„Stalleinbrüche“ – rechtswidrig oder gerechtfertigt?

Wenn Sie das Wort „Einbruch“ hören, denken Sie vermutlich daran, wie sich eine oder mehrere fremde Personen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Zutritt zu einem Gebäude verschaffen, Sachen stehlen und möglicherweise dabei noch alles verwüsten. Jedoch wird unter einem „Stalleinbruch“ weniger das Stehlen von Sachen verstanden, sondern vielmehr wird damit gemeint, dass sich Tierschutzaktivist:innen in Ställe von Tierhalter:innen begeben, um Missstände in Tierhaltungsanlagen für die Öffentlichkeit aufzudecken. Die vermeintlichen „Stalleinbrecher:innen“ verfolgen daher einen grundlegend anderen Zweck als Personen, die zur eigenen Bereicherung in Gebäude einbrechen. Aufgrund dieses gravierenden Unterschieds ergibt sich konsequenterweise auch eine differenzierte strafrechtliche Beurteilung für einen sogenannten „Stalleinbruch“. Dies wird im Folgenden insbesondere anhand des Urteils des Oberlandesgerichts (OLG) Naumburg von 2018[1]OLG Naumburg, 22.02.2018 – 2 Rv 157/17. erläutert, da das Gericht geradezu lehrbuchartig die Voraussetzungen darstellt, wann und weshalb ein „Stalleinbruch“ gerechtfertigt ist und damit in einen Freispruch münden kann.

Wie ein „Stalleinbruch“ strafrechtlich (nicht) einzuordnen ist

Im Strafgesetzbuch (StGB) wird der umgangssprachliche „Einbruch“ nicht explizit als eigener Straftatbestand aufgeführt. Aus strafrechtlicher Sicht muss daher differenziert werden. Wer lediglich unerlaubt in die Räumlichkeiten oder sonstigen abgegrenzten Bereiche eines anderen eindringt, macht sich unter Umständen wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB strafbar. Dient dieses Verhalten der Ausführung eines Diebstahls, also der Wegnahme einer fremden Sache, so liegt ein sogenannter „Einbruchdiebstahl“ vor, welcher in § 243 Absatz 1 Nr. 1 StGB geregelt ist und zur Folge hat, dass sich der für den „normalen“ Diebstahl vorgesehene Strafrahmen verschärft.

Wenn Agrarverbände und Politiker:innen das Eindringen in Ställe zur Veröffentlichung von Missständen in Tierhaltungsanlagen als „Stalleinbrüche“ labeln, dann ist hierin zumindest keine strafrechtlich zutreffende Einordnung des kritisierten Verhaltens zu sehen. Da sich Tierschutzaktivist:innen bei diesen Aktionen kein fremdes Eigentum aneignen wollen, sondern lediglich die Zustände in den Ställen filmen[2]Vgl. Kindhäuser, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 242 StGB, Rn. 28., liegt jedenfalls kein „Einbruchdiebstahl“ im Sinne des § 243 Absatz 1 Nr. 1 StGB vor. Bestehen bleibt somit bei unbefugtem Eindringen in Ställe allenfalls der Vorwurf des Hausfriedensbruchs gemäß § 123 Absatz 1 StGB.

Das Urteil des OLG Naumburg zu „Stalleinbrüchen“

In einem „Stalleinbruchs“-Fall, der in einem Revisionsverfahren vor dem OLG Naumburg verhandelt wurde, standen drei Mitglieder einer Tierschutzorganisation vor Gericht, die wegen Hausfriedensbruchs angeklagt  worden waren. Die Tierschutzaktivist:innen übertraten im Jahr 2013 die Umzäunungen einer Stallanlage und fertigten Filmaufnahmen von den tierschutzwidrigen Zuständen insbesondere der Tierhaltungsanlagen an, in denen Schweine in viel zu kleinen Kastenständen gehalten wurden.[3]OLG Naumburg, 22.02.2018 – 2 Rv 157/17. Diese Aufnahmen sollten dazu dienen, den Betreiber:innen Verstöße gegen die Tierschutznutzungsverordnung (TierSchNutzV) nachzuweisen.[4]OLG Naumburg, 22.02.2018 – 2 Rv 157/17. Zuvor war bereits das Veterinäramt erfolglos eingeschaltet worden, da die Kontrollen der Veterinärbeamt:innen trotz positiver Kenntnis der tierschutzwidrigen Zustände stets zu Gunsten der Betreiber:innen ausfielen.[5]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 15.

Das OLG Naumburg entschied am 22.02.2018 in letzter Instanz, dass die Tierschutzaktivist:innen von sämtlichen Vorwürfen freizusprechen sind.[6]OLG Naumburg, 22.02.2018 – 2 Rv 157/17. Dass dieses Urteil nicht nur für den Einzelfall bedeutend war, sondern wegweisend für die Berücksichtigung des Tierwohls im Strafrecht ist, geht insbesondere aus der Argumentation des Gerichts hervor.

Nicht rechtswidrig weil gerechtfertigt

Eine strafrechtliche Verurteilung setzt voraus, dass das Gericht davon überzeugt ist, dass die angeklagte Person die zur Last gelegte Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat. Hieran fehlt es etwa, wenn zu Gunsten der angeklagten Person ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund gegeben ist. Dann war die Tat nicht rechtswidrig. Ein solcher Rechtfertigungsgrund ist beispielsweise der in § 34 StGB normierte rechtfertigende Notstand, welcher wie folgt lautet:

„Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.“

Im konkreten Fall sah das OLG Naumburg die Tat aufgrund einer gegenwärtigen Gefahr für das Rechtsgut des Tierschutzes nach § 34 StGB als gerechtfertigt an und sprach daher die Tierschutzaktivist:innen frei.[7]OLG Naumburg NJW 2018, 2064, Rn. 12.

Warum das OLG Naumburg die Tat als gerechtfertigt ansah

1. Tierschutz als notstandsfähiges Rechtsgut

Wie sich dem Wortlaut des § 34 StGB entnehmen lässt, kommt eine Rechtfertigung nach dieser Vorschrift nur in Betracht, wenn eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut besteht. Es bedarf somit zunächst eines notstandsfähigen Rechtsgutes.

Die Formulierung „oder ein anderes Rechtsgut“ macht deutlich, dass jedes durch die Rechtsordnung geschützte Gut oder Interesse ein solches darstellen kann. Die Aufzählung in § 34 StGB ist insoweit nicht abschließend.

Da die „Stalleinbrüche“ der Tierschutzaktivist:innen im Interesse des Tierschutzes erfolgten, widmete sich das OLG Naumburg im ersten Teil seines Urteils der Frage,  ob der Schutz der Tiere ein rechtlich geschütztes Interesse und somit ein notstandsfähiges Rechtsgut ist.

Das Gericht bejahte dies und begründete seine Auffassung damit,  dass der Tierschutzgedanke sowohl im Grundgesetz (GG) in Art. 20a GG als Staatsziel als auch in § 1 Tierschutzgesetz (TierSchG) verankert ist.[8]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 13. Obwohl Tierschutz kein Rechtsgut ist, das den Angeklagten selbst zusteht, erklärte das Gericht, dass von § 34 StGB auch Rechtsgüter der Allgemeinheit umfasst sind.[9]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 13; so auch BGH, 13.01.1988 – 3 StR 450/87. Dass Tierschutz zum Rechtsgut der Allgemeinheit gehört, ist die logische Konsequenz der umfassenden rechtlichen Ausgestaltungen sowohl auf Verfassungsebene als auch im Bundes- und Landesrecht.[10]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 13.

Zudem bindet Art. 20a GG, der Tierschutz zum Staatsziel erklärt, die Rechtsprechung daran, den Tierschutz und somit die Interessen der Tiere  bei der Rechtsauslegung zu berücksichtigen.[11]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 13. Darüber hinaus führt das Gericht an, dass die Nichteinbeziehung des Tierschutzes in § 34 StGB zu unbilligen Ergebnissen führen würde, da somit beispielsweise einem Hund, der in einem überhitzten Auto zu ersticken drohe, nicht geholfen werden dürfe, wenn der:die Eigentümer:in dies verweigert.[12]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 13.

2. Weitere Voraussetzungen des § 34 StGB

Nachdem die Richter:innen den Tierschutz als ein von § 34 StGB geschütztes Rechtsgut eingestuft hatten, erörterten sie im zweiten Teil des Urteils die übrigen Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes.

a) Gegenwärtige Gefahr

Das OLG Naumburg erkennt die tierschutzwidrigen Bedingungen, in denen die Schweine mit großer Wahrscheinlichkeit nicht nur zum Tatzeitpunkt, sondern auch in der Zukunft ausharren mussten, als Dauergefahr für das Rechtsgut des Tierschutzes an, welche vom Begriff der gegenwärtigen Gefahr nach § 34 StGB umfasst ist.[13]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 14; so auch BGH, 30.08.1978 – 3 StR 255/78.

b) Notstandshandlung – Erforderlichkeit und Angemessenheit

Eine Rechtfertigung nach § 34 StGB verlangt überdies eine erforderliche und angemessene Notstandshandlung.[14]Kühl, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch Kommentar, 29. Aufl. 2018, § 34, Rn. 3 ff. An der Erforderlichkeit fehlt es, wenn dem Täter ein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel zur Abwehr der Gefahr zur Verfügung steht. Im Rahmen dieser Prüfung setzt sich das OLG Naumburg mit der Frage auseinander, ob das Einschalten der zuständigen Behörde ein milderes und gleichermaßen geeignetes Mittel hätte sein können.[15]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 15 ff.

Dies verneinten die Richter:innen jedoch, da im konkreten Fall die Sicherstellung von Filmmaterial durch die Tierschutzaktivist:innen der einzig aussichtsreiche Weg und somit das besser geeignete Mittel war.[16]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 15. Dies lag insbesondere an den erfolglosen Kontrollen, die vom Veterinäramt kurz zuvor durchgeführt wurden.[17]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 15. Zudem trafen die Aktivist:innen Schutzvorkehrungen, um die Tiere während der Aufnahmen gesundheitlich nicht zu gefährden.[18]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 18. Auch die im Rahmen der Angemessenheitsprüfung vorzunehmende Abwägung zwischen dem Schutz der Tiere und dem Hausrecht der Betreiber:innen fiel aufgrund der schwerwiegenden Leiden, denen die Tiere im konkreten Fall ausgesetzt waren, zu Gunsten des Tierschutzes aus.[19]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 19. Das Gericht stellte insbesondere darauf ab, dass die Betreiber:innen die tierschutzwidrigen Lebensbedingungen geschaffen und somit die Gefahr für die Tiere selbst verursacht haben.[20]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 19.

Aufgrund dieser Rolle als Gefahrverursacher:innen müssen sie Einschränkungen ihres Hausrechts eher hinnehmen als Dritte, die ihre Tiere diesen Lebensbedingungen nicht aussetzen.[21]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 (2065), Rn. 19. Die Ausführungen des Gerichts machen deutlich, dass die Belange des Tierschutzes insbesondere durch dessen Verankerung im Grundgesetz ein stärkeres Gewicht erfahren haben und diesem erhöhten rechtlichen Stellenwert bei Abwägungsvorgängen Rechnung getragen werden muss.

Ausblick

Grundsätzlich werden Gerichtsurteile immer einzelfallbezogen gesprochen und können daher nicht pauschal verallgemeinert werden. Das Urteil des OLG Naumburg hingegen beinhaltet mehr als nur eine Entscheidung gegenüber drei Tierschutzaktivist:innen. Das OLG Naumburg sprach damit das aus, was das Grundgesetz schon lange vorschreibt: Das Rechtsgut des Tierschutzes spielt auch im Strafrecht eine entscheidende Rolle bei der Rechtsauslegung und in Abwägungsentscheidungen. Deswegen sollten auch zukünftige Gerichtsentscheidungen diesem Beispiel folgen und dem Tierschutz den Wert beimessen, den er in unserer Rechtsordnung mittlerweile eingenommen hat.

Redaktionelle Anmerkung

Davon unabhängig: PETA Deutschland e.V. dringt nicht in Ställe ein, sondern veröffentlicht zugespieltes Material.

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Rhea Kummer war im Sommer 2021 Rechtspraktikantin bei PETA Deutschland e.V. in Berlin.

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