anderen nicht-veganen Lebensmitteln zu ernähren – oder gar nichts zu essen. Die Familie zog mit Unterstützung durch die Vegetarische Gesellschaft Dänemark (DVS) vor das Bezirksgericht in der Stadt Hjorring (entspricht dem deutschen Amtsgericht) und machte geltend, das Verhalten des Kindergartens sei eine Diskriminierung des Mädchens gegenüber den anderen Kindern. Der faktische Zwang zur Teilnahme am fleischhaltigen Ernährungsprogramm des Kindergartens stehe ihrer klaren inneren Überzeugung entgegen. Der Rechtsstreit wurde zunächst durch Spenden finanziert.

Das Bezirksgericht stimmte der Argumentation zu und entschied damit als erstes dänisches Gericht (konsequent der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte folgend): Veganismus fällt unter die rechtlich geschützte Weltanschauungsfreiheit nach Artikel 9 der EMRK.[1]Nach Auffassung der Beteiligten gab es wohl vor allem ein Kommunikationsversagen im Vorfeld, für welches aber die Gemeinde die rechtliche Verantwortung übernehmen muss. Das Urteil im Volltext nebst … Weiterlesen

Im Urteil heißt es:

„Das Gericht stellt fest, dass (die Tochter) aufgrund der fehlenden Möglichkeit, im Kindergarten der Wahl ausschließlich veganes Essen zu bekommen und der gleichzeitigen Weigerung, ihr eigenes Lunchpaket mitbringen zu dürfen, schlechter behandelt wurde als Kinder, die keine vegane Überzeugung leben. Sie war allein aufgrund ihrer veganen Überzeugung daran gehindert, die kommunale Kindertagesstätte zu besuchen, die ihre Eltern für sie als beste erachteten. Dadurch war sie einer mittelbaren Diskriminierung ausgesetzt. Die diskriminierende Behandlung kann nicht als sachlich und angemessen angesehen werden und stellt einen Verstoß gegen Art. 14 in Verbindung mit Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention dar.“

 Das Gericht befand nicht darüber, ob der Kindergarten veganes Essen anbieten müsste – allein die Diskriminierung wurde festgehalten. Als symbolische Kompensationszahlung musste die Gemeinde umgerechnet 1500 Euro an die Kläger:innen bezahlen und zusätzlich die Gerichts- und Anwaltskosten tragen.[2]Dänisches Gericht beschließt: Veganer*innen unter Europäischer Menschenrechtskonvention geschützt – Vegan News (vegan-news.de).

So entscheiden Gerichte in Deutschland

Deutsche Gerichte prüften in der Vergangenheit den Schutz der säkular-ethisch begründeten veganen Lebensweise im Zusammenhang mit privatrechtlichen Dienstverhältnissen (etwa dem Kindergartendienstvertrag und der entsprechenden Leistungspflicht der Träger) oder im Zusammenhang mit öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen (etwa für Soldat:innen bei der Bundeswehr) und legten die betreffenden Fragen im Lichte des Grundgesetzes – Artikel 4 Abs. 1 Grundgesetz (GG), Religions- und Weltanschauungsfreiheit – aus. Abweichend von der zuvor restriktiven Auslegung des Bundesverfassungsgerichts kam erstmals das Verwaltungsgericht Münster[3]Die Entscheidung ist im Volltext abrufbar unter https://rewis.io/urteile/urteil/kg1-09-02-2022-5-k-257620/; zuletzt abgerufen am 25.03.2024. im Jahr 2022 zum Ergebnis: Die säkular-ethisch begründete vegane Lebensweise ist eine schützenswerte Weltanschauung nach Art. 4 Abs. 1 GG. Hier fand endlich eine einheitliche Auslegung des deutschen Grundrechts in Linie mit der EMRK statt.

In Dänemark gibt es übrigens kein Verfassungsgericht – die Instanzgerichte prüfen die Fragen zur Auslegung der dänischen Verfassung inzident. Es gibt auch kein dem Artikel 4 Abs. 1 GG vergleichbares einheitliches Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, sondern lediglich die Religionsfreiheit. Dies liegt daran, dass es in Dänemark noch eine Staatsreligion gibt, unterschiedliche Religionen also schon nach der dänischen Verfassung nicht alle gleich behandelt werden. Auf die Auslegung der Weltanschauungsfreiheit hat das allerdings keinen Einfluss, denn das Gericht greift bei der Beurteilung der Frage nach dem Anspruch direkt auf die EMRK zu.

Ausblick

Das dänische Urteil ist auch aus internationaler Perspektive sehr begrüßenswert. Es ist zu hoffen, dass öffentliche Einrichtungen in Dänemark, aber auch sonst im europäischen Ausland ihr Verhalten und gegebenenfalls ihr Angebot nach dieser Rechtsprechung ausrichten werden – als ein etwas verspätetes Zeichen, auch Minderheiten mitzudenken und nicht diskriminieren zu wollen. Diese Entwicklung wird der veganen Lebensweise in der Mitte der Gesellschaft zu mehr Raum verhelfen – in Gestalt eines Angebots an Interessierte, die sich mit der Thematik befassen möchten. Ein säkular-ethisch motivierter veganer Lebensstil[4]Auch einfach nur als „säkular-ethischer Veganismus“ bezeichenbar. beschreibt keine Diät oder bestimmten Diktaten unterworfene Randerscheinung – sondern vielmehr die von einer inneren, umfassenden Überzeugung getragene Idee, keinem Lebewesen Leid zuzufügen.

Am 25. April 2024 wird es ein Urteil in einem weiteren von der DVS angestrengten Fall geben. Hier hatte eine schwangere Frau in einem Krankenhaus bisher keine vegane Mahlzeit bekommen. Sie wurde zuletzt aufgefordert, für den Geburtstermin ihre eigene Verpflegung ins Krankenhaus mitzubringen.

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ist seit Dezember 2021 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin mit den Schwerpunkten Tier(schutz)recht, Tierethik und Verfassungsrecht.

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