Die Frage nach dem Zweck von Strafe beschäftigt die Menschen schon seit der Antike. Vergleichsweise jung hingegen ist mit ca. 50 Jahren das Tierschutzgesetz und damit das Bestreben der Menschen, mittels gesetzlicher Strafe auf Tierquälerei zu reagieren.
Nach dem heutigen Verständnis hat die Strafe primär die Aufgabe, weitere Straftaten zu verhindern.[1]Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 4. Auflage 1025, Kap.2.6, S. 40; Meier, Kriminologie, 4. Auflage § 10 Rn. 1. Zum einen soll Strafe generalpräventiv wirken, das bedeutet, die Strafe soll abschreckend auf die Allgemeinheit wirken. Andererseits soll die Strafe verdeutlichen, dass sich das Recht gegenüber dem Unrecht durchsetzt.[2]Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 4. Auflage 1025, Kap.2.3, S. 22. Dieser Strafaspekt der Spezialprävention bezieht sich auf die Wirkung der Strafe bei dem/der Täter:in.
Die Sanktionsform der Strafe besteht aus zwei Elementen: Sie enthält auf der einen Seite ein dem/der Täter:in auferlegtes Übel in Form von Freiheits- oder Geldstrafe, aber auch durch Maßregeln sowie ein sozialethisches Unwerturteil über die schuldhaft begangene Tat auf der anderen Seite.[3]Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 4. Auflage 1025, Kap.2.1, S. 16. Je schwerer die verhängte Strafe ist, desto höher ist der Grad der Missbilligung.
Obwohl das Tierschutzstrafrecht nicht im Strafgesetzbuch (StGB), sondern im Tierschutzgesetz (TierSchG) angesiedelt ist, gelten auch hier die allgemeinen sanktionsrechtlichen Grundsätze. Gerichtliche Sanktionen tierschutzwidriger Handlungen dienen der rückblickenden Bestrafung und zielen darauf ab, Straftaten in der Zukunft zu verhindern.[4]Brenner/Best/Büttner/Krämer, Tierschutzrelevante Straftaten – na und? Eine Analyse der Sanktionspraxis vor dem Hintergrund der Mensch-Tier-Beziehung beteiligter Personen, leidtragender Tiere und … Weiterlesen Doch es sind immer wieder Defizite in der sanktionsrechtlichen Behandlung von Tierschutzstraftaten festzustellen. Es besteht in diesen Fällen häufig ein Konflikt zu den eingangs dargestellten juristischen Grundsätzen zum Sinn und Zweck von Strafe. Dies verdeutlicht folgender Fall aus Hamburg:
Der Sachverhalt
In einem Zeitraum von elf Monaten rieb eine Frau zwischen Juni 2020 bis Juli 2021 fünf Pferde mit einer ätzenden Flüssigkeit ein. Diese erlitten dadurch Schmerzen und bleibende Schäden an der Haut. Der Haflinger Momo konnte wegen der Verätzung etwa ein halbes Jahr seine Augen nicht vollständig schließen. Das Pony Nelly konnte nicht mehr behandelt werden, sodass Nelly eingeschläfert wurde. Das Motiv für die Taten ist unklar.[5]Süddeutsche Zeitung, Ponys auf Koppel mit Salzsäure verletzt: Frau vor Gericht, … Weiterlesen
Die Strafzumessung: Freiheitsstrafe im Strafbefehlsverfahren
Das Amtsgericht Hamburg verurteilte die Frau im Oktober 2023 mittels Strafbefehlsverfahrens zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr.[6]Amtsgericht Hamburg, Strafbefehl vom 16.10.2023 – 236 Ds 7106 Js 402/2. Indem sie mehrere Pferde vorsätzlich mit Säure einrieb, verwirklichte die Frau den Tatbestand der Tierquälerei, § 17 Nr. 2 lit. b) TierSchG. Zudem machte sie sich wegen Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB strafbar, weil vier der misshandelten Pferde im Eigentum anderer Personen standen. Zwar sind Tiere keine Sachen, was § 90a S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) klarstellt. Allerdings können sie Tatobjekte einer Sachbeschädigung sein.[7]Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Auflage 2020, § 303 Rn. 2; ausführlich dazu: Küper, JZ 1993, 435; Graul, JuS 2000, 215. Eigene subjektive Rechte werden Tieren bislang vorenthalten.
Im vorliegenden Fall trug die Frau die Säure an sieben verschiedenen Tagen auf, sodass sie sieben Mal handelte. Für sechs der Einzeltaten beantragte die Staatsanwaltschaft Hamburg im Strafbefehlswege eine Freiheitsstrafe von sechs bis neun Monaten, in einem Fall (bei dem „nur“ der Tatbestand der Tierquälerei erfüllt wurde) forderte sie eine Geldstrafe.
Bei mehreren Einzelstrafen wird nach § 54 StGB die Gesamtstrafe gebildet. Die höchste Einzelstrafe (hier neun Monate Freiheitsstrafe) wird erhöht, wobei die Summe der Einzelstrafen (46 Monate Freiheitsstrafe) nicht erreicht werden darf. Wegen der Höhe der jeweiligen Einzelstrafen wäre eine insgesamt höhere Gesamtstrafe (§ 54 StGB) ebenfalls rechtlich zulässig und wegen der Schwere der Schuld auch geboten gewesen (§ 46 StGB).
Prozessrechtliche Einflüsse auf die Sanktion
Der Grund für die Gesamtstrafe von nur einem Jahr könnte mit der Sanktionierung im Strafbefehlsverfahren zusammenhängen. Denn eigentlich hätte die Hauptverhandlung am 16.10.2023 vor dem Amtsgericht Hamburg stattfinden sollen, doch die Angeklagte erschien nicht zum Termin. Um keinen neuen Verhandlungstermin anberaumen zu müssen und dennoch eine Verurteilung herbeizuführen, stellte die Staatsanwaltschaft Hamburg einen Strafbefehlsantrag nach § 408a Strafprozessordnung (StPO). Die Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung – wie im hiesigen Fall – ist das höchste Strafmaß, das in einem Strafbefehlsverfahren vorgesehen ist (§ 407 Abs. 2 S. 2 StPO). Tierquälerei ist jedoch ein ernstzunehmendes Delikt, dessen Sanktionierung nicht aus Gründen der Prozessökonomie verkürzt werden darf. Hätte eine Hauptverhandlung stattgefunden, wäre die Strafe voraussichtlich höher ausgefallen. Angeklagte dürfen nicht für ihr Fernbleiben von der Hauptverhandlung belohnt werden und durch das Strafbefehlsverfahren einen Vorteil hinsichtlich der Strafzumessung erhalten.
Das Verhängen von Freiheitsstrafen in Tierschutzfällen ist allerdings immer noch eine Seltenheit.[8]Schrott, in: BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg, 59. Edition, § 17 TierSchG, Rn. 10; Hoven/Hahn, JuS 2020, 823 (826), Tierschutzstrafrecht – Ein Überblick. Eine Untersuchung von Johanna Hahn und Prof. Dr. Elisa Hoven ergab, dass das Tierschutzstrafrecht in der Praxis nicht oder nicht angemessen angewandt wird. Wenn Sanktionen verhängt werden, sind sie sehr gering, Tierhaltungsverbote werden in fast keinem Fall angeordnet.[9]Hahn/Hoven, Strafrechtliche Verfolgung von Tierschutzkriminalität in der Landwirtschaft, S. 198. Prof. Dr. Jens Bülte stellte in einer Untersuchung fest, dass Staatsanwaltschaften zu hohe Anforderungen an die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens stellen und es deshalb häufig zu keiner Anklage kommt.[10]Bülte, Massentierhaltung – Ein blinder Fleck bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität, NJW 2019, 19 (20). Aus diesem Grunde ist die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe in diesem Fall grundsätzlich zu begrüßen.
Maßregel: Tierhaltungs- und Betreuungsverbot
Nicht zu begrüßen hingegen ist, dass Gericht und Staatsanwaltschaft es unterlassen haben, auf ein Tierhaltungs- und Betreuungsverbot hinzuwirken, obwohl dies offenkundig dringend geboten war. Das Tierhaltungs- und Betreuungsverbot nach § 20 TierSchG ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung und dient dem präventiven Tierschutz. Es ist sanktionsrechtlich zum auferlegten Übel zu zählen. Ein Verbot nach § 20 TierSchG war im vorliegenden Fall nicht Bestandteil des Strafbefehls und wurde von der Staatsanwaltschaft auch nicht beantragt, wie die Pressestelle des Hanseatischen Oberlandesgerichts auf Anfrage mitteilte. Der Antrag auf Erlass eines Tierhaltungs- und Betreuungsverbots im Strafbefehl wäre allerdings dringend geboten und zulässig gewesen: Die Schwere und Häufigkeit der Tierquälereien begründen im vorliegenden Fall die Prognose, dass die Täterin erneut Tiere quälen wird, wenn sie sich mit ihnen umgibt oder gar hält. Tiere werden ihr und ihren Misshandlungen dann wieder schutzlos ausgeliefert sein. Das Interesse der tierquälenden Täterin, Tiere zu halten, insbesondere Pferde, kann das Schutzbedürfnis, künftige Straftaten zulasten von Tieren zu vermeiden, nicht überwiegen.
Forderungen:
Die Justiz muss auch im Tierschutzstrafrecht angemessen sanktionieren. Hierfür ist es erforderlich, dass zwischen der Schwere der Tat und der Schwere der Strafe Wertgleichheit besteht.[11]Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 4. Auflage 1025, Kap.2.4, S. 36. Mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) heißt dies:
„Tatbestand und Rechtsfolge müssen sachgerecht aufeinander abgestimmt sein.“[12]BVerfG, 45, 187 (228, 259 f.).
Wer Tiere schwerwiegend quält und/oder gar ihren Tod verantwortet, muss dem verursachten Leid entsprechend angemessen sanktioniert werden und darf keine prozessrechtlichen Vorteile genießen. Überdies ist es zum Schutz der Tiere erforderlich, dass Personen, die Tiere schwer misshandelt haben, diese zukünftig nicht mehr halten und betreuen dürfen. Die Maßregel des Tierhaltungs- und Betreuungsverbots muss stets in Betracht gezogen werden – so wie die Prüfung hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis bei Straßenverkehrsdelikten gängige Praxis ist. Dass Tierhaltung ohne jede „Sach“kenntnisprüfung gestattet ist, darf ernsthaft hinterfragt werden.
Das bedeutet für das Tierschutzstrafrecht konkret: Täter:innen sollten bei Vergehen gegen das Tierschutzgesetz keinen sanktionsrechtlichen Sonderstatus genießen. Im Gegenteil: Der Tierschutz ist mit Artikel 20a GG ein Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland. Eine Sanktionierung zielt auch auf den zukünftigen Schutz von Tieren ab und ist daher Teil der Umsetzung des Artikels 20a GG. Deutliche Veränderung der derzeitigen Sanktionspraxis sind erforderlich, um dem Staatsziel Tierschutz gerecht zu werden.[13]Brenner/Best/Büttner/Krämer, Tierschutzrelevante Straftaten – na und? Eine Analyse der Sanktionspraxis vor dem Hintergrund der Mensch-Tier-Beziehung beteiligter Personen, leidtragender Tiere und … Weiterlesen Es ist demnach zwingend, dass die Zufügung von Schmerzen und Leiden durch die abschreckende und verdeutlichende Wirkung einer Sanktionierung weitere Taten verhindert; insbesondere im Zusammenhang mit einem Tierhaltungs- und Betreuungsverbot.
Ist seit März 2023 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin und befasst sich schwerpunktmäßig mit tierschutzrechtlichen Themen.
Quellen