Es war ein unüblicher Abschluss eines Rechtspraktikums. Aber das eine oder andere Ungewöhnliche darf man von einem Praktikum in der Rechtsabteilung von PETA womöglich auch erwarten.
Am 3. und 4. Februar besuchte ich die Studentische Tierethik Konferenz 2023 (STEK) in Berlin, die von PETA unterstützt und vom Studentischen Tierethiknetzwerk der Humboldt-Universität zu Berlin organisiert wurde. Das Netzwerk wurde im April 2021 gegründet, um eine Plattform für Studierende zu schaffen, die sich für Tierethik interessieren, in deren Rahmen sie sich austauschen können.
Gespannt darauf, was mich erwarten würde, machte ich mich am Nachmittag des ersten Veranstaltungstages auf den Weg ins Erwin-Schrödinger-Zentrum. Meine Philosophie-Kenntnisse beschränkten sich bis dato auf das Wissen aus Schulzeiten, was man nicht als tiefgehend bezeichnen kann. Umso neugieriger war ich, das Thema Tierschutz nun nicht nur durch meine juristische Brille, sondern auch aus dem philosophischen Blickwinkel zu betrachten.
Nach einer kurzen Einführung in die Tierethik starteten dann die ersten vier Vorträge. Die Vorträge konzentrierten sich thematisch nicht auf ein einzelnes Thema, sondern behandelten verschiedene Aspekte der Tierethik. Einige der Vorträge waren sehr abstrakt – zum Beispiel wie der Geist in Schopenhauers und Nietzsches Theorie verstanden werden kann und was dies für den Tierschutz bedeutet. Andere behandelten dagegen Beispiele aus dem alltäglichen Leben und waren weniger theoretisch – zum Beispiel wurde über die Bedeutung des Spielverhaltens von Tieren für die Forschung gesprochen.
Eines hatten jedoch allen Beiträgen gemeinsam: Sie haben mich für die Frage der Tierethik sensibilisiert und mir viele neue Impulse gegeben. Vor allem die daran anschließenden Diskussionsrunden regten zum eigenen Nachdenken an – bereichert durch wertvolle Beiträge der Ehrengäste Prof. Dr. Birgit Beck (Juniorprofessorin und Leiterin des Fachgebiets Ethik und Technikphilosophie an der Technischen Universität Berlin) und Prof. Dr. Bernd Ladwig (Professor für Politische Theorie und Philosophie am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin).
Eine neue Welt
Ich war anfangs überrascht, dass tierethische Fragen, die aufgrund meines Bauchgefühls für mich eigentlich immer als eindeutig beantwortbar schienen, in der philosophischen Diskussion plötzlich auch kritisch betrachtet und manche Antworten als ganz und gar nicht selbstverständlich angesehen werden.
So erschien es mir als klar, dass es speziesistisch ist, Insekten zu essen. Målin Kruse diskutierte diese Frage ausführlich auch anhand der Theorien verschiedener Philosoph:innen und deren Ansätzen. Sie kam schließlich zu einem ähnlichen Ergebnis wie ich und vereinte damit – zu meiner Erleichterung – meinen Kopf und Bauch.
Und Målin Kruses Vortrag sollte nicht der einzige sein, der mich geisteswissenschaftliches Neuland betreten ließ. Hier einige Beispiele, wobei dies nichts über die Qualität der unerwähnten Vorträge aussagen soll.
Tierversuche in der Tierethik
Gegenwartsnah war Clarissa Melzers Vortrag, in dem sie sich dem tierethischen Thema „Tierversuche in Zeiten der Pandemie“ widmete. Dabei untersuchte sie die Argumentation für Tierversuche und setzte diese in ein Verhältnis zu Singers Theorie, dem sogenannten Präferenzutilitarismus, wonach sich moralischer Status aus dem Vorhandensein von Präferenzen – anders gesagt: Interessen – ergibt. Clarissa Melzer gab zu bedenken, dass das Argument, dass Tierversuche notwendig seien, um die Wirkung der Stoffe an Lebewesen, die mit dem Menschen vergleichbar sind, zu testen, mit seiner eigenen Begründung entlarvt werden könne. Wer sagen würde, dass der Mensch anders als das Tier sei und deshalb nicht für Versuche herangezogen werden könne, könne nicht gleichzeitig behaupten, Mensch und Tier seien vergleichbar – was eine Voraussetzung für die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den menschlichen Organismus wäre. Singers Handlungsempfehlung sei eine Interessenabwägung, um entsprechend des Ziels des Präferenzutilitarismus möglichst viele Präferenzen bzw. Interessen zu erfüllen.
Tierärzt:innen als Tierschutzrezeptorblocker
Über ein weniger philosophisches, sondern vielmehr institutionelles Problem referierte die Tierärztin Kirsten Tönnies. Sie diskutierte, ob Veterinär:innen heimliche Kompliz:innen der Tierausnutzenden seien. Das mediale Bild der tierliebenden und tierschützenden Tierärzt:innen treffe nämlich nicht auf die Realität zu, in der viele Personen dieser Berufsgruppe auf hohen Posten die Fäden so zögen, dass sich am Tierleid verursachenden Status quo jedoch nichts ändere, ihn also scheinbar bewusst erhalten wollen. Als Beispiel führte sie das Kupieren der Schwänze von Schweinen an, was trotz EU-Verbot leider immer noch in Deutschland zum Teil praktiziert wird. In tierärztlichen Kreisen würde argumentiert, dass das Kupieren der Schwänze unerlässlich sei, da die Tiere sich ansonsten gegenseitig die Schwänze anknabbern und abbeißen. Dabei werde jedoch nicht erwähnt, dass dieses Verhalten aus den Bedingungen der Tierhaltung herrühre; die Tiere hätten viel zu wenig Platz in den Ställen und wenig Beschäftigungsmöglichkeiten, sodass sich die Schweine langweilen. Anstatt also gegen die unzureichenden Haltungsbedingungen vorzugehen, werde mit einer solchen Argumentation Tierquälerei als vermeintlich tierschützende Maßnahme dargestellt. Daher fordert sie, mehr über diese Problematiken zu sprechen und die hierarchischen Strukturen mit ihren Tierschutz“-rezeptoren“ blockierenden Auswirkungen – auch durch Neubesetzungen – aufzubrechen.
Apropos strukturelle Probleme …
Spannend war in diesem Kontext auch der politisch-philosophische Vortrag von Tobias Blase über die „Industrielle Tierhaltung als Frage globaler struktureller Ungerechtigkeit“, wonach wir alle eine kollektive politische Verantwortung für die Abschaffung der Struktur des tierindustriellen Komplexes tragen. Argumentationsgrundlage hierfür ist das Modell der „Verantwortung durch soziale Verbundenheit“ von Iris Marion Young. Dieses besagt, dass die Verantwortung eine politische sei, die sich nicht auf individuelle Interaktionen, sondern auf Strukturen fokussiere und dabei in die Zukunft gerichtet sei. Fazit: Es liege also an uns, den Akteur:innen im System, diese politische Verantwortung auf globaler Ebene zu verteilen.
Das Kernstück: Begründung und Grenzen von Tierrechten
Trotz meines Status als Philosophie-Laiin hätte es mir bei einer Tierethik-Veranstaltung gefehlt, wenn nicht über Tierrechte gesprochen worden wäre.
Prof. Ladwig beschrieb die philosophie-theoretischen Schritte zur Herleitung von Tierrechten in seinem Keynote-Vortrag – beginnend mit Ausführungen über Tierrechte als moralische Rechte. Gleiches sollte gleich behandelt werden. Ausgehend von dieser These muss ich konsequenterweise andere Lebewesen, die ähnliche Eigenschaften wie ich haben, gleich behandeln.
Voraussetzung ist, dass es schutzwürdige Güter gibt und eine Möglichkeit der Verpflichtung Dritter besteht. Dass nur die, die auch Pflichten haben, um ihre Rechte wissen und gewisse Rechtspflichten erfüllen können, Rechtsträger sein können, kann widerlegt werden: So haben auch kleine Kinder Rechte. Um deren Güter zu schützen, bekommen diese Stellvertreter. Es stellt sich also die Frage, warum Tiere anders behandelt werden. Auch das Argument, Rechte hätten einen emanzipatorischen Mehrwert und über diese könne autonom bestimmt werden, ist leicht durch den Hinweis darauf zu entkräften, dass es auch unveräußerliche Menschenrechte gibt – wie zum Beispiel das Sklavereiverbot.
Als Fazit konstatierte Ladwig somit, dass vielen Tieren moralische Rechte zustehen würden, da sie Interessen haben, denen Pflichten entsprechen können – vorausgesetzt diese seien dringlich, erfüllbar und zumutbar. Diese Argumentation fand ich einleuchtend – und damit umso unverständlicher, dass es immer noch so viele Menschen gibt, die sich dieser Logik verwehren.
Erwartungen erfüllt?
Definitiv! Nach diesen zwei intensiven und lehrreichen Tagen hat mein Kopf vom Nachdenken, Überdenken und Diskutieren geraucht und pulsiert. Im produktivsten Sinne. Es hat großen Spaß gemacht, mit den anderen Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen und sich auszutauschen. Besonders die Diskussionen im Anschluss an die Vorträge waren spannend und eröffneten neue Perspektiven – auch gegenüber dem eigenen Inneren.
Viele Menschen und vor allem im Tierschutz aktive haben sich wahrscheinlich schon gefragt, warum ihnen ihr Bauchgefühl sagt, dass wir Tieren nicht schaden dürfen. So ging es jedenfalls mir. Die Antwort auf diese Frage versucht die Tierethik zu geben. Sie ist also im Diskurs um die Notwendigkeit von Tierrechten unerlässlich, um diese auch aus moralischer Sicht herzuleiten, zu begründen und damit auch für die Rechtswissenschaft fruchtbar zu machen.
War im Frühjahr 2023 Rechtspraktikantin bei PETA Deutschland e.V. in Berlin.