Bei Trennungen: Sorgerecht für Tiere

Trennungen sind schmerzhaft. Das ist jedenfalls die Regel, wenn sie mit Uneinigkeiten verbunden sind, die nur noch Gerichte lösen können und gilt ganz besonders, wenn von diesem Bruch weitere Personen betroffen sind: egal, ob menschliche oder tierische.

Wenn zwei sich streiten, leidet auch ein Dritter

Wenn sich Eheleute wegen der zukünftig unterschiedlichen Wohnorte darüber streiten, bei wem das Familienmitglied „Haustier“ leben soll, ist das Ergebnis dieser Frage für das Tier weitaus folgenreicher als für die sich Trennenden.

Tiere sind keine Sachen

Ein Tier kann daher nicht einfach verteilt werden wie ein Möbelstück.

Dass Tiere keine Sachen sind, sagt einem nicht nur ein gesundes Moralempfinden, sondern auch § 90a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). In jenem § 90a BGB steht allerdings auch, dass auf Tiere die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.

Da das Gesetz keine explizite familienrechtliche Regelung hinsichtlich eines Sorgerechts für „Haustiere“ bereithält, liegt die rechtliche Lösung solcher Fälle nicht auf der Hand.

Bei wem das Tier nach der Trennung leben darf

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch „Haustiere“ bei Scheidungen und Getrenntleben[1]Meint die Zeit des Trennungsjahres, das einer Scheidung vorausgeht. unter dem Begriff „Haushaltsgegenstände“ zu subsumieren und die Vorschriften über ihre Verteilung entsprechend (§ 90a S. 2 BGB) anwendbar sind.

Bei Getrenntleben ist es in § 1361a BGB geregelt,[2]Die Zuteilung von Haushaltsgegenständen nach § 1361a BGB ist dabei lediglich eine vorläufige Entscheidung. Mit Vollziehung der Scheidung ist § 1361a BGB nicht mehr anwendbar; danach ist § … Weiterlesen wie Haushaltsgegenstände zu verteilen sind.

Wenn tierische Mitbewohner involviert sind, geht man bei der Zuordnung i. S. d. § 1361a BGB jedoch obergerichtlich davon aus, dass die Entscheidungsfindung auch um „Kriterien zu ergänzen ist, die dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich um ein Lebewesen handelt“.[3]OLG Oldenburg (Oldenburg), Beschluss vom 20. August 2018 – 11 WF 141/18, Rn. 3, juris; vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 10 UF 1249/16, Rn. 56, juris. Mit anderen Worten: Man darf diese Tiere rechtlich auch hiernach nicht einfach wie Hausrat behandeln. Für die vorläufige Zuordnungsentscheidung ist vielmehr maßgeblich, welche Lösung für das Tier am besten ist.

Das ist im Kontext dieses „Haushaltsgegenstand-Paragrafen“ spannend, da dieser einer 180 Grad-Wende unterzogen wird:[4]Staudinger/Voppel (2024) BGB § 1361a, Rn. 15. Eigentlich sind es die Interessen der Eheleute (und ggf. ihrer Kinder), von denen die Zuweisungsentscheidung über den Haushaltsgegenstand geleitet werden soll. Hier hingegen sind es der Schutz und die Interessen des Haushalts“gegenstands“ – namentlich des Tieres – die den Ausschlag für die Zuordnung geben.

Methodisch einwandfrei mit dem Staatsziel Tierschutz

Rechtshandwerklich ist diese Einordnung jedoch korrekt:

§ 90a BGB, der klarstellt, dass Tiere keine Sachen sind, wurde 1990 mit der Begründung eingeführt, man wolle das Bekenntnis zum ethisch fundierten Tierschutz auch im Bürgerlichen Recht erkennbarer machen.[5]BT-Drucks 11/5463 v 25.10.1989, S. 1, abrufbar unter: https://dserver.bundestag.de/btd/11/073/1107369.pdf. Diese gesetzgeberische Intention, die seit 2002 sogar – in Gestalt des Staatsziels „Tierschutz“ in Art. 20a Grundgesetz – Verfassungsrang hat, ist bei der Anwendung von Gesetzen über Tiere zu berücksichtigen.[6]OLG Nürnberg, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 10 UF 1249/16, Rn. 55, juris.

Die folgerichtige Entscheidung des Amtsgerichts Marburg

Dieser Linie ist auch das Familiengericht des Amtsgerichts (AG) Marburg Anfang November 2023 gefolgt und ging sogar noch einen lobenswerten konsequenten Schritt weiter.

Der Fall „Bruno

Das AG hatte in einem Trennungsfall darüber zu entscheiden,[7]AG Marburg, Beschluss vom 03.11.2023 – 74 F 809/23 WH. bei welchem Familienteil der Hund Bruno nun während der Trennungsphase leben sollte.

Das Ehepaar hatte Bruno im Jahr 2012 zu sich genommen. Bruno lebte mit ihm in einem Haus mit Garten, bis die Beziehung ihr Ende fand. Als die Ehefrau im August 2023 aus dem gemeinsamen Heim auszog, nahm sie Bruno mit. Der Ehemann wollte jedoch, dass Bruno bei ihm und in dessen altem Zuhause leben kann. Deswegen beantragte er vor Gericht die Entscheidung über die „Zuteilung“ Brunos nach § 1361a BGB und gewann, nachdem das Gericht nach den oben genannten Grundsätzen hierin die tierschutzgerechtere Entscheidung sah: U. a. habe Bruno im alten Zuhause sein bekanntes räumliches Umfeld. Außerdem sei Bruno durch die überwiegende Homeoffice-Tätigkeit des Ehemannes seltener allein, als es bei der Ehefrau der Fall gewesen wäre, die Bruno unter der Woche täglich bis zu vier Stunden hätte allein lassen müssen.

Die sofortige Wirkung als Besonderheit

Bemerkenswert konsequent war das Gericht bei der Annexentscheidung im Punkt „Durchführung“: Es ordnete für die Entscheidung, dass Bruno direkt wieder bei dem Ehemann leben sollte, die sofortige Wirksamkeit an, sodass nicht erst die Rechtskraft des Beschlusses abgewartet werden musste.[8]AG Marburg Beschl. v. 3.11.2023 – 74 F 809/23 WH, BeckRS 2023, 41327 Rn. 21.

Die sofortige Wirksamkeit von Beschlüssen mit ihrer Bekanntgabe ist im Familienrecht eigentlich der Regelfall.[9]§ 40 Abs. 1 Familienverfahrensgesetz (FamFG.) Für Haushalts“sachen“ und Ehewohnungen betreffende Beschlüsse gilt dies jedoch nach § 209 Abs. 2 S. 1 Familienverfahrensgesetz (FamFG) ausdrücklich nicht. Die Abweichung durch Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist nur ausnahmsweise gestattet[10]Gem. § 209 Abs. 2 S. 2 FamFG. – und darin liegt die juristische Beachtlichkeit im hiesigen Sachverhalt. Denn diese Ausnahme ist nur für Wohnungssachen vorgesehen, bei denen die Überlassung notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden – etwa wenn ansonsten das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern gefährdet ist.[11]§§ 209 Abs. 2 S. 2, 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG i.V.m. § 1361b Abs. 1 BGB.

Vergleichbarkeit mit Herausgabe eines Kindes

Aber auch hier hat das Gericht methodisch sauber gearbeitet: Das AG legte die Ausnahmevorschrift mit dem sachgerechten Gedanken aus, dass die konkrete Lage mehr einer solchen gleiche, die z. B. die Herausgabe eines Kindes oder eine Wohnungszuweisung betreffe und weniger die einer Sache.

Das Gericht argumentierte, ein Abwarten der Rechtskraft tue (u. a.) Bruno nicht gut. So könne man Bruno etwa ersparen, die „Anpassungsleistung“ an das neue Zuhause erbringen zu müssen und bis zur Rechtskraft nicht täglich vier Stunden allein zu sein, zumal er sich an das neue Zuhause der Halterin noch nicht übermäßig gewöhnt haben werde. Außerdem sei der Trennungsschmerz (bzgl. der nun folgenden Trennung Brunos von der Halterin) für Bruno in seiner alten Umgebung voraussichtlich besser zu verarbeiten.

Deswegen sei auch § 209 Abs. 2 S. 2 FamFG hier entsprechend anzuwenden.

Leider immer noch Rechtsobjekt

Das AG Marburg hat angesichts unseres anthropozentrischen Rechtssystems vergleichsweise angemessene Maßstäbe für die Beurteilung eines familienrechtlichen Falls aufgestellt, in dessen Mittelpunkt ein Tier stand. Es hat gezeigt, dass auch das deutsche Zivilrecht Einfallstore für Zoozentrismus und tier-interessengerechte Entscheidungen bereithält.

Insgesamt ist die gesamte hier erbrachte Auslegungsleistung aber auch ein Paradebeispiel für die im Recht vorherrschende Ambivalenz zu Tieren: Wir wissen, dass Tiere Individuen mit eigenen Interessen sind und unterwerfen sie dennoch unserer rechtlichen Herrschaft – oft mit allen Grausamkeiten, die beim Unterwerfen anderer schon immer dazugehört haben.

Das ist schmerzlich. Nicht nur für das eigene Bauchgefühl, sondern vielmehr für die Tiere.

Umso deutlicher wird es, wie dringend es eines Paradigmenwechsels in unserem Rechtssystem bedarf: Tiere müssen endlich aus ihrem Rechtsobjekt-Status entlassen und als Rechtssubjekte anerkannt werden; als Träger eigener Interessen und Rechte.

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ist seit April 2020 Justiziarin im PETA-Rechtsteam in Berlin. Sie befasst sich vorwiegend mit Fragen und Fällen des Allgemeinen Tierschutzrechts, des Tierschutzstrafrechts und des Medienrechts.

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