Subjektstatus für Tiere: Die Stellung des Tieres im deutschen Rechtssystem ist bis heute geprägt von Widersprüchen und führt dadurch zu anthropozentrisch motivierten und hierdurch hinterfragungswürdigen Ungleichbehandlungen der Tiere in unserer Gesellschaft.
Im folgenden ersten Teil[1]Auf Fußnoten und Nachweise wird für dieses Blog-Format weitestgehend verzichtet. Zu Nachweisen und weiteren Details verweise ich auf meine Dissertationsschrift: Raspé, Die tierliche Person – … Weiterlesen soll der Status quo der Tiere im Recht kurz vorgestellt und dann in einem zweiten Teil ein möglicher Ausweg aus der rechtlichen Dilemmasituation beschrieben werden.
1. Tiere zwischen Objekt- und Subjektstatus
Lange Zeit galten Tiere schlicht als körperliche Gegenstände und somit als Sachen im Sinne des § 90 BGB. Dies wurde mit der Einführung des § 90a BGB im Jahre 1990 geändert, der lautet:
„Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.“
Gleichzeitig liest sich der sachenrechtliche § 903 BGB wie folgt:
„Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Der Eigentümer eines Tieres hat bei der Ausübung seiner Befugnisse die besonderen Vorschriften zum Schutz der Tiere zu beachten.“
Das Zusammenspiel dieser Paragrafen scheint die Stellung des Tieres hinreichend zu definieren: Tiere sind als körperliche Gegenstände zwar keine Sachen mehr, werden aber weiterhin wie Sachen behandelt. Im Ergebnis sind sie somit Teil einer neuen Kategorie neben den Sachen, aber weiterhin als Rechtsobjekte definiert. Dafür spricht, dass sie im Eigentum von Menschen stehen können. Der Zusatz im § 903 BGB, dass die Tiere besonders geschützt sind, bleibt inhaltsleer, da es für zahlreiche Gegenstände weiterführende Schutzvorschriften gibt, die Eigentumsrechte einschränken können (so zum Beispiel im Denkmalschutz, Naturschutz etc.), ohne dass hierdurch die Eigentumsfähigkeit als solche infrage gestellt wird.
Dichotomie des Rechts
Diese sogenannte Dichotomie des Rechts, also die Zweiteilung des Rechts in Sachen und Personen, welche noch aus dem römischen Recht resultiert, scheint somit auch bezüglich der Tiere ungebrochen, welche sich weiterhin auf der Seite der Rechtsobjekte befinden.
Ganz so leicht lässt sich die aufgeworfene Frage nach dem Rechtsstatus der Tiere jedoch nicht beantworten, denn es lassen sich auch Hinweise auf eine Rechtssubjektstellung von Tieren im geltenden Recht finden. Als Rechtssubjekt bzw. eine Rechtsperson gilt grundsätzlich, wer rechtsfähig ist. Rechtsfähigkeit beschreibt die Fähigkeit, selbstständige:r Träger:in von Rechten und Pflichten zu sein.
Die Symmetriethese
Ein Hauptargument gegen die Rechtsfähigkeit von Tieren wird auf die sogenannte Symmetriethese gestützt, wonach es – kurz gesagt – keine Rechte ohne Pflichten geben kann. Da Tiere uns gegenüber keine Rechtspflichten tragen, könnten sie demnach auch keine Rechte innehaben.
Bei genauerer Betrachtung der Pflichtfähigkeit von Menschen fallen jedoch durchaus Ausnahmen von dieser Regel auf. So wird die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit und somit die Möglichkeit, vertragliche Verpflichtungen einzugehen, erst mit 18 Jahren erlangt, strafmündig werden Kinder erst mit 14, und auch die Deliktsfähigkeit ist unter sieben Jahren stark beschränkt. Es lässt sich somit sagen, dass alle Menschen zu Beginn ihres Lebens keine oder nur beschränkt rechtliche Pflichten tragen können und dennoch von Geburt an rechtsfähig sind, also Rechte innehaben. Dies gilt auch für Menschen, die aufgrund geistiger Einschränkungen oder Krankheit nie pflichtfähig im Rechtssinne werden. Ein relevanter Prozentsatz der Menschen ist somit zeitweise oder dauerhaft nicht pflichtfähig und dennoch uneingeschränkter Rechtsträger, so dass die Symmetriethese nicht als Ausschlussargument von Tierrechten dienen kann.
Auch der Vergleich zu juristischen Personen, der zweiten Rechtspersönlichkeit im deutschen Recht, zeigt, dass diese keineswegs in allen Bereichen, in denen sie Rechte tragen können, auch Pflichten innehaben. Beispielsweise gibt es bis heute kein Unternehmensstrafrecht in Deutschland, und dennoch können Unternehmen in ihren Vermögensrechten geschädigt werden.
Nachdem dieses Gegenargument somit nicht durchgreift, ist weiter zu untersuchen, welche tierlichen Rechtsgüter und daraus entspringende Rechte für Tiere infrage kommen bzw. im deutschen Recht bereits angelegt sind.
2. Existieren bereits tierliche Rechtsgüter?
Der § 1 TierSchG enthält bereits Hinweise auf das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit, nämlich das Freisein von Schmerzen, Freisein von Leiden und die Wahrung der körperlichen Integrität. Jedenfalls werden dort explizit Schmerzen, Leiden und Schäden parallel genannt. Auch weitere Paragrafen können für eine implizite Anerkennung der physischen und psychischen Schmerzfähigkeit und emotionaler und intellektueller Fähigkeiten durch die Legislative herangezogen werden.[2]vgl. §§ 251 II 1, 833, 960 BGB, § 811c ZPO.
Der § 2 Nr. 1 TierSchG („Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen …“) und die flankierenden Tierschutzverordnungen lassen den Rückschluss auf ein weiteres Schutzgut zu, ein Recht auf angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung im Falle der menschlichen Inobhutnahme.
„Tierliches Existenzminimum“
In Anlehnung an das Leistungsgrundrecht des Existenzminimums aus Art. 1, 20 GG kann ein vergleichbares Rechtsgut für Tiere, also ein „tierliches Existenzminimum“, angedacht werden. Als Kehrseite der Inobhutnahme entsteht für das Tier damit ein neues Recht, welches mit dem Staat-Bürger-Verhältnis beim Menschen begrenzt vergleichbar ist.
Recht auf Bewegungsfreiheit
Ein Recht auf Bewegungsfreiheit, welches für Tiere naheliegen könnte, lässt sich im geltenden Recht nur schwer verorten, denn die Grenze für die Beschränkung der Bewegungsfreiheit beim Tier ist laut § 2 Nr. 2 TierSchG erst erreicht, wenn hierdurch Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden entstehen („Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, […] darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden.“). Dann aber greift bereits wieder das Recht auf körperliche Unversehrtheit und lässt der Bewegungsfreiheit damit keinen eigenständigen Geltungsbereich. Auch eine (schmerzfreie) Inbesitznahme, welche regelmäßig eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zur Folge hat, ist nur in seltenen Fällen aus Artenschutzgründen gänzlich untersagt (§ 44 I Nr. 1, II Nr. 1 BNatSchG).
Lebensrecht für Tiere
Am schwierigsten ist die Frage nach einem möglichen Lebensrecht für Tiere zu beantworten. Dies mag verwundern, kann man ein Lebensrecht doch als notwendige Grundlage aller Rechte verstehen. Jedoch wird die Achtung des tierischen Lebens in § 1 TierSchG zwar betont und auch das Leben explizit im Gesetz als schützenswert genannt, dennoch beschreibt das TierSchG in § 4 ff. detailliert, wie Tiere zu töten sind.
Nichtsdestotrotz hat der Art. 20a GG den pathozentrischen Tierschutz mit Verfassungsrang versehen und somit einen Schutz der Tiere um ihrer selbst willen geschaffen. Dieser rechtstechnisch höchstrelevante Schritt darf in keinem Fall unterschätzt werden.
Damit wurde ein Eigenwert der Tiere auf höchster Gesetzesebene anerkannt, denn der Schutz um seiner selbst willen impliziert einen solchen Eigenwert und somit auch den Schutz der Existenz,
also des Lebens. In der Praxis wird dieser Eigenwert allzu oft missachtet, so dass ein eigenständiger Geltungsbereich eines solchen Rechtsgutes zwar angelegt, nicht aber durchgesetzt wird. Von einem eigenständigen Lebensschutz bleibt in der Rechtsanwendung damit derzeit (noch) nichts übrig.
Ausblick auf Teil 2
Aufgrund dieser vielversprechenden Ansatzpunkte für Tierrechte im geltenden Recht wird im zweiten Teil zu diesem Beitrag die Frage beleuchtet, ob Tiere auch rechtspositivistisch einen Subjektstatus erlangen sollten und wie ein möglicher Ausweg aus der rechtlichen Dilemmasituation aussehen könnte.
studierte von 2004 bis 2008 in Hamburg an der Bucerius Law School und in Rom an der LuissGuido CarliRechtswissenschaften. Sie promovierte zum Thema „Die tierliche Person –Vorschlag einer auf der Analyse der Tier-Mensch-Beziehung in Gesellschaft, Ethik und Recht basierenden Neupositionierung des Tieres im deutschen Rechtssystem“.Seit 2013 ist sie als Anwältin für ÖffentlichesWirtschaftsrecht und Compliance in Berlin und München tätig und nimmt unter anderem durch Veröffentlichungen und Vorträge weiter am wissenschaftlichen Diskurs zum Thema „Tierrechte“ teil.
Quellen