Erst wenn der letzte Wolf geschossen?! Zum Beschluss der Umweltministerkonferenz

Ende November beschloss die Umweltministerkonferenz der Länder (UMK), dass Wölfe, die sich innerhalb von 21 Tagen nach einem Riss innerhalb eines Umkreises von einem Kilometer zu einer Rissstelle befinden, ohne Zuordnung, d. h. ohne Gentest, nach entsprechender Genehmigung abgeschossen werden können.

Zielrichtung dieser Abschüsse ist es, die restlichen Tiere eines Rudels zu „erziehen“ und die Weidetiere vor weiteren Angriffen sogenannter „Problemwölfe“ zu schützen. Damit wird die stark landwirtschaftsorientierte Linie des Bundesministeriums für Umwelt (BMU) durchgezogen, welches bereits auf seiner Website konstatiert: „Mehr Wölfe und deren umfassender Schutz dürfen nicht zu weniger Nutztierhaltung im Freien führen.“[1]So das klare Credo auf der Website des BMEL; https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/artenvielfalt/wolf.html.

Die emotional besetzten Forderungen der Tierhalter:innen, die den Tod ihrer Tiere „betrauern“, sind laut und anhaltend. Der Beschluss ist allerdings nicht nur europa- und bundesrechtswidrig, sondern auch ethisch höchst widersprüchlich. Die Europäische Kommission unter der Leitung ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen hat am 20.12.2023 noch schnell entschieden, den Schutzstatus des Wolfes von „streng geschützt“ auf „geschützt“ zu senken.[2]Siehe nur: EU-Kommission will Schutzstatus von Wölfen herunterstufen“, in: ZEIT ONLINE vom 20.12.2023, abrufbar unter … Weiterlesen

Ist die Kommissionspräsidentin wegen des Todes ihres Ponys Dolly nach einem Wolfsangriff möglicherweise genauso befangen wie die Weidetierhalter:innen? Es bleibt zu hoffen, dass die Mitgliedstaaten, die diesem Vorschlag noch zustimmen müssen, dies gerade nicht tun.

Streng geschützte Raubtiere

Wölfe galten lange als in Deutschland ausgestorben. Durch die Einordnung nach der Berner Konvention (Anhang II) und der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie („FFH-RL“, Anhang II und IV) als streng geschützte Art gelang es ihnen, sich ihren Lebensraum sukzessive zurückzunehmen. Nach diesen völker- bzw. europarechtlichen Regelungen ist es nämlich verboten, Wölfe zu stören, zu fangen oder zu töten. Die Vertrags- bzw. Mitgliedsstaaten ihrerseits sind verpflichtet, diesen Schutz gesetzlich abzusichern. In Deutschland wird der strenge Schutzstatus des Wolfes durch das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) daher mit denselben Folgen fortgesetzt.[3]Das BNatSchG setzt die völker- bzw. europarechtlichen Verpflichtungen Deutschlands um. Zur genauen Einordnung vgl. Gerhold/Mittag, „Die bayerische Wolfsverordnung: ein (europa-) rechtswidriger … Weiterlesen Im Jahr 2000 wurden in Deutschland wieder die ersten Wolfswelpen in Freiheit geboren. Der Erhaltungszustand des Wolfes wird vom BMU auch rund 10 Jahre später noch als „ungünstig bis schlecht“ bezeichnet – das bedeutet, es gibt noch immer zu wenige (insbesondere weibliche) Wolfsindividuen, als dass ein Überleben in Deutschland ohne Inzucht gesichert ist.[4]Nach Einschätzung des BMEL, https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/artenvielfalt/wolf.html, zuletzt abgerufen am 18.12.2023

Wölfe leben im Familienverband in aus fünf bis zehn Tieren bestehenden Rudeln in drei Generationen, wobei jedes Tier in der Gemeinschaft eine besondere Position hat. Sie ernähren sich vor allem von Rehen, Rothirschen und Wildschweinen – wegen deren leichteren Jagdbarkeit priorisieren sie ältere, kranke oder sehr junge Tiere. Sie nehmen daher als Bestandsregulierer eine wichtige Rolle im Ökosystem ein. Da sie unglaublich anpassungsfähig sind und fast überall zurechtkommen können, wo sie Nahrung finden, suchen sie angesichts der Plünderung ihrer Wälder durch die Jäger:innen immer wieder auch in Menschennähe nach Nahrung – was teilweise zu Rissen von Schafen, Pferden und anderen auf Weiden gehaltenen Tieren führt.

Böser Wolf – ein Generalverdacht? Zur Regelung des § 45a Abs. 2 BNatSchG

Die Risse dieser millionenfach auf deutsche Weiden gestellten „Nutztiere“ führen regelmäßig zu einer Einordnung des jeweils schadensverursachenden Wolfes als regionaler „Problemwolf“, dessen sich auch die Politik[5]Allen voran Söder: „Der Wolf gehört hier nicht her“, zitiert in: https://www.tagesschau.de/inland/regional/bayern/br-soeder-auf-der-alm-der-wolf-gehoert-hier-nicht-her-104.html, Bericht vom … Weiterlesen entledigen möchte, um „gesellschaftlichen Frieden“ herzustellen.[6]So Lemke, zitiert in: Umweltminister einigen sich auf schnelleren Abschuss von Wölfen, erschienen in ZEIT-online am 01.12.2023, abrufbar unter … Weiterlesen § 45 Abs. 7 BNatSchG erlaubt ausnahmsweise (u. a.) die „Entnahme aus der Natur“, das heißt die Tötung von geschützten Tieren zur (u. a.) Abwendung wirtschaftlicher Schäden, zum Schutz der Tier- und Pflanzenwelt sowie aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses wirtschaftlicher Art.

45a BNatSchG spezifiziert die für den Wolf geltenden Voraussetzungen noch weiter – aber weicht diese auch auf. So erlaubt bereits § 45a Abs. 2 BNatSchG den Abschuss einzelner Mitglieder eines Wolfsrudels „in engem räumlich-zeitlichen Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen auch ohne Zuordnung der Schäden zu einem bestimmten Einzeltier“.[7]Die Frage, ob der Abschuss eines Wolfes dafür überhaupt geeignet ist, bleibt in diesem Beitrag bewusst ausgeklammert, wird aber von Sachverständigen überwiegend mit „nein“ beantwortet. Dies setzt nach § 45 Abs. 7 BNatSchG voraus, dass keine zumutbaren Alternativen gegeben sind, der Abschuss also das mildeste unter gleichwertig geeigneten Mitteln ist, um die Gefahr zu beseitigen. Weiter ist damit erlaubt, dass Einzeltiere aus dem Rudel des „Problemwolfs“ erschossen werden können, wenn der schadensverursachende Wolf (mit hoher Wahrscheinlichkeit) Mitglied eines Rudels ist, welches sich in engem räumlich-zeitlichen Zusammenhang der Weidetiere und Rissereignisse gezeigt hat. Vorher müssen allerdings auch hier alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, den „Verursacherwolf“ mittels Genanalyse o. Ä. genau zu identifizieren – § 45 Abs. 7 BNatschG gilt weiterhin.

EuGH: Strengere Beweisanforderungen

Dennoch bestehen erhebliche Zweifel an der Europarechtmäßigkeit von § 45a BNatSchG. Angesichts der oben genannten völker- und europarechtlichen Verankerung des Schutzstatus des Wolfes ist bei Auslegung der bundesdeutschen Normen immer die entsprechende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu berücksichtigen. Die deutsche „Basisnorm“ für einen Abschuss – § 45 Abs. 7 BNatSchG – sieht gerade vor, dass die Geeignetheit einer Maßnahme (Abschuss) nachzuweisen ist, was bedeutet: Wenn überhaupt ein Tier erschossen werden soll, dann muss es nach der Idee des Gesetzgebers schon das sein, was wirklich „Probleme“ gemacht hat.[8]Giesberts/Reinhardt, in: Beck’scher Online-Kommentar zum Umweltrecht, 68.Edition, § 45a BNatSchG, Rn. 12f.

Dies wird mit § 45a Abs. 2 BNatSchG umgangen, der willkürliche Schüsse in ein Rudel – oder auch das sukzessive Töten eines ganzen Rudels – theoretisch erlaubt. Der EuGH hat sehr deutlich gemacht, eine Ausnahmegenehmigung habe immer zu erkennen lassen, dass die Behörde die Entscheidung zur Geeignetheit auf Grundlage strenger wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen habe.[9]Giesberts/Reinhardt, in: Beck’scher Online-Kommentar zum Umweltrecht, 68.Edition, § 45a BNatSchG, Rn. 12f ; Gerhold/Mittag, „Die bayerische Wolfsverordnung: ein (europa-)rechtswidriger … Weiterlesen

Ein (bundesgesetzlicher) Verzicht auf den strengen Nachweis der Geeignetheit ist nach diesem weiterhin geltenden Maßstab europarechtswidrig.

Folge: Strafbarkeit

In der Praxis gibt es deshalb bereits nach geltender Rechtslage erhebliche Probleme: Mehrfach wurde von verschiedenen Ländern der Vollzug entsprechender Bescheide gerichtlich gestoppt, um nicht irreversible Zustände zu schaffen.[10]Zuletzt entschied das VG Hannover im Eilverfahren, dass ein Wolf nicht getötet werden dürfe: Süddeutsche Zeitung, Wolf in der Region Hannover darf nicht getötet werden, abrufbar unter: … Weiterlesen Ebenfalls wurde statt des „Ponykiller-Wolfs“, der das Pony der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen gerissen hatte, zunächst der „falsche“ Wolf erschossen[11]PETA, „Falscher Wolf bei Hannover getötet“, abrufbar unter: https://presseportal.peta.de/falscher-wolf-bei-hannover-getoetet-peta-erstattet-strafanzeige-gegen-unbekannt; zuletzt abgerufen am … Weiterlesen – was zu großem Aufruhr und Medienrummel führte. Die Gesellschaft scheint den Wolf eher zu akzeptieren als die Politik und bestimmte Lobbygruppen.[12]Kommissionspräsidentin von der Leyen forderte eine Änderung des Schutzstatus des Wolfes, nachdem ihr Pony von einem Wolf getötet wurde; Maurin, in: „Ponykiller zum Abschuss freigegeben“, Taz … Weiterlesen

§ 45a BNatSchG ist europarechtswidrig und damit in Teilen nichtig. Auch wenn darauf gestützte Genehmigungen nicht nichtig, sondern „nur rechtswidrig“ und damit aus Rechtssicherheitsgründen wirksam sind, macht sich gegebenenfalls einer mittelbaren Täterschaft im Hinblick auf § 71a Abs. 21 Nr. 2 BNatSchG schuldig, wer die rechtswidrige Ausnahmegenehmigung erteilt hat.[13]Gerhold/Mittag, „Die bayerische Wolfsverordnung: ein (europa-)rechtswidriger Wahlkampfauftakt?“, in: ZUR 10/2023, S. 536 (544). Je nach Konstellation im Einzelfall können auch andere Fälle der … Weiterlesen

Eine Abwägung der „Rechtsgüter der Tiere“ auf dem Rücken der Tiere?

Beweiserleichterungen, die von der Rechtsprechung des EuGH abweichen, sind Symbol für die kollektive Abneigung gegen die Präsenz des Wolfes. Die Gründe sind vielgestaltig und oftmals persönlich beziehungsweise emotional aufgeladen. Dies führt zu einer Problemverlagerung in die Sphäre der Tiere. Man könnte meinen, deren Rechtspositionen – also die der Wölfe und der „Nutztiere“ – seien miteinander abzuwägen.[14]Lemke: „Streng geschützte Weidetiere“; Pressekonferenz vom 12.10.2023, abrufbar unter https://www.youtube.com/watch?v=qtDwchLlBnY; zuletzt abgerufen am 18.12.2023. Dies ist verfassungsrechtlich jedoch nicht haltbar.

Wölfe in Deutschland unterfallen dem in Art. 20a Grundgesetz als Staatszielbestimmung normierten Tierschutz. Grundsätzlich gilt die Verpflichtung der staatlichen Organe dem Schutz aller Tiere – auch Weidetiere fallen theoretisch darunter. Zur Auflösung der aufgezeigten Konflikte ist jedoch nicht hilfreich, die Staatszielbestimmung für beide Seiten in die Waagschale zu legen und für die Seite zu entscheiden, auf welcher mehr Tiere sterben. Das Risiko, dass die Weidetiere von Wölfen gerissen werden, ist menschengemacht – während der Wolf schlicht existiert. Die diskutierte Gefahr des Risses durch einen Wolf entsteht durch die Ansammlung einer großen Zahl von Tieren unter freiem Himmel. Diese sind schwerer zu schützen als Tiere, die in Ställen oder sonstigen Gebäuden ihr Dasein fristen müssen. Dementsprechend gibt es die Verantwortung der Halter:innen, für ausreichenden Weideschutz dieser Tiere zu sorgen – dieser ist Bestandteil einer „artgerechten Haltung“ nach § 2 des Tierschutzgesetzes (TierSchG).

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ist seit Dezember 2021 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin mit den Schwerpunkten Tier(schutz)recht, Tierethik und Verfassungsrecht.

Quellen[+]