Die Rolle von Tierrechtsorganisationen in Demokratien

Was haben Tierrechtsorganisationen mit Demokratie zu tun? Welchen Platz nehmen sie im demokratischen Staatswesen ein?

Tierrechtsorganisationen sind in der Regel eingetragene Vereine des Privatrechts. Damit unterliegen sie wie alle anderen Vereine dem Vereinsrecht, für das die §§ 21 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie das Vereinsgesetz (VereinsG) und die vereinseigene Satzung maßgeblich sind. Das VereinsG stellt unter anderem Anforderungen an die demokratische Binnenstruktur von Vereinen. Hinzu kommt, dass über Satzungen und andere Vereinstätigkeiten abgestimmt werden muss, wobei grundsätzlich das Prinzip der Stimmengleichheit gilt. Deshalb werden Vereine auch als „Schulen der Demokratie“ bezeichnet und als Basis für die Funktionstüchtigkeit eines demokratischen Gemeinwesens insgesamt angesehen.[1]Braun, Sebastian; Hansen, Stefan; Ritter, Saskia (2007). Vereine als Katalysatoren sozialer und politischer Kompetenzen? Ergebnisse einer qualitativen Studie. In: Local Governance – mehr … Weiterlesen

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages stellten dazu fest:

„Vereine wirken an der politischen Willensbildung mit und wecken das Bewusstsein für eine breite Palette relevanter sozialer Themen. Da sie vielfach frei von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rücksichtnahmen agieren können und auch vor der Befassung mit unpopulären Themen nicht zurückschrecken, wirken sie in der politischen Kultur demokratischer Gesellschaften als innovative und belebende Faktoren, die nicht selten dazu beitragen, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Vereine sind nicht der verlängerte Arm des Staates im Sinne eines Erfüllungsgehilfen, sondern freiwillige Zusammenschlüsse der Bürgerinnen und Bürger, die wertvolle ehrenamtliche Arbeit leisten. Nicht selten erledigen sie Aufgaben für das Gemeinwesen, deren Erledigung ansonsten dem Staat zufiele.[2]Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Bedeutung der Vereine, Vereinskooperation (Netzwerke) für die demokratische Grundordnung. WD1 52/08, S. 11 vom 30.04.2008.

Tierrechtsorganisationen im demokratischen Wertegefüge

Die Förderung des Tierschutzes – hierzu zählt nicht nur die Einhaltung des bestehenden Tierschutzrechts, sondern auch darüber hinaus gehende Forderungen zum Schutze von Tieren[3]VGH Mannheim, Urt. v. 12.03.2020 – 1 S 720/18, Rn. 68. wie etwa der Einsatz für Tierrechte – als Vereinszweck in der Satzung ist eine Voraussetzung für die Zuerkennung des Gemeinnützigkeitsstatus gemäß § 52 Abs. 2 Nr. 14 der Abgabenordnung (AO), der zur Befreiung von der Körperschaftssteuer und der Gewerbesteuer führt. Die besondere Bedeutung des Tierschutzes im Rahmen der objektiven Werteordnung des Grundgesetzes, zu der auch die demokratische Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland gehört,[4]Vgl. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG. folgt schon daraus, dass er als Staatsziel in Art. 20a Grundgesetz (GG) verankert ist und damit prinzipielle Gleichrangigkeit zu anderen Verfassungsgütern inkl. Grundrechten genießt.

Hindernisse bei der Zweckverfolgung

Innerhalb dieses Rechtsrahmens stoßen Tierrechtsorganisationen wie PETA Deutschland e.V. (PETA) bei der Verfolgung des Vereinszwecks bisher an eine Grenze: Tieren werden (nicht nur) in Deutschland Grundrechte vorenthalten. Zwischen Menschen und Tieren hat sich ein auf Gewalt basierender Unterdrückungsdualismus etabliert, innerhalb dessen Milliarden Tiere auf mehrheitlich industrielle Weise von Menschen gezüchtet, eingesperrt, ausgebeutet, gejagt und getötet werden. Für die Nahrungsmittel-, Bekleidungs- und die Tierversuchsindustrie sind es in Deutschland jeden Tag ca. 2 Millionen Tiertötungen – Wassertiere noch nicht eingerechnet. Das Tierschutzgesetz und die darauf beruhenden Verordnungen schützen die Tiere davor nicht. Sie sind vielmehr die Grundlage zur Legalisierung dieser Praktiken – inklusive der gewaltsamen Anpassung der Tiere und ihrer Körper an vermeintliche wirtschaftliche Zwänge. Berücksichtigt man, dass aus biologischer Sicht auch der Mensch ein Tier ist, wird klar, dass die durch das Tierschutzgesetz legalisierte Grenzziehung zwischen Nutzenden und Ausgenutzten willkürlich ist – gleichwohl hat sie sich in den Köpfen der Menschen etabliert.

Neben den legislativen Defiziten gibt es eklatante Missstände auf der Vollzugsebene. Diese betreffen insbesondere den Bereich der landwirtschaftlichen Tierschutzkriminalität, wo Taten nicht ansatzweise ausreichend ermittelt, verfolgt und bestraft werden.[5]Bülte, Zur faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität, online abrufbar unter … Weiterlesen Dem liegen nicht nur blinde Flecken in der Ausbildung der Jurist:innen und Verwaltungsmitarbeitenden zugrunde, sondern auch die Lobbymacht einer Tierindustrie, die in Gremien wie etwa dem Agrarausschuss des Bundestages prominent vertreten ist.

Bedeutung der Tierrechtsarbeit für die Demokratie

Eine der Grundvoraussetzungen für mündige Entscheidungen im demokratischen Staatswesen ist eine Gesellschaft, die über Missstände, deren Ursachen und alternative Optionen aufgeklärt ist. Diese Aufklärungsarbeit leisten Tierrechtsorganisationen durch ungeschönte Informationen über das, was hinter Tierstall- und Schlachthauswänden geschieht – im Fall von PETA seit nunmehr 30 Jahren.

Hiervon ausgehend setzt PETA Deutschland e.V. sich durch Aufklärungsarbeit und Kampagnen unter anderem dafür ein,

  • den Demokratiebegriff, soweit er anthropozentrisch geprägt ist und die Belange von Tieren exkludiert, insoweit zu hinterfragen, dass Tieren künftig Personenstatus und Grundrechte zuerkannt werden. Das soll sicherstellen, dass sie als Betroffene staatlicher Maßnahmen hinreichend mit eigenen Rechten ausgestattet sind, die sie vor Verletzung ihrer Integrität effektiv schützen. Grundrechtskollisionen durch konfligierende Grundrechtsausübung Dritter werden jeweils durch einen Interessenausgleich im Wege des anerkannten Mittels der praktischen Konkordanz gelöst.[6]https://www.tierrechtsblog.de/deutschland/30-jahre-forderung/; vgl. zum Ganzen: Stucki, Grundrechte für Tiere (jur. Diss.), 2016.
  • den „Demos“, das Subjekt im demokratisch-legitimatorischen Prozess, auf die Tiere auszuweiten, da sie als empfindungsfähige Lebewesen von menschlichen Nutzungsinteressen direkt bedroht sind, sich also in grundrechtstypischen Gefährdungslagen befinden, aktuell aber aus dem demokratischen Partizipations- und Repräsentationsprozess vollständig ausgeschlossen werden[7]Siehe PETA-Tierrechtskonferenz 2021 zum Thema „Tiere als politische Akteure – politische Rechte für Tiere https://www.tierrechtskonferenz.de/rueckblick-2021..

Fazit

Die Relevanz von Tierrechtsvereinen im demokratischen Kontext kommt auf mehreren Ebenen zum Tragen:

  • Als Orte gelebter Demokratie sind sie als solche schon Basis und konstitutives Element eines dynamischen demokratischen Gemeinwesens.
  • Durch ihre Aufklärungsarbeit versetzen sie die Gesellschaft in die Lage, auf informierter Basis im Wege pluralistischen Meinungskampfs über den Verfassungswert Tierschutz zu verhandeln. Damit sind sie ein bedeutender Faktor für den demokratischen Erkenntnis- und Willensbildungsprozess im vorpolitischen Raum zu Aspekten verfassungsrechtlich geschützter Werte.
  • Als Verfechter einer inklusiven, pathozentrisch oder gar biozentrisch geprägten Ethik sind sie Impulsgeber einer moralischen Evolution der Gesellschaft, fußend auf demokratischen Grundwerten wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.

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ist seit 2013 Justiziar bei PETA Deutschland e.V. und leitet die Rechtsabteilung PETAs im Berliner Büro. Neben sämtlichen rechtlichen Aspekten sind die Bereiche Tierethik und Tierschutzpolitik Schwerpunkte seines Einsatzes für eine speziesismusfreie Welt.

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