Betreute Taubenschläge in den Städten – Akzeptanz statt Vergrämung

Sehnen sich die Menschen wirklich nach Frieden? Der Umgang mit den symbolisch für Frieden stehenden Tauben erlaubt es, zu zweifeln. Zwar erfreuen sich viele Menschen an den tierischen Stadtbewohnern und sehen diese als ein Stückchen Natur im tristen Grau der Städte an.

Allerdings ist nicht jede:r den tierischen Stadtbewohnern wohlgesonnen. Denn obwohl erwiesen ist, dass Tauben keine höhere Gefahr für übertragbare Infektionen auf Menschen als andere „Haus“- und Wildtiere darstellen, halten sich die Vorurteile darüber hartnäckig. Gerade in den (Groß-)Städten fühlen sich viele Einwohnende durch die dort lebenden Schwärme gestört. Als Antwort darauf werden von Städten Fütterungsverbote erlassen oder Abwehr- und Vergrämungsmaßnahmen an Gebäuden angebracht.[1]Elsner: Wege zur friedlichen Koexistenz, Deutsches Tierärzteblatt 8/2008, S. 1040, 1042; Haag-Wackernagel: Gesundheitsgefährdung durch Straßentauben, Vom Tier zum Menschen: Infektionskrankheiten, … Weiterlesen Diese Maßnahmen sind allerdings weder zielführend noch tierschutzkonform. Vielmehr sind die Städte sogar rechtlich dazu verpflichtet, Taubenschläge zu bauen.

Die Stadttaube

Stadttauben sind Nachkommen entflogener oder ausgesetzter „Haustauben“, welche sich den bereits in den Städten angesiedelten Schwärmen angeschlossen haben. Ursprünglich stammt die Taube von der Felsentaube (Columba livia livia) ab. Ca. 5000 v. Chr. wurden diese vom Menschen eingefangen und domestiziert.[2]Weyrather: Stadttaubenmanagment in deutschen (Groß)Städten, Menschen für Tierrechte, 2021, S.3. Wegen ihrer Standorttreue zum beheimateten Taubenschlag wurden die Tauben früher häufig für Botenflüge eingesetzt. Zudem dienten sie lange Zeit als Nahrungsquelle für den Menschen, weshalb sie mit der Eigenschaft gezüchtet wurden, möglichst häufig zu brüten. Anders als Wildtauben brüten Stadttauben bis zu acht Mal im Jahr, sogar im Winter. Mit wachsendem Wohlstand ist das Interesse an den Tauben allerdings verloren gegangen. Die Tauben wurden aus ihren Schlägen vertrieben oder sind selbstständig aus verwahrlosten Schlägen entflogen.[3]Haag-Wackernagel: Gesundheitsgefährdung durch Straßentauben, 7/2010, S. 26. Trotzdem sind das durch die Zucht erlernte Verhalten und die Abhängigkeit vom Menschen geblieben.

Das Leben in der Stadt

Neben den bereits erwähnten vertriebenen oder entflohenen Tauben, die sich mit der Zeit in den Städten vermehrt haben, schließen sich auch immer wieder neue Vögel, wie beispielsweise erschöpfte, verirrte und auch ausgesetzte „Hochzeits- oder Brieftauben“, die den Weg in den beheimateten Taubenschlag nicht wiederfinden, den Schwärmen in den Städten an.[4]Arleth/Hübel:Gutachten:https://www.berlin.de/lb/tierschutz/stellungnahmen/rechtsgutachten_stadttaubenschutz_rechtlicherstatus_kommunale-pflichten-und-zustaendigkeiten-2.pdf.

Mittlerweile haben sich die ursprünglichen Körneresser notgedrungen zu Allesessern entwickelt. Entsprechend ihrer Abstammung (Felsenbrüter) finden sie neben dem Nahrungsangebot auch geeignete Brutplätze in und an den städtischen Gebäuden. Trotzdem ist das Leben unserer Stadttauben hart und nicht artgerecht. Durch die in den Städten betriebenen Sanierungsarbeiten an Gebäuden und den Einsatz von Vergrämungsmaßnahmen drängen sich immer mehr Tauben auf die wenigen noch vorhandenen, aber häufig ungeeigneten Brutplätze. Die Folge ist, dass Tauben gezwungen werden, auf engstem Raum zu brüten (Brutkolonien). Durch die hohe Dichte an Vögeln können sich Keime und Parasiten in der Kolonie weiterverbreiten und vor allem die Jungtiere schwächen. Der Schweizer Biologe Dr. Daniel Haag-Wackernagel spricht hier von „slumähnlichen Bedingungen“.[5]Haag-Wackernagel: Gesundheitsgefährdung durch Straßentauben, 7/2010, S. 26.

Fütterungsverbote

Und obwohl es am Nahrungsangebot in Städten nicht mangelt, ist diese Nahrung meistens nicht artgerecht und führt vor allem bei Jungtieren zu Mangelerscheinungen und nicht selten zum Tod. Zudem werden von den Städten Fütterungsverbote erlassen, die es den Tierschützer:innen untersagen, die Tauben mit artgerechter Nahrung zu versorgen.

Außer Acht gelassen wird allerdings, dass nicht das Zufüttern von guten und artgerechten Lebensmitteln das Problem darstellt, sondern der achtlos hingeworfene Müll auf den Straßen, welcher den Hauptanteil des Nahrungsangebots für Tauben darstellt. Dennoch verlassen die Tauben wegen der bereits erwähnten Standorttreue und der gewissen Abhängigkeit vom Menschen die Städte nicht und leben weiterhin unter artwidrigen Bedingungen.[6]Haag: Ein Beitrag zur Ökologie der Stadttaube, Dissertation, 1984, S. 100 ff.

Abwehr- und Vergrämungsmaßnahmen

Hinzu kommt, dass durch Abwehr- und Vergrämungsmaßnahmen das Leid der Tauben in den Städten noch verstärkt wird. Hierbei handelt es sich meist um technische Vorrichtungen, die zum Schutz der städtischen Gebäude aufgestellt werden. Darunter fallen beispielweise Netze, Taubenspikes und Spanndrahtsysteme, die das Landen und Brüten am Gebäude verhindern sollen. Grundsätzlich können Abwehrmaßnahmen wie beispielsweise Netze mit dem Tierschutzgesetz vereinbar sein, solange diese nur das Landen verhindern sollen. Auch Taubenspikes gelten laut Haag-Wackernagel als tierschutzkonforme Alternative, solange sie das Federkleid nicht durchstoßen. Allerdings ergeben sich in der Umsetzung deutliche Defizite.

Obwohl auch harmlosere Spikealternativen aus Kunststoff oder aus Metall mit abgestumpften Spitzen hergestellt werden, werden immer noch Spikes mit geschliffenen Metallspitzen an Hausfassaden angebracht, welche das Verletzungsrisiko der Vögel erhöhen. Darüber hinaus kann auch bei den harmloseren Alternativen ein Restrisiko nicht ausgeschlossen werden, da gerade unerfahrene Jungtauben und Taubenküken die Gefahr häufig unterschätzen.

Auch Netze werden oft nicht ordnungsgemäß gespannt und selten gewartet. Dies führt dazu, dass sich Tauben und andere Vögel darin verfangen und verletzen können.

Den Tauben wird ohne vernünftigen Grund Schmerz und Leid zugefügt. Nicht selten führen die falsch angebrachten Maßnahmen zu ihrem Tod. Zusätzlich erfüllen diese Maßnahmen erwiesenermaßen nicht ihren Zweck, da „das Problem“ von einem Gebäude in der Stadt nur auf eine andere Fläche verlagert wird.[7]Heß/Reichert,(Bundesarbeitsgruppe (BAG) Stadttauben): Informationsmappe Teil A, Konzept zur tierschutzgerechten Regulierung der Stadttaubenpopulation (Übersicht), 2007, S.3.

Der ethische Tierschutz

Seit der Einführung des Staatsziels Tierschutz im August 2002 werden durch Art. 20a Grundgesetz (GG) nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen und die Umwelt, sondern auch die Tiere geschützt.[8]BT-Drs. 14/8860, S. 3, Veröffentlicht am 23. April 2002. Grundsätzlich verpflichtet Art. 20a GG den Gesetzgeber, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.[9]Caspar/Geissen, „Das neue Staatsziel „Tierschutz“ in Art. 20a GG, NVwZ 2002, 913, S. 914. Gemeinden wird aus Art. 28 II GG ein Recht auf Selbstverwaltung und somit auf eine aktive Beteiligung in ihren eigenen Angelegenheiten zugesprochen. Daraus ergibt sich eine Verpflichtung der Gemeinden, die Situation auch einzelner Tauben wirksam zu verbessern.[10]Jarras/Pieroth, GG, 17. Auflage, Art. 28 Rn. 20. Deshalb erscheint das Zusehen dabei, wie Tauben in den Städten verhungern oder sich an Abwehrmaßnahmen verletzen oder sogar qualvoll sterben, umso fragwürdiger.

Verpflichtung der Städte

Sowohl die Anbringung von Netzen und Spikes als auch die regelmäßig versäumte Kontrolle und Überwachung der Tiere durch die Städte ist nicht mit deren oben genannter Handlungspflicht zu vereinbaren.

Unter anderem sind diese dazu aufgerufen, alle Maßnahmen zu unterlassen, die in irgendeiner Weise auch nur mittelbar zu einer Verschlechterung des Allgemeinbefindens eines Tieres führen könnten. Zudem sind die Städte dazu verpflichtet, gegen tierschutzwidriges Verhalten von Privatpersonen vorzugehen. Deshalb verstößt auch das unsachgemäße Anbringen von Abwehr- und Vergrämungsmaßnahmen durch Privatpersonen gegen die Fürsorgepflicht der Städte.[11]v. Loeper, Eisenhart: Tierschutzrechtskonforme Taubenhäuser, kommunale Taubenfütterungsverbote und Nothilfe für Tiere, NuR (2020), 827, S. 829.

Auch das Auferlegen eines Fütterungsverbotes ohne die Schaffung einer anderen Option führt zu einer Verletzung von § 17 Nr. 1, Nr. 2 Tierschutzgesetz (TierSchG) und ist deshalb nicht mit der Pflicht aus Art. 20a GG zu vereinbaren.[12]Felde, Barbara: Taubenumschau, Die interaktive Druck- und Onlinepresse, 3-2020, S. 4.

Gerade die Coronazeit, in der das Fehlen der Menschen in den Städten zum Verhungern der Tauben geführt hat, hat dies noch einmal verdeutlicht.

Spätestens also seit der Einführung des Staatsziels Tierschutz verletzen Städte ihre Fürsorgepflicht, wenn sie eine für Tauben leidvolle Situation ignorieren, eine solche verschlimmern oder sie sogar selbst herbeiführen.

Die Taube – ein Fundtier?

Zudem ist durch zahlreiche Analysen und Untersuchungen ihres Genpools eindeutig belegt, dass Stadttauben immer noch als „Haus“- und nicht als Wildtiere einzuordnen sind, weil eine Verwilderung (Dedomestikation) nicht stattgefunden hat.[13]Marks: Unsere Haustauben, 1. Auflage, 1971, S. 7.

Gemäß § 3 S. 1 Nr. 3 TierSchG ist es verboten, ein in Obhut eines Menschen lebendes Tier auszusetzen, um sich der Fürsorgepflicht zu entziehen. Demzufolge ist die damalige Aussetzung der Tauben nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam erfolgt. In solchen Fällen findet zum Schutz der ausgesetzten Tiere das zivilrechtliche Fundrecht Anwendung. Obwohl die ursprünglich ausgesetzten Tauben nicht mehr leben, setzt sich das Eigentum der Halter:innen auch an den weiteren Nachkommen der ursprünglich ausgesetzten Tauben fort (§§ 99 I, 953 BGB). Deshalb sind Stadttauben rechtlich gesehen auch nicht i. S. d. § 959 BGB herrenlos.

Sie gelten also als Fundtiere[14]Arleth/Hübel:Gutachten:https://www.berlin.de/lb/tierschutz/stellungnahmen/rechtsgutachten_stadttaubenschutz_rechtlicherstatus_kommunale-pflichten-und-zustaendigkeiten-2.pdf. mit den fundrechtlichen Folgen der §§ 965 ff. BGB.

Verpflichtung einer Stadt als Finderin

Da es nach so vielen Jahren nicht mehr möglich ist, die ursprünglichen Eigentümer:innen zu ermitteln und auch eine Rückführung der verirrten „Hochzeits- und Brieftauben“ selten gelingt, ergeben sich für die Städte gewisse Verpflichtungen, die einem Finder i.S.d. § 966 BGB zum Schutz des Fundtiers zukommen, wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Urteil vom 26.04.2018[15]BVerwG, Urteil vom 26.4.2018 Az. 3 C 24/16. erläutert. Dementsprechend sind die Städte, in der sich die Tauben aufhalten, dazu verpflichtet, diese nach § 2 Nr. 1 TierSchG ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen zu ernähren, zu pflegen und verhaltensgerecht unterzubringen. Hierdurch soll eine Nichtversorgung und damit einhergehendes Tierleid verhindert werden. Insoweit ist auch fundrechtlich von einer Fürsorgepflicht gegenüber den Tauben auszugehen.

Taubenschläge

Neben den zahlreichen, nicht mit dem Tierschutz zu vereinbarenden und evident wirkungslosen Maßnahmen wie dem Fütterungsverbot und dem Aufstellen von Abwehr- und Vergrämungsmaßnahmen haben sich in vielen Städten auch weitaus sinnvollere Maßnahmen wie der Bau von Taubenschlägen nach dem Augsburger Modell etabliert.[16]https://www.tierschutzverein-augsburg.de/wp-content/uploads/2020/09/TaubenFlyer.pdf. Durch den Bau von Taubenschlägen wird nicht nur den Interessen der Bürger:innen Rechnung getragen. Die Städte kommen auch ihrer Verpflichtung aus Art. 20a GG und dem zivilrechtlichen Fundrecht nach, indem sie die Tauben gemäß § 2 TierSchG ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen. Erwiesen ist, dass sich hierdurch das (unerlaubte) Taubenfüttern durch Privatpersonen weitesgehend erübrigt. Nistplätze an Gebäuden werden verringert sowie Verschmutzungen durch Kot reduziert. Zudem fördert man damit einen Tierbestand, der gesünder ist und besser kontrolliert werden kann.[17]Heß/Reichert: Konzept zur tierschutzgerechten Regulierung der Stadttaubenpopulation (Übersicht), 2007, 1 f.

Umsetzung der tierschutzkonformen Maßnahmen

Wichtig ist, dass vor dem Bau der Taubenschläge der konkrete Taubenbestand erfasst wird, damit die Brutplätze im Schlag und die Anzahl der Schläge selbst richtig einkalkuliert werden können. Damit die Tauben auf den Taubenschlag aufmerksam werden, wird häufig Nahrung um den Taubenschlag herum auf den Straßen oder Grünanlagen verteilt. Erst nachdem sich die Tauben im Taubenschlag eingerichtet haben, sollte das Füttern außerhalb des Schlags unterlassen werden. Die Tauben werden ausschließlich im Taubenhaus gefüttert und mit Wasser versorgt. Sobald sie mit dem Brüten beginnen, werden ihre Eier durch Gipsmodelle ausgetauscht.

Vorzugsweise sollten die Schläge an sogenannten „Taubenhotspots“ gebaut werden, also dort, wo sich viele Tauben aufhalten. Denn auch hier hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Taubenschläge, die an Orten stehen, die wenig bis kaum von Tauben genutzt werden, von den standortgebundenen Vögeln nicht angenommen werden.

Die bereits thematisierte Standorttreue der Tauben führt dazu, dass sich die Tiere vorzugsweise im Schlag aufhalten. Diesen verlassen sie nur zeitweise für arttypische Schwarmflüge. Dementsprechend erfolgt auch die Kotausscheidung überwiegend im Taubenschlag.[18]Heß/Reichert (BAG Stadttauben), Informationsmappe A, Konzept (Darstellung), S. 1; Weyrather: Stadttaubenmanagment in deutschen (Groß)Städten, 2021, S. 5 ff.

Wird dem Tierschutz mit betreuten Taubenschlägen Genüge getan?

Obwohl mittlerweile schon über 40 Städte mit dem Ausbau von Taubenschlägen begonnen haben, ist ein langfristiges und tierschutzkonformes Konzept zur nachhaltigen Verbesserung des menschengemachten „Taubenproblems“ noch nicht ersichtlich. Oftmals reichen die erbauten Taubenschläge nicht für die in der Stadt lebenden Tauben aus und dienen nur dem Schein und nicht der tatsächlichen Umsetzung einer tierschutzkonformen Lösung. Auch führen die meisten Städte das Fütterungsverbot fort und setzen auch weiterhin auf Abwehr- und Vergrämungsmaßnahmen, statt auf die tierschutzkonforme Lösung umzusteigen.

Fazit:

Abschließend ist festzuhalten, dass die Städte nicht nur aus dem zivilrechtlichen Fundrecht (§§ 99 I, 953, 966 I BGB), sondern seit 2002 auch aus Art. 20a GG eine Verpflichtung haben, die Tauben artgerecht zu versorgen. Gerade jetzt ist es umso wichtiger, an die bisher mit den Taubenschlägen erzielten Erfolge anzuknüpfen, die Bürger:innen über das „Taubenproblem“ aufzuklären und für das Thema zu sensibilisieren. Denn nicht nur der weitere Ausbau von Taubenschlägen, sondern auch das Mitgefühl eines und einer jeden von uns ist erforderlich, um endlich den gewünschten Frieden zwischen Mensch und Taube einkehren zu lassen. Denn nur so kann eine langfristige und tierschutzkonforme Lösung für unsere Mitbewohner, die Stadttauben, geschaffen werden.

Beiträge

War im Sommer 2023 Rechtspraktikantin bei PETA Deutschland e.V. in Berlin.

Quellen[+]