Beton statt Komfort – über die Haltung von Schweinen auf Vollspaltenböden

Für die meisten Schweine in Deutschland ist es trauriger und schmerzhafter Alltag, ihr Leben auf Vollspaltenböden verbringen zu müssen. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) werden in Deutschland 67 Prozent aller Schweine auf Vollspaltenboden gehalten, was 19 Millionen Haltungsplätzen entspricht.[1]Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Tierhaltung, Schweinehaltung, https://www.bmel-statistik.de/landwirtschaft/tierhaltung/schweinehaltung [zuletzt abgerufen am 21.03.2024]. Zum Vergleich: In Rumänien leben aktuell etwa 19 Millionen Menschen.[2]United Nations, Department of Economic and Social Affairs Population Division, World Population Prospects 2022, https://population.un.org/wpp/Download/Standard/MostUsed/ zuletzt abgerufen am … Weiterlesen

Was ist ein Vollspaltenboden?

Unter der Haltung von Schweinen auf Vollspaltenböden ist zu verstehen, dass diese dauerhaft auf einem Betonboden leben müssen, in den Spalten eingelassen sind. Durch diese Spalten fallen bzw. rinnen Kot und Urin in eine sich darunter befindliche Fäkaliengrube, der „Güllegrube“. Die Schweine haben keinen sogenannten Funktionsbereich, also etwa keinen eigenen Liege-, Ess- oder Ruhebereich. Einstreu wie Stroh wird den Schweinen nicht zur Verfügung gestellt, da dieses durch die Schlitze fallen und den Abfluss des Kot-Harn-Gemisches stören würde, wie die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft zynischerweise auf ihrer Online-Präsenz unter dem Reiter „Tierwohl“ informiert.[3]Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Tierwohl, Haltung von Schweinen, https://www.lfl.bayern.de/schwerpunkte/tierwohl/107701/index.php [zuletzt abgerufen am 18.04.2024]. Dort wird auch angegeben, dass in Bayern sogar 91 Prozent aller „Mastschweine“ ausschließlich auf Spaltenboden („Vollspaltenboden“) gehalten werden und nur 2 bis 3 Prozent der Schweine dort Einstreu zur Verfügung gestellt wird.[4]Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Tierwohl, Haltung von Schweinen, https://www.lfl.bayern.de/schwerpunkte/tierwohl/107701/index.php [zuletzt abgerufen am 18.04.2024].

Die Folgen der Haltung von Schweinen auf Vollspaltenböden

Die Probleme, die mit dieser Haltungsform verbunden sind, liegen auf der Hand: Die harte Liegefläche führt zu massiven Verletzungen. 92 Prozent der Schweine, die auf Vollspaltenböden gehalten werden, leiden laut einer Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München an den Schmerzen geschwollener Gelenke.[5]Oberländer, Untersuchungen zum Vorkommen von akzessorischen Bursen bei Mastschweinen, S. 47, 83 https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19321/1/Oberlaender_Sabine.pdf [zuletzt abgerufen am 18.04.2024]. Die sensible, ungeschützte Haut der Schweine ist besonders anfällig für Verletzungen.[6]vgl.: Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchutzNutztV, § 22 Rn. 2. Hinzu kommt, dass die reizarme Umgebung und das fehlende Beschäftigungsmaterial bei Schweinen für schwere psychische Leiden ursächlich sind. Diese zeigen sich insbesondere in Verhaltensstörungen, die so gravierend sind, dass sich die Schweine beispielsweise gegenseitig die Schwänze und Ohren abbeißen.[7]Oberländer, Untersuchungen zum Vorkommen von akzessorischen Bursen bei Mastschweinen, S. 16, https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19321/1/Oberlaender_Sabine.pdf [zuletzt abgerufen am 18.04.2024]. Die körperliche und psychische Belastung ist derart hoch, dass die Tiere sogar zwischen ihnen liegende tote Artgenossen essen. Weitere verbreitete Verhaltensstörungen sind das „Stangenbeißen“, das „Leerkauen“ und das sogenannte Trauern, bei dem sich Schweine hundeartig auf ihrem Hinterteil sitzend gegen die Buchtenwand lehnen, den Kopf gesenkt sowie die Augen geschlossen haben und insgesamt apathisch wirken.[8]Greenpeace, Bruhn/Wollenteit, Rechtsgutachten zur Frage der Vereinbarkeit der Haltungsvorgaben für Mastschweine mit dem Tierschutzgesetz sowie zur Zulässigkeit einer Verschärfung der … Weiterlesen Die Exkremente der Fäkaliengrube verursachen zudem eine hohe Ammoniakbelastung, die zu Augen- und Atemwegserkrankungen führt. Viele Schweine sterben wegen der hohen Belastungen.[9]Guy, Health conditions of two genotypes of growing-finishing pig in three different housing systems: implications for welfare, … Weiterlesen

Ist der unstrukturierte Vollspaltenboden „physically comfortable“?

Die EU-Richtlinie 2008/120/EG, die im Original in englischer Sprache verfasst wurde, sieht als Mindestvoraussetzung für die Schweinehaltung einen Liegebereich vor, der „physically comfortable“ ist.[10]Official Journal of the European Union, L 47/5, COUNCIL DIRECTIVE 2008/120/EC, of 18 December 2008, laying down minimum standards for the protection of pigs, … Weiterlesen In der deutschen Fassung wurde dieser Begriff zunächst falsch übersetzt, und zwar mit Liegebereich, der „größen- und temperaturmäßig angemessen“ zu sein habe.[11]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchNutztV § 22, Rn. 2, 2a. Das Wort comfortable wurde also einfach weggelassen, obwohl es zahlreiche geeignete deutsche Wörter gibt, wie beispielsweise „komfortabel“, „bequem“ oder „angenehm“. Auf Betreiben einer Tierschutzorganisation wurde die Formulierung der deutschen Fassung der Richtlinie im Jahr 2016 berichtigt und lautet nun, dass Schweinen der Zugang zu einem „physisch und temperaturmäßig angenehmen Liegebereich“ gewährt sein muss.

Nach der deutschen Umsetzung dieser Richtlinie mittels § 22 Abs. 2 Nr. 3 Tierschutznutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) muss Schweinen aber nur ein „trockener“ Liegebereich zur Verfügung stehen. Trocken ist aber keinesfalls mit angenehm gleichzusetzen, wie es die Richtlinie fordert. Trotz Berichtigung der deutschen Fassung der Richtlinie im Jahr 2016 wurde die Verordnung § 22 Abs. 2 Nr. 3 TierSchNutztV bislang nicht korrigiert. Die Anforderungen an einen angenehmen Liegebereich werden folglich weiterhin ignoriert. So heißt es in der Kommentierung von Hirt/Maisack/Moritz/Felde zum Tierschutzgesetz: „Die Zulassung eines Liegebereichs aus Betonspaltenboden durch § 22 Abs. 2 Nr. 3 TierSchNutztV stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Richtlinie RL 2008/120/EG dar“.[12]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, Einleitung, Rn. 59. Erforderlich für ein physisch und temperaturmäßig angenehmes Liegen sei laut Hirt eine ausreichend dicke Schicht Einstreu, zumindest aber eine Liegematte aus einem Material, das sich den Körperkonturen des liegenden Tieres vergleichbar gut anpasst wie eine Einstreuschicht von ausreichender Dicke.[13]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, Einleitung, Rn. 59.

Ist der Vollspaltenboden bedürfnisgerecht?

Die Haltungsform steht auch im Widerspruch zu § 2 Nr. 1 Tierschutzgesetz (TierSchG), denn sie verwehrt die Befriedigung der arteigenen Grundbedürfnisse der Schweine.[14]So auch: Greenpeace, Bruhn/Wollenteit, Rechtsgutachten zur Frage der Vereinbarkeit der Haltungsvorgaben für Mastschweine mit dem Tierschutzgesetz sowie zur Zulässigkeit einer Verschärfung der … Weiterlesen Laut der Kommentierung von Hirt/Maisack/Moritz/Felde zum Tierschutzgesetz sei es „praktisch ausgeschlossen, in diesen Haltungsverfahren noch eine art- und bedürfnisangemessene verhaltensgerechte Unterbringung [im Sinne von] § 2 Nr. 1 [TierSchG] zu sehen“. Die überaus intelligenten und sozialen Tiere benötigen verschiedene Funktionsbereiche und ausreichend Beschäftigungsmöglichkeiten.[15]vgl.: Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchNutztV § 22, Rn. 2a. Toleriert wird die Haltungsform in der Praxis von behördlicher Seite entgegen § 2 Nr. 1 TierSchG dennoch. Festzuhalten bleibt: Schweine auf Vollspaltenböden zu halten, ist tierschutzwidrig und Tierquälerei.

 Was muss sich ändern?

Die Bundesregierung ist dazu verpflichtet, das Staatsziel Tierschutz aus Artikel 20a Grundgesetz anzuwenden und die EU-Richtlinie 2008/120/EG in nationales Recht umzusetzen. § 22 Abs. 2 Nr. 3 TierSchNutztV ist daher so umzuformulieren, dass Schweine einen „physisch und temperaturmäßig angenehmen Liegebereich“ als Mindestvoraussetzung haben. Auch darf die Verordnung nicht im Widerspruch zu § 2 Nr. 1 TierSchG stehen. Wie eine bedürfnisgerechte Haltung aussehen sollte, können Sie hier nachlesen.

Des Weiteren ist erforderlich, dass weitere gängige Praktiken, die Leiden von Schweinen verursachen, endlich aufhören. Dass weibliche Schweine zur Zucht in Kastenstände gesperrt werden, wenige Tage alten Ferkeln routinemäßig der Schwanz amputiert und die Eckzähne abgeschliffen werden, sind nur einige Beispiele für die übliche tierquälerische Schweinehaltung.

Erfreulicherweise sinkt die Anzahl der in Deutschland gehaltenen Schweine[16]Destatis, Schweinebestand geht weiter deutlich zurück, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_247_413.html [zuletzt abgerufen am 18.04.2024]. und der Pro-Kopf-Konsum von Schweinefleisch[17]Statista, Pro-Kopf-Konsum von Schweinefleisch in Deutschland in den Jahren 2010 bis 2023, … Weiterlesen seit Jahren stetig. Erforderlich ist aus Tierschutz- und Umweltschutzgründen eine Ernährungswende hin zu einer pflanzenbasierten Landwirtschaft.

 

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Ist seit März 2023 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin und befasst sich schwerpunktmäßig mit tierschutzrechtlichen Themen.

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