Sie brummen, summen, stechen oder spannen sich Nester in unseren Wohnungen. Insekten und Gliederfüßer wie Spinnen sind unbeliebt und werden von einigen Menschen als lästig empfunden. Deshalb werden sie häufig erschlagen, mit speziellen „Hilfsmitteln“ getötet oder einfach eingesaugt. Doch ist das überhaupt erlaubt?
Verletzung des Tierschutzgesetzes?
In Betracht kommt zunächst die Verletzung tierschutzrechtlicher Vorschriften. Insekten und Gliederfüßer sind aber keine Wirbeltiere im Sinne von § 17 Tierschutzgesetz (TierSchG), weshalb eine Strafbarkeit nach dieser Norm ausscheidet. Auch die Bußgeldvorschrift § 18 Abs. 1 Nr. 1 TierSchG ist aus diesem Grunde nicht erfüllt.
Allerdings verbietet § 18 Abs. 2 TierSchG auch die vorsätzliche Verletzung von Tieren, wenn kein vernünftiger Grund hierfür vorliegt.
Mit „Tier“ ist an dieser Stelle jedes Tier gemeint, also auch das wirbellose.[1]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG § 18, Rn. 33. 36. Der Tod des Tieres ist ein „Schaden“ im Sinne der Norm, weshalb das Töten wirbelloser Tieren ohne „vernünftigen Grund“ diesen Tatbestand stets erfüllt.[2]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG § 18, Rn. 36. Ein Verstoß kann mit einem Bußgeld bis zu 25.000 € geahndet werden (§ 18 Abs. 4 TierSchG).
Ein rechtfertigender vernünftiger Grund für das Zufügen von Schmerzen liegt wiederum vor, wenn er triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen ist und er zusätzlich unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit und an seinem Wohlbefinden.[3]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG §1 Rn. 33. An einem vernünftigen Grund fehlt es, wenn zur Erreichung des angestrebten Zweckes ein milderes, weniger stark in Leben, Unversehrtheit und Wohlbefinden des Tieres eingreifendes Mittel zur Verfügung steht.[4]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG §1 Rn. 33. Wer wissentlich eine Spinne mit einem Staubsauger einsaugt, obwohl die Möglichkeit besteht, sie mit einem Glas nach draußen zu befördern, erfüllt daher den Tatbestand des § 18 Abs. 2 TierSchG. Die Interessen der Spinne am Leben überwiegen. Dies gilt insbesondere, weil es das mildere Mittel gibt, die Spinne lebend nach draußen zu setzen.
Verletzung des Bundesnaturschutzgesetzes?
Neben der oben dargestellten Verletzung des Tierschutzgesetzes kann darüber hinaus das „unvernünftige“ Fangen, Verletzen oder Töten eines wild lebenden Tieres einen Verstoß gegen das Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) und eine Ordnungswidrigkeit darstellen, §§ 69 Abs. 3 Nr. 7, 39 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Der Verstoß kann mit einem Bußgeld bis zu 10.000 € geahndet werden. „Wild lebend“ meint alle in Freiheit vorkommenden Tierarten.[5]Gläß, in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, 70. Edition, BNatSchG § 37, Rn. 9. Hierunter fallen auch wirbellose Tiere wie Insekten, Schnecken oder Spinnen. Ein vernünftiger Grund im Sinne des § 39 Abs. 1 BNatSchG ist anzunehmen, wenn die Handlung durch Rechtsordnung erlaubt oder sonst „im Rahmen einer Abwägung aus der Sicht eines durchschnittlich gebildeten, dem Naturschutz aufgeschlossenen Betrachters gerechtfertigt erscheint“.[6]Gläß, in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, 70. Edition, BNatSchG § 39, Rn. 6.
Wenn es sich um Tiere einer besonders geschützten Art handelt, verstößt eine Person, die diese Tiere tötet, gegen §§ 69 Abs. 2 Nr. 1 lit. b), 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG und riskiert ein Bußgeld bis zu 50.000 € (§ 69 Abs. 7 BNatSchG). Einen besonderen Schutz haben beispielsweise alle heimischen Bienen- und Hummelarten, Kreiselwespen und Hornissen.
Ist die Art streng geschützt, sehen die §§ 71 Abs. 1 Nr. 2, 69 Abs. 2 Nr. 1 lit. b), 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG bei einer vorsätzlichen Tötung eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor. Unter strengem Schutz steht zum Beispiel die Flussuferwolfspinne.
Sanktionierung in der Praxis
Obwohl die oben genannten Handlungen für viele Menschen zum Alltag gehören und sie deshalb bei lebensnaher Betrachtung regelmäßig gegen diese Tatbestände verstoßen, werden diese Tötungen nur sehr selten sanktioniert. Auf Nachfrage, wie viele Verfahren im Zusammenhang mit der Tötung wirbelloser Tiere seit Anfang des Jahres 2023 geführt wurden, teilte beispielsweise das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz Saarland mit, dass keine derartigen Verfahren bekannt seien. Die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft der Stadt Hamburg erklärte auf eine Anfrage hin, dass im Jahr 2023 keine [artenschutzrechtlichen] Bußgeld- oder Strafverfahren wegen der Tötung von wirbellosen Tieren gelaufen seien.
Mögliche Gründe für die Sanktionslosigkeit
Ein Grund für die Sanktionslosigkeit dürfte sein, dass die Tötungen im Regelfall unbemerkt bleiben, weil sie in den eigenen vier Wänden stattfinden. Hinzu kommt, dass Tötungen von wirbellosen Tieren kaum gemeldet werden, weil sie als „normal“ empfunden werden. Von etwa 4.000 Hinweismeldungen, die PETA Deutschland e.V. jährlich über das Whistleblower-Formular erhält, betrafen etwa 0,025 % die Tötung wirbelloser Tiere, beispielsweise im Rahmen von Kunstprojekten.
Menschen teilen Tiere in der Regel in Kategorien ein: „Haustiere“ gehören zur Familie, „Nutztiere“ werden für ihre Haut, ihr Fleisch oder andere „Erzeugnisse“ ausgebeutet und wirbellosen Tieren wird oft überhaupt kein Lebensrecht zugesprochen. Grund hierfür ist die in menschlichen Denkmustern tief verankerte speziesistische Annahme, eine bestimmte Art sei wichtiger oder wertvoller als eine andere, was dem Menschen das Rechte gäbe, andere Lebewesen aus selbstbezogenen Gründen zu töten. Diese Annahme ist grundlegend falsch. Laut dem Biologen Dr. Mark Benecke sind die kleinen Tiere viel zu faszinierend, um sie „einfach plattzumachen“. Er empfiehlt, Spinnen als neue Mitbewohner zu betrachten.[7]Der Spiegel, Silberg, Angst im Netz, Darf ich Spinnen töten? https://www.spiegel.de/psychologie/spinnen-toeten-oder-nicht-tipps-von-mark-benecke-a-55e339a9-2b85-4be7-9853-8fba8db0a4ee [zuletzt … Weiterlesen Zudem seien sie für den Kreislauf des Lebens unersetzlich. Seit Jahrzehnten beklagt die Wissenschaft allerdings ein massives Insektensterben. Dieses ist vorrangig auf die intensive Landwirtschaft, den Einsatz von Pestiziden, die Zerstörung des Lebensraumes und die Klimakatastrophe zurückzuführen.
Tipps für den Umgang mit Insekten und Co.
Auch ein toleranterer Umgang mit wirbellosen Tieren kann durch jede:n Einzelne:n von uns erfolgen. Wer diese Tiere nicht mag, muss sie nicht töten. Vielmehr helfen einfache Tipps: Ein abseits platzierter Teller mit aufgeschnittenem Obst kann beispielsweise Wespen vom eigenen Essen ablenken, Spinnen können mittels Papier und Glas aus der Wohnung getragen werden und Netze an den Fenstern halten Fliegen oder Mücken davon ab, in die Wohnung zu fliegen. Auch tierfreundliche Fruchtfliegenfallen lassen sich mit einfachen Mitteln bauen. Ameisen können Sie mit Gerüchen wie Lavendel oder Zitrone zum Auszug bewegen.
Töten Sie niemals vorsätzlich wirbellose Tiere, sondern respektieren Sie ihr Recht auf Leben wie auch das von Hunden, Katzen und allen anderen Tieren.
Ist seit März 2023 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin und befasst sich schwerpunktmäßig mit tierschutzrechtlichen Themen.
Quellen