Vegane Alternativen zu Milchprodukten: Der rechtliche Kampf um die Bezeichnungshoheit (Teil I)

Teil I:

Milchprodukte und deren vegane Alternativen

Von einer Lobby, die auszog, vegane Produktbezeichnungen zu verbieten – oder berechtigte Initiative zum Schutz der Verbrauchenden? Urteilen Sie selbst.

Viele Verbrauchende haben mitbekommen, dass es im Jahr 2020 auf EU-Ebene eine Initiative gab, fleischähnliche Bezeichnungen von veganen Produkten verbieten zu lassen. Gleichzeitig wurde angestrebt, die Beschränkungen bei der Bezeichnung veganer Alternativen zu Milchprodukten weiter zu verschärfen.

Diese Initiative wurde unter dem Stichwort „Burgerban“ in den entsprechenden Fachkreisen diskutiert. Hinter ihr verbirgt sich ein harter Kampf um Marktanteile.

Die verschieden Interessengruppen

Um die rechtlich und marktwirtschaftlich komplexen Strukturen besser zu verstehen, ist es sinnvoll, zunächst die entgegengesetzten Interessenslagen des Marktes darzustellen.

Auf der einen Seite ist die Fleisch- und Milchindustrie, die über das Landwirtschaftsministerium und entsprechende Lobbygruppen und Verbände in der Bundesrepublik Deutschland stark positioniert ist, als wichtiger Player zu betrachten.

Auf der anderen Seite stehen die Konsument:innen und Produzent:innen veganer Produkte.

Vegane Verbrauchende möchten bei der Produktwahl möglichst schnell und zielsicher vorgehen können. Bei Produktbezeichnungen wie zum Beispiel eines veganen Schnitzels Wiener Art oder eines veganen Cordon Bleu haben vegane Verbrauchende allein durch die Bezeichnung ein klares Verständnis davon, was sie bei dem Produkt an verschiedenen Geschmackskomponenten erwartet. Vegan lebende Menschen wollen auch die traditionellen Zubereitungsarten genießen, sofern sie in tierleidfreier Aufbereitung existieren.  Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht der veganen Verbrauchenden wie auch aus Sicht der Produzenten veganer Produkte sinnvoll, die gewünschten Produkte im Ladenregal leicht aufzufinden. Zudem hat sich in diesem Bereich über viele Jahre bereits eine entsprechende Bezeichnungspraxis herausgebildet. Gerade für die Pionierfirmen ist es bedrohlich, wenn sie ihre Produkte nicht mehr zielgruppengerecht und leicht auffindbar bezeichnen können. Durch die Pflicht, neue Bezeichnungen gestalten zu müssen, entstehen auch hohe Zusatzkosten, und vorgedruckte Verpackungen werden zur Makulatur. Auch für Restaurantbetriebe wird es schwieriger, die entsprechenden Alternativprodukte anzubieten.

Unübersichtliche nationale und internationale Rechtsquellen

Während in der Öffentlichkeit immer die rechtlichen Begrifflichkeiten „Verbrauchertäuschung“ oder „Irreführung des Verbrauchers“ erörtert werden, sind die rechtlichen Grundlagen im Nahrungsmittel- recht vielfältig, und deren Zusammenwirken ist sehr komplex. Bei der Beurteilung der entsprechenden Rechtsfragen sind neben nationalen Gesetzen auch internationale Normen zu berücksichtigen. Die führt zu juristischem Klärungsbedarf.[1]Einen umfassenden Überblick zu Rechtsquellen und Rechtsprechung in diesem Zusammenhang finden Sie bei Gottwald/Müller-Amenitsch Urteilssammlung Veggie Food, Behrs Verlag 1. Auflage 2020 S. 18 ff.

Entscheidend für Hersteller:innen, die wegen angeblicher Fehldeklaration mit Unterlassungsklagen konfrontiert werden, ist, dass sie bei der Produktbezeichnung nicht gegen Rechtsvorschriften verstoßen und keine Verbrauchertäuschung betreiben dürfen.[2]Entsprechende Regelungen finden sich hierzu unter § 3a UWG -Rechtsbruch- und 5 UWG -Irreführende geschäftliche Handlungen.

Seitens der Interessenvertreter:innen der Fleisch- und Milchindustrie werden aus Furcht vor Marktanteilsverlusten zunehmend Gesetze, Normen und Leitlinien angestoßen, die entsprechende Bezeichnungseinschränkungen veganer Produkte regeln.

Tofubutter ist verboten – Regulatorische Einschränkungen am Beispiel von Milchprodukten

Ein erster Erfolg aus Sicht der Milchindustrie war sicherlich die Einführung der europaweiten Beschränkung der Bezeichnung von Milchprodukten durch Erlass einer Verordnung im Jahr 2013.[3]Art. 78 Abs. 2 und Anhang VII Teil III der Verordnung (EU) Nr. 1.3.2008/-2013) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über eine gemeinsame Marktorganisation für … Weiterlesen

Die vorbezeichnete Norm definiert in Art. 78 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 Milch und Milcherzeugnisse für den menschlichen Verkehr wie folgt:

„1. Der Ausdruck „Milch“ ist ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug, vorbehalten.

  1. Milcherzeugnisse in diesem Sinne sind ausschließlich aus Milch gewonnene Erzeugnisse, wobei jedoch für die Herstellung erforderliche Stoffe zugesetzt werden können, sofern diese nicht verwendet werden, um einen der Milchbestandteile vollständig oder teilweise zu ersetzen. Folgende Bezeichnungen sind ausschließlich Milcherzeugnissen vorbehalten [es folgt eine Auflistung; Beispiele hieraus:] Molke, Rahm, Butter, Buttermilch, Butteroil, Kaseine, wasserfreies Milchfett, Käse, Joghurt, Kefir, …“

Im Bereich Käse gilt zusätzlich noch die Käseverordnung vom 14. April 1986. Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei den europäischen Normen um lebensmittelrechtliche Kennzeichnungsvorschriften zum Schutz der Verbrauchenden im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb.[4]Siehe hierzu Landgericht Stade, Urteil vom 28.3.2019, Aktenzeichen 8 O 64/18.

Entsprechend wurden von der Rechtsprechung, teilweise bis hin zum Europäischen Gerichtshof, folgende Produktbezeichnungen für vegane Produkte als rechtswidrig eingestuft: „Tofubutter“, „Reis Spray Cream“, „Käse oder Cheese“, „Pflanzenkäse“, „wie Frischkäse“ und „Naturjoghurt“[5]Foodingredientsfirst, „EU rejects “veggie burger” ban but prohibits dairy-like names for vegan products“, … Weiterlesen.

Kurzer Zwischensieg der Produzent:innen veganer Milchproduktalternativen

Die vorbezeichnete Rechtsprechung wurde kritisiert, weil sie die geringen statistischen Verwechslungsgefahren bei entsprechend deklarierten Produkten nicht hinreichend bei der Gefahrenanalyse der potenziellen Verbrauchertäuschung berücksichtigt hat. So haben Untersuchungen ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit, unbeabsichtigt ein veganes Produkt zu kaufen, äußerst gering ist. Zudem wurde betont, dass auch Verbrauchende veganer Produkte ein berechtigtes Interesse daran haben, ihre Produkte im Markt aufzufinden.[6]Gottwald/Müller-Amenitsch, Urteilssammlung Veggie Food, Behrs Verlag 1.Auflage 2020 S.18 ff.

Schließlich wurden in den Niederlanden und insbesondere auch in der Bundesrepublik Deutschland Urteile zugunsten der veganen Produktbezeichnungen gefällt.

Meilenstein: Das Happy-Cheese-Urteil

Die Bezeichnung vegane Alternative zu Käse wurde 2019 vom Landgericht Stade und dem entsprechenden Oberlandesgericht als gesetzeskonform angesehen, da das Produkt nicht als Käse bezeichnet wurde, sondern lediglich in eine Beziehung zu dem Milchprodukt gesetzt wurde, ohne es jedoch als solches zu bezeichnen.[7]Siehe hierzu Landgericht Stade, Urteil vom 28.3.2019, Aktenzeichen 😯 64/18.

Milchindustrie gewinnt mit regulatorischen Mitteln vorübergehend die Oberhand zurück

Nachdem die Rechtsprechung die Interessen von veganen Verbrauchenden gegen die Interessen vor Verbrauchertäuschung bei omnivoren Verbrauchenden angemessen abgewogen hatte und zu dem Ergebnis gekommen war, dass die Bezeichnung „Vegane Alternative zu …“ zu keinerlei Täuschung der Verbauchenden führt, gab es den Versuch einer regulatorischen Verschärfungsinitiative auf europäischer Ebene. Die Initiative sollte dazu führen, dass auch die vorbezeichneten Alternativbezeichnungen zukünftig nicht mehr möglich sind.[8]Foodingredientsfirst, „EU rejects “veggie burger” ban but prohibits dairy-like names for vegan products“, … Weiterlesen Erfreulicherweise wurde der zunächst angenommene „Änderungsantrag 171“ nach zahlreichen Protesten zurückgenommen.[9]wbs-law, „EU-Parlament lehnt Änderungsantrag 171 ab: „Käse-Alternative“ hat weiterhin Bestand!“, … Weiterlesen

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ist als selbständiger Rechtsanwalt in Berlin tätig. Er organisiert internationale juristische Symposien zu Tierrechts- und Nahrungsrechtsthemen. Zudem unterrichtet er als Lehrbeauftragter für pflanzenbasiertes Verbraucherrecht und Tierrechte an der Fachhochschule des Mittelstandes. Ferner ist er stellvertretender Obmann der DIN-Kommission (DIN NA057-08-03AA „vegane und vegetarische Lebensmittel“) sowie internationaler Experte der ISO-Kommission (ISO WD 23662) zur Definition der Begriffe „vegan und vegetarisch“ für einen weltweiten Industriestandard.

Quellen[+]