Wie die geplante Jagdrechtsnovelle zahlreichen Rehen das Leben kosten wird.
Hinweis: Im folgenden Artikel wird die Sprache des Bundesjagdgesetzes verwendet. Diese Sprache ist speziesistisch und verharmlost das Tierleid, das durch die Jagd ausgelöst wird. Die Autorin verwendet diese Sprache jedoch, um die aktuelle Rechtslage richtig wiederzugeben.
Einleitung
Am 21. März war Internationaler Tag des Waldes. Dieser wurde in den 1970er-Jahren durch die Welternährungsorganisation (FAO) eingeführt und trug in diesem Jahr das Motto: „Wiederaufbau von Wäldern – ein Weg zu Erholung und Wohlbefinden“.[1]https://www.fao.org/international-day-of-forests/en/. Darauf weist auch das von Julia Klöckner geführte Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) auf seiner Internetseite hin und erinnert an den „schwierigen Zustand unserer Wälder“.[2]https://www.bmel.de/DE/themen/wald/waelder-weltweit/tag-des-waldes.html.
Auf der Seite folgt „etwas Waldwissen“ (277.000 Hektar Wald müssen nach Schätzungen von Fachleuten aufgrund der Waldschäden in Deutschland wiederbewaldet werden) und der Link zu einem Video der FAO. Das Video zeigt idyllische Bilder aus grünen Wäldern und verschiedene Waldbewohner, wie den roten Panda, einen Marienkäfer und eifrig krabbelnde Ameisen. Ein Sprecher erklärt den Zuschauer:innen, dass unsere Wälder die Heimat von 80 Prozent aller Landlebewesen seien und man dort eine wundervolle Vielfalt von Arten finde. Dann Schnitt auf ein kauendes Reh. Das Video lobt alle Waldbewohner für die wichtigen Aufgaben, die sie im Ökosystem „Wald“ erfüllten. Sie alle seien „die Helden des Kreislaufs des Lebens, der unseren Planeten erhält“.
Julia Klöckner dankte zum diesjährigen Internationalen Tag des Waldes allen, „die dazu beitragen, dass unser Nationales Aufforstungs- und Waldstärkungsprogramm ein nachhaltiger Erfolg wird“. Mit dieser Äußerung nahm sie Bezug auf den am 24. Februar 2020 veröffentlichten Waldzustandsbericht. Damals kündigte sie in der Pressekonferenz insbesondere Maßnahmen zur Wiederbewaldung an. Als wesentlich hielt sie dort auch die natürliche Verjüngung des Waldes.
Zielsetzung der Gesetzesänderung
Vor diesem Hintergrund ist auch der vom BMEL am 13. Juli 2020 beschlossene Referentenentwurf zur Änderung des Bundesjagdgesetzes und des Bundesnaturschutzgesetzes zu sehen. Als Motivation für die Gesetzesänderung wird in der Begründung ausgeführt, dass eine „an den Klimawandel angepasste Waldbewirtschaftung in der Fläche“ umgesetzt werden solle. Dieser Zielsetzung stünden jedoch „zu hohe Wildbestände“ gegenüber. Diese würden eine „Naturverjüngung behindern“. Der Waldumbau sei „in Anbetracht der durch den Klimawandel hervorgerufenen Dürrekalamitäten[3]Schädigung einer großen Anzahl von Pflanzenkulturen durch Dürre. der letzten Jahre“ notwendig geworden. Angesichts dieses schwerwiegenden Problems überrascht es, dass der Waldumbau „möglichst ohne Schutzmaßnahmen“ vonstattengehen soll. Die Forstwirtschaft soll durch eine Änderung des Hegebegriffs gestärkt werden, der in § 1 Abs. 2 Bundesjagdgesetz (BJagdG) definiert ist. Bisher las sich dieser so:
„(2) Die Hege hat zum Ziel die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepaßten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen; auf Grund anderer Vorschriften bestehende gleichartige Verpflichtungen bleiben unberührt. Die Hege muß so durchgeführt werden, daß Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden.“
In Zukunft soll der Absatz um folgenden Satz ergänzt werden:
„[Die Hege] soll insbesondere eine Naturverjüngung des Waldes im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen ermöglichen.“
Weniger Jagdbeschränkungen
Dem neuen Hegebegriff wird Geltung verliehen, indem wichtige Regelungen zur Jagdbeschränkung geändert werden. Allen voran erfährt § 19 BJagdG eine Änderung.
Diese Norm formuliert sachliche Verbote im Rahmen der Jagd und bildet neben Abschussregelungen, Jagd- und Schonzeiten und der jagdrechtlichen Befriedung ein wichtiges Einfallstor für den Tierschutz im deutschen Jagdrecht.
Die Änderungen in § 19 BJagdG fallen im Referentenentwurf sprachlich kaum auf. In § 19 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG werden in Buchstabe a lediglich die Worte „Rehwild und“ gestrichen und der Buchstabe b vollständig aufgehoben. Tatsächlich sind die Folgen der Neuformulierung weitreichend und für den Tierschutz dramatisch. Aufgrund des neuen Referentenentwurfs soll nun auch auf Rehwild mit Büchsenpatronen, deren Auftreffenergie auf 100 m weniger als 1.000 Joule beträgt, geschossen werden dürfen. Diese Munition hat eigentlich eine zu geringe Durchschlagskraft und war daher für die Jagd auf Rehe verboten. Diese Vorgehensweise galt als unweidmännisch und konnte nicht ausreichend sicher die Schmerzen des Wildes beim Abschuss verhindern.
Diese tierschutzrechtlichen Erwägungen, die aus § 1 Abs. 3 BJagdG und § 1 S. 1 und 2 Tierschutzgesetz (TierSchG) resultieren, werden für das Rehwild durch den Referentenentwurf in Zukunft ausgehebelt. Auch das „übrige Schalenwild“[4]Definition von Schalenwild gemäß § 2 Abs. 3 BJagdG: „Zum Schalenwild gehören Wisente, Elch-, Rot-, Dam-, Sika-, Reh-, Gams-, Stein-, Muffel- und Schwarzwild.“. darf nun mit Büchsenpatronen unter einem Kaliber von 6,5 mm und geringerer Auftreffenergie geschossen werden. An die Waffen der Jäger:innen werden in Zukunft also geringere Anforderungen gestellt, und somit steigt die Menge der zugelassenen Waffentypen.
Nach dem Referentenentwurf soll in Zukunft zudem die Jagd auf Schwarzwild vom Verbot von „Nachtzielgeräten, die einen Bildwandler oder eine elektronische Verstärkung besitzen und für Schusswaffen bestimmt sind“ ausgenommen werden. So soll nun insbesondere Wildschweinen der Schutz der Nacht genommen werden.
Auch die Abschussregelung, die in § 21 BJagdG normiert ist, soll zulasten des Tierschutzes geändert werden. In der Abschussregelung zeigt sich das Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Tierschutzes und der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft.[5]vgl. Schuck/Welp BJagdG § 21 Rn.2.
Bisher durften gemäß § 21 Abs. 2 BJagdG „Schalenwild (mit Ausnahme von Schwarzwild) sowie Auer-, Birk- und Rackelwild“ nur aufgrund eines Abschussplanes bejagt werden. Da der Abschuss nun aber so zu regeln ist, dass eine „Naturverjüngung im Wald im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen“ ermöglicht werden soll, wird nun auch das Rehwild vom Erfordernis eines Abschussplanes ausgenommen. Damit aber nicht genug: Die Parteien eines Jagdpachtvertrages sollen aufgrund des im Referentenentwurf vorgeschlagenen § 21 Abs. 2a BJagdG „einen jährlichen Mindestabschuss für Rehwild“ vereinbaren müssen. Wird dieser Mindestabschuss nicht erreicht, so kann die zuständige Behörde „Maßnahmen nach § 27 anordnen“. Die zuständige Behörde kann also anordnen, dass Jäger:innen unabhängig von den Schonzeiten (!) den Wildbestand verringern sollen. Erfüllen die Jäger:innen das vorgegebene Pensum nicht, so kann die Jagdbehörde die Verminderung des Wildbestands selbst vornehmen lassen.
Folgen der Gesetzesänderung
Wie üblich bei Referentenentwürfen enthält auch dieser am Ende eine Aufstellung der Gesetzesfolgen. Unter dem Punkt „Haushaltsausgaben“ wird mit einem Satz festgestellt: „Dem Bund sowie den Ländern und Gemeinden entstehen durch die vorhergesehenen Änderungen keine Kosten.“ Und dieser Satz ist das Echo zu: „Naturverjüngung des Waldes im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen“. Frau Klöckner hatte in der Pressekonferenz zum Aufforstungs- und Waldstärkungsprogramm noch angekündigt, dass „massiv Geld in die Hand“ genommen würde. Ihr Ministerium hält es jedoch wieder einmal für überflüssig, dort Geld zu investieren, wo durch Maßnahmen nichtmenschliche Tiere betroffen sind.
Die Umsetzung der Gesetzesänderung wird vor allem zahlreichen Rehen das Leben kosten. Sie werden durch das BMEL als Feinde der Waldrettung dargestellt.
Tatsächlich belegen objektive Studien,[6]Zusammengestellt auf www.peta.de/themen/jagd-hintergrundwissen/. dass Wildschäden nicht aufgrund einer stärkeren Bejagung von Rehen, Wildschweinen oder sonstiger Walbewohner vermieden werden. Jagddruck steigere eher den Energiebedarf der Waldbewohner und sei somit kontraproduktiv. Wildschäden an Baumsetzlingen ließen sich viel eher durch Umzäunungen, Licht- und Lärmanlagen und andere konservative Maßnahmen verhindern. Es käme außerdem dann nicht zu Wildschäden, wenn die Wildtierpopulation endlich ins Gleichgewicht gebracht würde.
Dafür wäre im Rahmen der Hege insbesondere das Anfüttern des Wilds durch die Jäger:innen zu verbieten. Solche Regelungen wären ein milderes Mittel und stellten einen niederschwelligen Eingriff in das Staatsziel Tierschutz (vgl. Art. 20a Grundgesetz) dar. Vor diesem Hintergrund kann auch ein „vernünftiger Grund“, der gemäß § 17 Tierschutzgesetz Voraussetzung für die Tötung eines Tieres ist, nicht ernsthaft angenommen werden. In der Debatte um den Referentenentwurf wurden diese tierschutzrechtlichen Aspekte jedoch nicht aufgenommen, weshalb sich dieser nun erheblicher Kritik insbesondere durch Tierschutzorganisationen ausgesetzt sieht.[7]https://www.presseportal.de/pm/133267/4812862.
Fazit
Mit der Gesetzesänderung wird das Jagdrecht erheblich ausgeweitet und vertieft die Rechtsverletzung, die es ohnehin schon darstellt. Dies geschieht zulasten der Wildtiere und zugunsten der Jagdlobby, die sich unter dem Mantel des Naturschutzes immer weniger Einschränkungen und Regelungen gegenübersieht. Das eigentliche Ziel der Wiederbewaldung wird durch die neuen Befugnisse gänzlich verfehlt. Dies wäre den Beteiligten auch aufgefallen, wenn sie eine ausgewogene Debatte mit allen Interessenvertreter:innen geführt hätten. Der Referentenentwurf ist schließlich wieder einmal ein Armutszeugnis für die Arbeit des BMEL und blanker Hohn gegenüber fünf Millionen Mitgeschöpfen, die jedes Jahr der Jagd in Deutschland zum Opfer fallen.
setzt sich für Tierrechte ein, seit sie die Doku Earthlings gesehen hat. Im Sommer 2019 absolvierte sie einen Teil ihres juristischen Vorbereitungsdienstes in der Rechtsabteilung von PETA Deutschland e.V. Seit Juli 2020 ist sie in Baden-Württemberg im höheren Justizdienst.
Quellen