Immer noch gefährdet: der Wolf in Europa
Der Wolf gilt als gefährdete Art. Die Einordnung erfolgt deshalb, weil seine Population sich noch immer in keinem günstigen Erhaltungszustand befindet. Das bedeutet, es gibt nicht genug Wolfsindividuen, um ein Überleben ohne Inzucht zu sichern.[1]FAQ auf der Website des Bundesministeriums für Umwelt, abrufbar unter BMUV: Wolf | Cluster, zuletzt abgerufen am 12.07.2024. Der Wolf ist daher in den meisten EU-Mitgliedstaaten und vielen anderen europäischen Ländern gemäß der Berner Konvention und der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) streng geschützt und darf nicht gestört, gefangen, getötet oder wirtschaftlich gehandelt werden. Ausnahmen und damit die „Entnahme“, d.h. die Tötung einzelner Wölfe sollen etwa möglich sein, wenn Menschen von einem Wolf bedroht wurden oder wenn ein bestimmter Wolf wiederholt geeignete Herdenschutzmaßnahmen überwunden und „Nutztiere“ getötet hat. In Deutschland regeln dies die §§ 44, 45 Abs. 7, 45 a Abs. 2 Bundesnaturschutzgesetz.
Wirtschaftliche Konkurrenz zwischen Landwirt:innen und Wolf?
In Österreich wurden im Jahr 2023 104 Wölfe nachgewiesen – und im selben Zeitraum 14 sogenannte „Risiko- und Problemwölfe“ abgeschossen.[2]Quelle: Österreichzentrum Bär Wolf Luchs; Entnahme Beutegreifer – Österreichzentrum (baer-wolf-luchs.at), zuletzt abgerufen am 12.07.2024. Die Abschüsse geschahen auf der Grundlage von Verordnungen – kombiniert mit der Praxis, Almen als „nicht schützbare“ Gebiete einzustufen, also Gebiete, in denen keine Herdenschutzmaßnahmen funktionieren.
Zur Erinnerung: Auch in Deutschland wird versucht, den Schutzstatus des Wolfs aufzuweichen. Ende des Jahres 2023 beschloss die Umweltministerkonferenz der deutschen Bundesländer (UMK) sogar, dass Wölfe, die sich innerhalb von 21 Tagen nach einem Riss innerhalb eines Umkreises von einem Kilometer zu einer Rissstelle lediglich aufhalten, nach entsprechender Genehmigung abgeschossen werden können – ohne Zuordnung zu einem Vorfall, ohne Gentest. Dieser Beschluss war/ist bundes- und europarechtswidrig – der Tierrechtsblog berichtete. Trotz vorgeschobener Begründung – unter anderem eine Abwägung des Schutzstatus der Wölfe mit dem angeblichen „Weidetierschutz“ – war von Anfang an erkennbar: Das eigentliche Ziel war es, die Weidetierhalter:innen zu beruhigen und ihre Profite zu sichern.
Mittelbare wirtschaftliche Schäden rechtfertigen keinen Abschuss
Auch in Österreich entspricht der Schutzstatus des Wolfes dem oben beschriebenen. Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte kürzlich über den Abschuss eines Wolfs zu entscheiden, dessen Tötung von der Tiroler Landesregierung „vorübergehend“ gestattet worden war. Mehrere Tier- und Umweltschutzorganisationen hatten diesen Bescheid gerichtlich angefochten. Das Landesverwaltungsgericht hatte bei der Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit des österreichischen Wolfsjagdverbots – und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) diese und drei weitere darauf bezogene Fragen nun im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vor.[3]Der Bescheid und die Anträge sind abrufbar unter cp240111de.pdf (europa.eu); zuletzt abgerufen am 12.07.2024. Der EuGH bestätigte in seiner Entscheidung[4]Abrufbar auf der Website des Gerichtshofs der Europäischen Union unter cp240111de.pdf (europa.eu); zuletzt abgerufen am 12.07.2024. den Schutzstatus des Wolfes und die auch für Österreich weiterhin verbindliche Wirkung von FFH-Richtlinie und Berner Konvention – und betonte den Erhaltungszustand des Wolfes als „ungünstig“. Ferner stellte er in seiner Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen klar, dass mittelbare wirtschaftliche Schäden für die Nutztierhalter:innen unter keinen Umständen einen Wolfsabschuss rechtfertigen können – und ein Abschuss immer die Ausnahme bleiben muss. Der Schutz der möglicherweise durch Wolfsrisse gefährdeten Weidetiere durch Zäune oder Hunde sei immer vorrangig – und gegebenenfalls auch vorrangig von den Mitgliedsstaaten zu finanzieren.
Der EuGH bleibt sich treu
Der EuGH bleibt seiner Ausnahmerechtsprechung[5]Dazu Giesberts/Reinhardt, in: Beck’scher Online-Kommentar zum Umweltrecht, 69. Edition, § 45a BNatSchG, Rn. 12f ; Gerhold/Mittag, „Die bayerische Wolfsverordnung: ein (europa-)rechtswidriger … Weiterlesen treu und unterstreicht: Den Interessen des Wolfes stehen vor allem finanzielle Positionen und Erwartungen der Weidetierhalter:innen und der Mitgliedstaaten gegenüber. Diese sind aber nicht gleich schützenswert wie der Erhaltungsstatus des Wolfs. Von den Versuchen der Weidetierhalter:innen und der Behörden, diese Fakten zu verdunkeln, indem auf die Ängste in der Bevölkerung und sogar den angeblich gewollten „Schutz“ der Weidetiere abgestellt wird, die sie letztlich selbst auf die Schlachtbank schicken, hat sich das Gericht nicht beirren lassen.
Diese Auslegung des EuGH ist für alle Mitgliedstaaten relevant. Die bisherige Praxis Österreichs, die Almen pauschal als „nicht schützbare“ Gebiete einzustufen, ist nun erst recht nicht mehr haltbar – und die Hervorhebung der Vorrangigkeit des Weideschutzes zeigt deutlich, dass der Gerichtshof die abzuwägenden Positionen klar identifiziert.
Die Entscheidung ist gegenwärtig sicher positiv zu bewerten, soweit sie die Abschussbereitschaft zunächst hemmt. Dennoch bleibt die Frage aktuell: Wie werden die Konflikte gelöst, wenn der strenge Schutzstatus des Wolfs einmal nicht mehr gilt, weil der Erhaltungsstatus günstig ist? An dem menschengemachten Risiko für die sogenannten Nutztiere auf der Weide (und damit für die Wölfe) muss sich etwas ändern – und hier können Weideschutzmaßnahmen nur vorübergehend helfen. Auf lange Sicht liegt die Lösung nur in einem Ausstieg aus der Tierwirtschaft – und dem Wechsel zum biozyklisch-veganen Landbau. Damit ziehen sich die Menschen zurück aus dem Territorium der Wölfe – und Millionen von „Nutztieren“ bleibt ein bitteres Schicksal erspart.
ist seit Dezember 2021 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin mit den Schwerpunkten Tier(schutz)recht, Tierethik und Verfassungsrecht.
Quellen