Leder: Ausbeutung entlang der Lieferkette

Mit Leder assoziieren zahlreiche Menschen Schuhe, Handtaschen, Sofas oder Autositze. Dass es sich bei diesem Material um die Haut eines Tieres handelt, rückt für viele in den Hintergrund. Leder wird häufig als „Abfallprodukt“ der Fleischindustrie wahrgenommen, obwohl die Lederbranche jährlich Umsätze von über 394 Milliarden US-Dollar erzielt.[1]Hakansson/ Halliday/May/LaBarbera, Under their skin, leather’s impact on animals, S. 4, https://www.collectivefashionjustice.org/s/Leathers-impact-on-animals-report.pdf [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen

Über die Produktionsbedingungen und -folgen machen sich nur wenige Menschen Gedanken. Für die Lederproduktion leiden unzählige Tiere in Massentransporten und bei qualvollen Tötungen. Sie belastet die Umwelt durch giftige Chemikalien und führt zu Menschenrechtsverletzungen, etwa durch Kinderarbeit in Gerbereien. Aktuelle und geplante Regelungen, die Sorgfaltspflichten in der Lieferkette bezwecken sollen, sind überwiegend wirkungslos.

So leiden Tiere für Leder

Rinder auf Farmen leiden immens durch Vernachlässigungen wie unzureichende Ernährung oder fehlende medizinische Versorgung.[2]Hakansson/ Halliday/May/LaBarbera, Under their skin, leather’s impact on animals, S. 19, https://www.collectivefashionjustice.org/s/Leathers-impact-on-animals-report.pdf [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen Sie müssen qualvolle Transporte in überfüllten Lastwagen überstehen, die mit Stress, Hitze, Verletzungen, Hunger und Durst für die Tiere verbunden sind.[3]Hakansson/ Halliday/May/LaBarbera, Under their skin, leather’s impact on animals, S. 32, https://www.collectivefashionjustice.org/s/Leathers-impact-on-animals-report.pdf [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen Aufdeckungen von PETA Asien zeigen kraftlose, zusammenbrechende Tiere in Indien, die mit Stöcken geschlagen werden, damit sie aufstehen. Nach dem Transport werden sie häufig bei vollem Bewusstsein getötet.

Weltweit werden jährlich ca. 1,4 Millionen Rinder sowie weitere Tierarten wie Schafe, Kängurus, Krokodile und Pythons für ihre Haut (und ihr Fleisch) getötet.[4]Hakansson/ Halliday/May/LaBarbera, Under their skin, leather’s impact on animals, S. 4, https://www.collectivefashionjustice.org/s/Leathers-impact-on-animals-report.pdf [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen Hierunter fallen auch viele Kälber und Lämmer, um vermeintlich edles Lamm- oder Kalbsleder herzustellen.

So leiden Menschen und Umwelt für Leder

Deutschland importiert Leder vor allem aus China, Brasilien und Indien.[5]The Global Resource for the Leather Industry, Statistics & Sources of Information, S. 10, https://leather-council.org/information/statistics-sources-of-information/ [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen Dabei wird nicht nur das Ökosystem zerstört, sondern es werden auch indigene Völker illegal aus ihrer Heimat vertrieben.[6]Scholz/Weis/Meier, Tagesschau, Wie deutsche Autobauer den Regenwald bedrohen, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/autoindustrie-brasilien-leder-100.html [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen

Zahlreiche Berichte dokumentieren Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefahren durch die Lederproduktion, insbesondere durch die Verwendung von Chemikalien und Schwermetallen wie Chrom bei der Gerbung.[7]National Librery of Medicine, Potential health risk of heavy metals in the leather manufacturing industries in Sialkot, Pakistan, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5562736/ [zuletzt … Weiterlesen Die Stadt Hazaribagh in Bangladesch zählt wegen der giftigen Industrieabfälle aus Gerbereien zu den zehn am stärksten belasteten Orten der Welt.[8]Blacksmith Institute,The Worlds Worst 2013: The Top Ten Toxic Threats, https://www.greencross.ch/wp-content/uploads/uploads/media/pollution_report_2013_top_ten_wwpp.pdf [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen In Bangladesch müssen auch Kinder in den Gerbereien arbeiten.[9]Institute of Development Studies, New study uncovers the scale of child labour in Bangladesh’s leather industry, … Weiterlesen Nach dem Besuch einer Gerberei in Äthiopien im Jahr 2019 bezeichnete Arbeitsminister Hubertus Heil Leder als „ein Paradebeispiel dafür, dass wir ein Lieferkettengesetz brauchen“.[10]Schwab, Menschenrechte mit Füßen getreten, Frankfurter Rundschau,  https://www.fr.de/wirtschaft/menschenrechte-schuhproduktion-leder-lieferketten-91643099.html [zuletzt abgerufen am 27.12.2024].

Abhilfe durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz?

Um Menschen- und Umweltrechtsverletzungen einzudämmen, trat am 1. Januar 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft. Dazu legt es den Unternehmen Sorgfaltspflichten in der eigenen Lieferkette auf.

Unternehmen sind verpflichtet, die im LkSG aufgeführten Sorgfaltspflichten „in angemessener Weise“ zu beachten (§ 3 Abs. 1 LksG). Ziel ist es, die in § 2 Abs. 2 und Abs. 3 LkSG enthaltenen Verbote in ihrer Lieferkette im Rahmen des Möglichen zu verhindern. Nach dem Gesetz ist es unter anderem verboten, Kinder und Zwangsarbeiter:innen zu beschäftigen, Arbeitsschutzbestimmungen zu missachten sowie Boden, Gewässer und Luft zu verunreinigen.

In der Regel beziehen deutsche Handelsunternehmen ihre Produkte von anderen, international tätigen Handelsunternehmen, die wiederum das Leder extern beziehen. Häufig werden die Tierhäute nicht dort verarbeitet, wo die Tiere getötet werden, sondern an Gerbereien in anderen Ländern wie Italien geliefert[11]Hakansson/ Halliday/May/LaBarbera, Under their skin, leather’s impact on animals, S. 10, https://www.collectivefashionjustice.org/s/Leathers-impact-on-animals-report.pdf [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen und als „hochwertiges“ Leder weiterveräußert. Wie Aufdeckungen der amerikanischen Umweltorganisation Environmental Investigation Agency belegen, wird in Brasilien auch die Herkunft der Rinder verschleiert, um die illegale Entwaldung für Weideland nicht mit den Schlachthäusern in Verbindung zu bringen.[12]Environmental Investigation Agency, EIA’s investigations into illegal cattle ranching in the Brazilian Amazon hit German TV, … Weiterlesen
Die Lieferkette für Leder ist lang und intransparent.

Eine umfassende Kontrolle entlang der Lieferkette erfolgt nicht, denn deutsche Unternehmen müssen die Zustände bei der Lederproduktion in der Regel nicht überprüfen. Das LkSG unterscheidet nämlich zwischen unmittelbaren (direkten) und mittelbaren (indirekten) Zulieferer:innen. Eine Analyse hinsichtlich der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken haben die Unternehmen nur im eigenen Geschäftsbereich sowie bei ihren unmittelbaren Zulieferer:innen zu ermitteln (§ 5 LkSG). Lediglich bei missbräuchlichen Gestaltungen gelten mittelbare als unmittelbare Zulieferer:innen (§ 5 Abs. S. 2 LkSG). Erst bei „substantiierter Kenntnis“ über mögliche Verletzungen geschützter Rechtspositionen durch ihre mittelbaren Zulieferer:innen müssen Unternehmen unverzüglich eine Risikoanalyse durchführen und gegebenenfalls vorbeugende und unterbindende Maßnahmen ergreifen.[13]Ehmann/Berg, Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): ein erster Überblick, GWR 2021, 287 (289).

Überdies sind Unternehmen mit weniger als 1.000 Arbeitnehmer:innen davon befreit, die Vorgaben des LkSG einzuhalten. Damit bleiben zahlreiche Unternehmen der Mode- und Textilbranche, welche durch kleine Unternehmen im Einzelhandel geprägt ist, außen vor.[14]Initiative Lieferkettengesetz, Mit Füßen getreten: Ausbeutung und Umweltzerstörung in der weltweiten Produktion von Schuhen und Leder, … Weiterlesen

Kommt das Lieferkettenschutzgesetz „weg“?

Die Lieferkette im Blick haben zu müssen, verursacht bei den betroffenen Unternehmen Mehraufwand. Beim Arbeitgebertag in Berlin im Oktober 2024 kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz an, das Lieferkettenschutzgesetz komme „weg“.[15]Legal Tribune Online, Aussagen von Scholz und Habeck, Kommt das Lieferkettengesetz „weg“?, https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lieferkettengesetz-kommt-weg-scholz-csddd-lieferketten … Weiterlesen Doch inwieweit das Gesetz „wegkommen“ kann, ohne gegen EU-Recht zu verstoßen, ist fraglich. Denn im Sommer 2024 verabschiedete die Europäische Union eine „Lieferkettenrichtlinie“ (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD). Hiernach werden große  Unternehmen EU-weit verpflichtet, sich für die Einhaltung bestimmter Umwelt- und Menschenrechtsstandards in ihren Liefer- und Wertschöpfungsketten einzusetzen. Die neuen Sorgfaltspflichten werden wegen der Größenregelung weniger Unternehmen treffen.[16]Brunk, Legal Tribune Online, Überfordert die neue Lieferketten-Richtlinie kleine Zulieferer?, … Weiterlesen Doch inhaltlich schaffen die neuen Regelungen keine gänzlich neuen Rechtspflichten. Vielmehr werden die bestehenden menschenrechts- und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes ergänzt und erweitert.[17]Bundeministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz,Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD), … Weiterlesen

Im Unterschied zur LkSG sieht die CSDDD aber vor, dass Risiken der Verbotsverletzungen sowohl bei direkten als auch bei indirekten Zulieferer:innen in der Lieferkette bewertet und adressiert werden müssen, damit menschenrechtliche und umweltbezogene Standards eingehalten werden. Die Mitgliedsstaaten haben noch bis zum 26. Juli 2026 Zeit, die Richtlinie umzusetzen. Die Vorschriften gelten ab Juli 2027.

Fehlende Berücksichtigung von tierschutzbezogenen Schutzpflichten

 Weder das LkSG noch die CSDDD enthalten tierschutzbezogene Schutzpflichten. Lediglich die CSDDD enthält Verweise auf internationale Umweltabkommen bezüglich des Schutzes gefährdeter Arten aus der Washingtoner Artenschutzkonvention (CITES). Gerade bei Produktionsprozessen wie der Lederherstellung sind Tiere die Hauptleidtragenden und besonders auf menschlichen Schutz angewiesen. Überdies sind Umweltschutz und Tierschutz eng miteinander verknüpft. Beispielsweise hat die Abholzung des Regenwaldes Auswirkungen auf viele Tiere, deren Lebensraum zerstört wird.

Durch die Einbeziehung von tierschutzbezogenen Schutzpflichten ins Lieferkettengesetz könnten Unternehmen auch Druck auf internationale Zulieferer:innen ausüben, höhere Tierschutzstandards umzusetzen. Ein Gesetz, das die Verantwortung von Unternehmen entlang der Lieferkette stärken soll, darf den Tierschutz nicht kategorisch ausschließen.

Vegane Lederalternativen

Leder verursacht massive Umweltverschmutzungen, Menschenrechtsverletzungen und Tierleid. Weder das LkSG noch die CSDDD in ihrer aktuellen Fassung schaffen es, eine von Ausbeutung und Intransparenz geprägte Lieferkette gerechter zu machen. Eine wirklich gerechte Lieferkette ist ohnehin nur möglich, wenn weder die Natur noch die Menschen und Tiere ausgebeutet werden.

Ein positives Beispiel für mehr Bewusstsein entlang der Lieferkette ist das Bekleidungsunternehmen C&A: Um das Wohlergehen der Tiere in seiner gesamten Lieferkette zu schützen, wird C&A ab Juli 2025 kein Leder mehr in seinen Kollektionen verwenden.[18]C&A, Animal Welfare Policy, Page 3 ff., https://www.c-and-a.com/image/upload/v1722340527/corporate/sustainability/240729_Animal_Welfare_Policy.pdf [zuletzt abgerufen am 27.12.2024]. Das Unternehmen geht damit einen wichtigen Schritt hin zu mehr Tier- und Umweltbewusstsein sowie Verantwortung in der Fashionwelt.

Die Lösung liegt in unseren Händen: Wer sich für vegane Alternativen entscheidet, schützt Tiere, Menschen und unsere Umwelt und setzt ein Zeichen für eine gerechtere Zukunft. Eine Vielzahl ethischer und nachhaltiger veganer Lederalternativen wird heute aus innovativen Materialien wie Apfeltrester, Maisblättern, Pilzen oder Ananasfasern hergestellt.

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Ist seit März 2023 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin und befasst sich schwerpunktmäßig mit tierschutzrechtlichen Themen.

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