Schadensersatz aufgrund von Trauer bei Verletzung oder Tötung eines nichtmenschlichen Tieres

Die heutige Gesellschaft offenbart ein verändertes Verhältnis zu Tieren. Dies zeigt sich in vielfacher Art und Weise, wie zum Beispiel anhand der gemeinsamen Beisetzung von toten nichtmenschlichen Tieren und Tierhalter:innen in ein und demselben Grab. Es ist daher angezeigt, einen Schadensersatzanspruch auch dann zuzusprechen, wenn man aufgrund der Verletzung oder Tötung des geliebten nichtmenschlichen Tieres einen sogenannten Schockschaden erleidet.

I. Einleitung[1]Der Blogbeitrag basiert auf einem juristischen Fachaufsatz, der Anfang des Jahres in der NJW erschien ist (Straub/Biller-Bomhardt, NJW 2021, 118).

Während nichtmenschliche Tiere in der Vergangenheit oftmals als dem Menschen „lediglich“ dienend angesehen wurden, verfestigt sich gegenwärtig immer mehr das Bild, dass nichtmenschliche Tiere und Menschen auf einer „Stufe stehen“ – sie sind Teil einer gemeinsamen Welt. Es verwundert daher keineswegs, wenn beispielsweise adoptierte Hunde, Katzen und Kaninchen als vollwertiges Familienmitglied wahrgenommen werden. Häufig ist das im Haushalt lebende nichtmenschliche Tier ein vollständiger Familienersatz. In Hamburg ist es zum Beispiel möglich, dass man den adoptierten Hund neben einem Menschen bestattet.

Konträr zu dieser gesellschaftlichen Entwicklung lehnt die deutsche Rechtsprechung bisher einen Schadensersatz aufgrund eines sogenannten Schockschadens bei der Verletzung oder Tötung eines nichtmenschlichen Tieres ab.

II. Grundlagen der Erstattungsfähigkeit von Schockschäden

Im deutschen Recht ist ein sogenannter Schockschadensersatz unter engen Grenzen anerkannt und wird auch von den Gerichten zugebilligt. Voraussetzungen für einen solchen Anspruch zum Beispiel aus § 823 Abs. 1 BGB sind:

  1. Die anspruchsstellende Person ist bei einem Unfall zugegen und/oder erfährt von dem Tod/der Verletzung einer anderen Person.
  2. Die anspruchsstellende Person erleidet aufgrund der Erfahrung und/oder der Nachricht einen solch intensiven Schock, dass sich dieser als erhebliche Gesundheitsverletzung erkennbar macht (zum Beispiel Nervenschock mit Ohnmacht), sodass sie mittelbar geschädigt wird. Derjenigen Person, die die andere verletzt hat, rechnet man quasi der Schock der dritten (anspruchsstellenden) Person zu.
  3. Die Person, die unmittelbar geschädigt wurde, gehört zu den nahen Angehörigen (zum Beispiel geehelichte Person).
  4. Der Schock muss auf einem verständlichen Anlass beruhen.
  5. Es darf sich nicht nur das allgemeine Lebensrisiko realisieren.
1. Erheblichkeit der Gesundheitsverletzung

Die Gesundheitsverletzung der schockgeschädigten Person muss greifbar sein und eine Erheblichkeitsschwelle überschreiten. Reine Trauerreaktionen und -symptome, wie beispielsweise seelische Schmerzen, reichen nicht aus.

2. Nahe Angehörige

Ferner muss es sich bei der eigentlich geschädigten Person um jemanden aus dem Kreis der nahen Angehörigen handeln. Nicht erstattungsfähig sind daher Schockschäden, wenn man einen Verkehrsunfall beobachtet und Menschen verletzt werden, die einem unbekannt sind. Als nahe Angehörige sind zum Beispiel die Eltern einzuordnen.

3. Verständlicher Anlass

Außerdem muss ein verständlicher Anlass vorliegen. Ein solcher ist dann gegeben, wenn die primär geschädigte Person nicht nur leichte Körperverletzungen, sondern schwere Verletzungen erleidet.

4. Allgemeines Lebensrisiko

Damit die Haftung nicht zu umfassend wird, ist ein Anspruch nicht gegeben, wenn sich die allgemeine Lebensgefahr realisiert. Der Schädiger haftet nicht für solche Verletzungen und Folgen, die die mittelbar geschädigte Person in ihrem Leben auch nach allgemeiner Lebenserfahrung üblicherweise zu bewältigen hat.

III. Erstreckung des Schockschadensersatzes bei Verletzung oder Tötung eines nichtmenschlichen Tieres

Entgegen der vorherrschenden Ansicht sind die dargestellten Grundsätze auch dann anzuwenden, wenn man miterlebt, wie zum Beispiel der liebgewonnene Hund in einen Autounfall verwickelt ist und sehr schwere Verletzungen erleidet. Für diese Annahme sprechen mehrere Gründe.

1. Nichtmenschliche Tiere als nahe Angehörige

Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs[2]BGH NJW 2012, 1730. und der vorherrschenden Ansicht[3]Balke SVR 2012, 304; Diehl ZfS 2012, 377; Kääb FD-StrVR 2012, 331298. kann man ein nichtmenschliches Tier als nahen Angehörigen einordnen und klassifizieren.

Das bereits oben erwähnte Argument der gemeinsamen Bestattung ist mehr als nur ein Indiz. Insbesondere für im eigenen Haushalt lebende nichtmenschliche Tiere, zu denen die geschädigte Person eine enge gefühlsmäßige Bindung aufgebaut hat, ist eine Einordnung als „Quasi-Angehörige“ nicht nur reine Theorie, sondern vielmehr gelebte Praxis. Eine solche Einordnung begrenzt sich nicht auf „Haustiere“, sondern ist im Prinzip bei jedem nichtmenschlichen Tier möglich. Voraussetzung ist freilich der Nachweis, dass das andere Lebewesen zum Schockgeschädigten in einer Art Verhältnis wie eine nahe angehörige Person steht. Für eine solche Einordnung kommt es maßgeblich auf die Tiefe und Ausgestaltung der jeweiligen Beziehung an.

Für eine mögliche Gleichordnung von nichtmenschlichen Tieren als nahe Angehörige spricht insbesondere auch, dass nichtmenschliche Tiere in der heutigen Gesellschaft vielfach als Familienersatz angesehen werden. Teilweise ist die Beziehung sogar enger als zu anderen Menschen. Ausdruck dieser gewandelten Stellung und Wahrnehmung nichtmenschlicher Tiere ist beispielsweise der Ersatz von Beerdigungskosten bei der Tötung eines nichtmenschlichen Tieres. Ebenso zeigt sich das gewandelte Verhältnis von „Mensch-nichtmenschliches Tier“ in der Möglichkeit, das geliebte nichtmenschliche Tier in einem gemeinsamen Grab zu bestatten.

Führt man sich vor Augen, dass es rechtlich zulässig ist, dass ein:e Erblasser:in anordnen kann, dass ein Großteil der Erbmassse zur Verpflegung des länger lebenden nichtmenschlichen Tieres verwendet werden soll, erscheint die restriktive Handhabe der Rechtsprechung als veraltet.

2. Stellung des Tieres in Gesetz und Rechtsprechung

Auch das geltende Recht spricht in einer Gesamtschau für die hier dargelegte Ansicht. Art. 20a GG erhebt den Tierschutz ausdrücklich zu einem Staatsschutzziel, sodass jenem Verfassungsrang zuzuschreiben ist. Art. 20 a GG und daneben zum Beispiel § 1 TierSchG, §§ 90 a903 S. 2 BGB sind im Wesentlichen stillschweigend ein Abbild der veränderten Wahrnehmung des Verhältnisses „Mensch-nichtmenschliches Tier“. Die zuvor genannten Normen können sogar als Ausdruck eines neuen Werteverständnisses herangezogen werden.

Auch in der Rechtsprechung wird in jüngerer Zeit hervorgehoben, welchen Stellenwert nichtmenschliche Tiere in der Rechtsordnung und in der Gesellschaft einnehmen. So wird das Tierwohl zum Beispiel als Rechtsgut im Sinne des § 34 StGB eingeordnet.[4]OLG Naumburg NJW 2018, 2064 mit Anmkerung Hotz NJW 2018, 2066. Das Bundesverwaltungsgericht untersagte das vorsätzliche Töten männlicher Küken für die Zukunft – wirtschaftliche Interessen mussten hinter der Beachtung des Lebens der Küken zurücktreten.[5]BVerwG mit Anmerkung Arleth ZUR 2019, 685.

IV. Fazit

Entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs ist ein Schockschadensersatzanspruch daher auch dann anzuwenden, wenn ein nichtmenschliches Tier getötet oder verletzt wird, wenn die zuvor benannten Voraussetzungen erfüllt sind. Nichtmenschliche Tiere sind mit Blick auf Schockschäden Menschen gleichzustellen.

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Nikklas Biller-Bomhardt ist Assessor in Frankfurt a. M. Er promoviert zum Versicherungs- und Zivilprozessrecht. Er unterstützt PETA Deutschland e.V. insbesondere bei der Anfertigung und Veröffentlichung rechtlicher Fachbeiträge.

Quellen[+]