Lebensrecht für alle – auch für „Überschusstiere“ in der Tierversuchsforschung.

Nicht passend für den Tierversuch – und jetzt?

Das falsche Geschlecht, die falschen Gene, das falsche Alter – bis ins letzte Detail lässt sich die Natur menschlichen Anforderungen nicht anpassen. Da Experimentierende bei Tierversuchen jedoch genaue Voraussetzungen festlegen, welche Eigenschaften Tiere für die „Verwendung“ im Versuch haben müssen, fällt immer eine große Anzahl Tiere als nicht passend durch das Raster.[1]Vgl. etwa NRW LT-Drs. 17/11083, veröffentlicht am 21.09.2020, abrufbar unter https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-11083.pdf.

Für einen Tierversuch kann nicht einfach irgendein Tier genutzt werden, stattdessen müssen Tiere, die in Versuchen missbraucht werden, speziell gezüchtet werden.[2]§ 19 Abs. 1 Tierschutz-Versuchstierverordnung, https://www.gesetze-im-internet.de/tierschversv/__19.html. Aus diesem Grund ist die Zucht von – mitunter besonders speziellen – Tieren, die von vornherein für Experimente bestimmt sind, eine gesamte eigene Industrie mit hohem wirtschaftlichem Gewicht. Wenn, abgesehen von „Vorratszucht“, Tiere mit konkreten genetischen Eigenschaften geboren werden sollen, gelingt es kaum, ausschließlich Tiere mit ebenjenen Merkmalen zu züchten. Das Ergebnis ist eine millionenhohe Zahl nicht „passender“ Tiere – 2022 waren es 1.769.437; neben 2.437.794 „wissenschaftlich“ genutzten Tieren. Wie mit diesen generell verfahren wird, ist nicht erst seit dem Urteil zum Verbot des Kükentötens (siehe weiter unten) bekannt und zu Recht in der Kritik.

Da die Zahl der „Überschusstiere“ lange nicht erfasst wurde, ist mit den Tieren unbesehen ausschließlich kosteneffizient verfahren worden – was meist ihre Tötung bedeutete. Nachdem seit 2021 durch eine Änderung der Versuchstier-Meldeverordnung[3]§ 1 Abs. 1 Nr. 1a Buchstabe b VersTierMeldV, https://www.gesetze-im-internet.de/verstiermeldv2013/1.html. Zahlen öffentlich sind und Tierschutzvereine wegen der bisher üblichen Tötung der Tiere gegen die Verantwortlichen Strafanzeige erstattet haben,[4]Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V., Gemeinsame Pressemitteilung der Verbände Ärzte gegen Tierversuche und DJGT zur Tötung von Überschusstieren, … Weiterlesen erfuhr die Problematik zunehmend Aufmerksamkeit.[5]Zahlreiche Medienberichte, Stellungnahmen, Fachbeiträge, Veranstaltungen, etc. – siehe nur BfR-Stakeholder Forum 15.12.2023, … Weiterlesen

Sind Tiertötungen nicht eigentlich strafbar?!

Da unser Rechtssystem grundsätzlich jedes Tier schützt, kann sich ihrer nicht einfach mal entledigt werden. Insbesondere das Töten von Tieren – als massivste Form einer Schädigung – ist nur unter engen Voraussetzungen rechtlich erlaubt. Wer sie nicht einhält, macht sich strafbar.

Konkret ist die Tötung eines Wirbeltieres dann strafbar, wenn dieses ohne „vernünftigen Grund“ (§ 17 Nr. 1 TierSchG) getötet wird. Vereinfacht gesagt, ist danach zu fragen, ob man einen berechtigten, nachvollziehbaren Grund für die Tiertötung nachweisen kann, der im konkreten Fall schwerer wiegt als das Interesse des Tieres an seinem Leben.[6]Lorz/Metzger, TierSchG, 7. Auflage, § 1 Rn. 62. Klar sein sollte, dass unter diesen Voraussetzungen Haltungskosten und grundsätzlich auch Wirtschaftlichkeit niemals eine Tiertötung rechtfertigen können. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte 2019, dass es kein vernünftiger Grund ist, männliche Küken aus „Legehennen“-Betrieben zu töten, weil man sie „nicht braucht“, da sie keine Eier legen und aufgrund einseitiger Hochleistungs-Zucht auch nicht genug Fleisch als sogenannte Masthähnchen ansetzen.[7]BVerwG, Urteil vom 13.06.2019, 3 C 28.16, abrufbar unter https://www.bverwg.de/130619U3C28.16.0. Dieses Vorgehen würde den Tieren von vornherein jeden Lebenswert absprechen und sei daher rechtswidrig. Die Tötung von „Überschusstieren“ in der Forschung könnte ähnlich liegen.

Haben Experimentierende einen „vernünftigen Grund“ zur Tötung von „Überschusstieren“?

Auch im Forschungsbereich werden Tiere getötet, weil sie nicht „nutzbar“ seien und eine artgerechte Unterbringung nach Ansicht der Verantwortlichen zu teuer wäre. Experimentierende argumentieren, dass sie – anders als die Brütereibetriebe – einen „vernünftigen Grund“ hätten, da sie das gesparte Geld für wichtige Forschung benötigten.[8]NRW LT-Drs. 17/11083, S. 2 f., abrufbar unter https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-11083.pdf. Dementsprechend fordern sie, straffrei zu bleiben.[9]Klug, Tierschutzgesetz – Es bleibt unsicher!, https://www.laborjournal.de/rubric/hintergrund/hg/hg2406_01.php [zuletzt abgerufen am 26.08.2024]; Tierversuche verstehen, Referentenentwurf … Weiterlesen

Um die Frage nach einem vernünftigen Grund[10]Ausführlicher zu dieser Frage und der ganzen Thematik: Casper/Gerritsen, Die Tötung „überzähliger“ Tiere in der tierexperimentellen Forschung im Lichte des Staatsziels Tierschutz, NuR 2024, … Weiterlesen besser beurteilen zu können, muss das System Tierversuch näher betrachtet werden. Mittels Tierversuchen bemühen sich Experimentierende seit Jahrhunderten, etwa Medikamente und Impfstoffe für Krankheiten zu finden und Menschen zu heilen und zu schützen. Stattdessen ist erwiesen, dass Tierversuche bei der Medikamentenentwicklung eine Misserfolgsquote von bis zu 95 %[11]Arrowsmith, J.: A decade of change. Nature Reviews Drug Discovery 2012: 11; 17-18; KMR Group Inc.: Annual R&D General Metrics Study Highlights New Success Rate and Cycle Time Data. CHICAGO, … Weiterlesen haben, in der Grundlagenforschung sogar 99,7 %.[12]Lindl, T et al.: Tierversuche in der biomedizinischen Forschung – Eine Bestandsaufnahme der klinischen Relevanz von genehmigten Tierversuchsvorhaben: Nach 10 Jahren keine Umsetzung in der … Weiterlesen Echten medizinischen Fortschritt kann hingegen die tierversuchsfreie Forschung erwirken: etwa mit Innovationen wie sogenannten Mini-Brains, die Computerspiele spielen können.[13]Näheres hierzu: Hartung, Thomas (CAAT), auf MPS World Summit 2024 (Ärzte gegen Tierversuche e.V), https://youtu.be/Js2aLwXj2Lo?t=368 ab Minute 6:08 [zuletzt abgerufen am 26.08.2024]. Ein weiteres Beispiel ist ein personalisiertes Zell-Modell,[14]Leider wird für solche Modelle oft noch sog. Fetales Kälberserum in der Entwicklung verwendet, wobei es für die Herstellung der Nährmedien inzwischen komplett tierfreie Methoden gibt, die genutzt … Weiterlesen. auf dessen Grundlage für eine schwere Krankheit ein Medikament gefunden werden konnte, wo Tierversuche bislang erfolglos blieben.[15]InVitro + Jobs, Seltene Erkrankung: Forscher der Charité entwickeln Behandlungsmöglichkeit des Leigh Syndroms, … Weiterlesen

Die Tötung von Millionen Tieren wird also damit gerechtfertigt, es müsse das noch (!) laufende System „Goldstandard Tierversuch“ erhalten werden – obwohl es nachweislich gescheitert ist.

Der Forschungsstandort Deutschland würde ohne Experimente an Tieren „zusammenbrechen“ – so die Tierversuchsindustrie.[16]Heine, „Fatal für die Gesundheitsversorgung“: Streit um Tierversuche – Forscher wütend auf Bundesregierung, … Weiterlesen Aber ist es nicht vielmehr so, dass ein fehlgeleitetes System abgeschafft und ein innovatives, leidfreies System an dessen Stelle treten würde, welches sich bereits mit Erfolgen in der Medizin bewähren konnte? Letzteres ist in Anbetracht der Statistiken und Forschungsergebnisse mit Sicherheit anzunehmen. Zudem würde sich die Frage nach dem Umgang mit „Überschusstieren“ nicht mehr stellen und Forschende müssten keine Angst vor Strafen haben.

Davon einmal abgesehen ist die Argumentation für das Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“ nicht haltbar,[17]Inzwischen scheint dies auch von Vertreter:innen der Tierversuchsindustrie so gesehen zu werden, da in einem jüngst erschienenen Aufsatz in weiten Teilen zugestanden wird, dass die Tötungen … Weiterlesen

wenn zum einen die Tiere aus wirtschaftlichen Gründen getötet werden und im Weiteren das wirtschaftliche Ziel der Erhalt eines ineffizienten und fragwürdigen Systems ist.

Lösung: Systemwechsel

Forschung ohne Tierversuche würde das Problem lösen und Vorteile für Tiere wie Menschen bringen. Eine Tötung von „Überschusstieren“ ist angesichts des Staatsziels Tierschutz nicht zu rechtfertigen. Leider gehen die aktuellen Entwürfe zum Tierschutzgesetz und zur Tierschutz-Versuchstierverordnung in die entgegengesetzte Richtung: Die Regierung ist offenbar gewillt, den Interessen der (Tier-)Experimentator:innen zu folgen und die Tötung von „Überschusstieren“ quasi zu legalisieren. Es soll die Tötung unter bestimmten, sehr niedrig angesetzten Voraussetzungen erlaubt werden, deren Einhaltung aber nicht einmal kontrolliert werden kann. Dieser Schritt wäre fatal und ein schwerwiegender Rückschritt für das Ziel, Tierversuche endgültig abzuschaffen – ein Ziel, das die Politik zu teilen vorgibt, wobei sie die nötigen Schritte bisher vermissen lässt.

 

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War im Sommer 2024 Rechtspraktikant bei PETA Deutschland e.V. in Berlin.

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