Die Einsicht nach der Einsicht

Zur Akteneinsicht in Ordnungswidrigkeitenverfahren nach Tierschutzverbandsklagerecht in Berlin 

Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 31.12.2023

Bestehendes Verbandsklagerecht in Berlin

Seit 2021 hat PETA das Tierschutzverbandsklagerecht in Berlin. In Verwaltungsverfahren mit Tierschutzbezug stehen anerkannten Tierschutzorganisationen von Amts wegen zu gewährende Mitwirkungsrechte zu. § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Berliner Tierschutzverbandsklagegesetzes (BlnTSVKG) legt ferner fest, dass die Organisationen auf Antrag diese Mitwirkungsrechte in „allen anderen Verfahren als Strafverfahren“ haben. Nach Inkrafttreten des BlnTSVKG wurde darüber gestritten, ob die Organisationen auch Akteneinsichtsrechte haben, wenn die jeweilige Veterinäraufsicht ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen eine:n Tiernutzer:in eingeleitet hat. Der Wortlaut des Gesetzes schließt nur Strafverfahren explizit aus. Ordnungswidrigkeitenverfahren in Tierschutzangelegenheiten gehören damit zu „allen anderen Verfahren nach Tierschutzgesetz“, wie die Ordnungsnummer und die Bezeichnung des Gesetzes belegen (§ 18 des Tierschutzgesetzes).

Die Veterinäraufsicht des Bezirksamts Pankow wollte die besagte Vorschrift anders „auslegen“ – eine Einsicht in Akten zu Ordnungswidrigkeitenverfahren sei nicht vorgesehen und aus staatsorganisationsrechtlichen Gründen auch durch den Landesgesetzgeber nicht regelbar. Dies war bereits in der Vergangenheit eine der Begründungen von vier bezirklichen Veterinäraufsichten dafür, das Gesetz überhaupt nicht anzuwenden – wir berichteten. Gegen diese Weigerung war PETA auf dem Rechtsweg vorgegangen – mit Erfolg. Auch das Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin) stellte fest, dass ein Akteneinsichtsrecht in Ordnungswidrigkeitenverfahren besteht.[1]VG Berlin, Beschluss vom 23.06.2021 – VG – 17 L 225/21.

Auslegung oder Rechtsverdreherei?

Diskussionen um die Auslegung von neuen Gesetzen bewerten wir immer auch mit Blick auf die Absichten ihrer Beteiligten. § 3 Abs. 2 S. 3 BlnTSVKG enthält einen auf die §§ 5 – 12 des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes (BlnIFG) beschränkten Verweis, in welchem das Akteneinsichtsrecht für bestimmte Fälle eingeschränkt wird. So behauptete die Veterinäraufsicht, dieser Verweis sei nicht abschließend – insbesondere habe auch der Adressat des Ordnungswidrigkeitenverfahrens ein Recht, gegen eine Akteneinsicht Stellungnahme und Widerspruch zu erheben.[2]Das steht i § 14 Abs. 2 S. 5 BlnIFG. Auf den wird im BlnTSVKG jedoch eindeutig nicht verwiesen.

So erhielt PETA auf entsprechenden Akteneinsichtsantrag die Antwort aus Pankow: Die Akteneinsicht in ein bestimmtes Ordnungswidrigkeitenverfahren könne nicht gewährt werden – der Betroffene habe bei Anhörung der Akteneinsicht nicht zugestimmt, was das Bezirksamt als „Widerspruch“ auslege. Der Betroffene zog vor dasVG Berlin) – und wurde zuständigkeitshalber ans Amtsgericht verwiesen. Zutreffend entschied das VG Berlin, dass das BlnIFG nur eingeschränkt anwendbar, der Widerspruch gegen die Akteneinsicht durch den Betroffenen nicht statthaft sei. Ordnungswidrigkeiten sind Sache der ordentlichen Gerichtsbarkeit – diesen Grundsatz kann auch eine volatile Boykotthaltung einer Behörde nicht verbiegen. Hintergrund des Manövers war es, das VG Berlin erneut zu einer Auseinandersetzung mit dem BlnTSVKG zu bewegen und die Mitwirkung von PETA bei tierschutzrelevanten Verfahren auszuhebeln – infolge genau dieses Verhaltens wählte PETA die Veterinäraufsicht des Bezirksamts Pankow im Jahr 2022 unter die Flop 5 der Veterinärbehörden in Deutschland.                                                                                                     

Es regelt: Justitia

Ein Jahr später (insgesamt knapp zwei Jahre nach Akteneinsichtsgesuch) entschied dann das zuständige Amtsgericht Tiergarten zutreffend über den Anspruch auf Akteneinsicht:

„In Bußgeldverfahren ist die Akteneinsicht für (nicht am Bußgeldverfahren beteiligte) Privatpersonen und sonstige Stellen in § 475 StPO geregelt, der gemäß § 49b OWiG auch für Bußgeldverfahren Anwendung findet …“ Dessen Voraussetzung – „berechtigtes Interesse“ – ergebe sich für PETA aus dem Akteneinsichtsrecht in Ordnungswidrigkeitenverfahren aus § 3 Abs. 2 S. 2 BlnTSVKG. Die ausdrückliche Ausnahme für Strafverfahren gelte nicht entsprechend für Bußgeldverfahren. Das Gericht verweist explizit auf die Entscheidung des VG Berlin zugunsten von PETA.[3] VG Berlin, Beschluss vom 23.06.2021 – VG – 17 L 225/21, BeckRS 2021, 16379 Rn. 64, beck-online. Eine teleologische Reduktion des Wortlauts der Vorschrift komme nicht in Betracht, wenn der entgegenstehende Wille des Gesetzgebers wie hier bekannt sei: Die Problematik wurde im Gesetzgebungsverfahren zum BlnTSVKG in der Beschlussvorlage des Berliner Senats an das Abgeordnetenhaus aufgegriffen.[4]Abgh.-Drs. 18/2229, S. 18, S. 21, zitiert nach VG – 17 L 225/21. Der Rat des Regierenden Bürgermeisters forderte damals, die Ordnungswidrigkeitenverfahren von der Akteneinsicht auszunehmen, erhielt aber eine ausdrückliche Absage vom Senat.

Und wer boykottiert jetzt wen?

Zwei Jahre lief das Verfahren – weil eine Veterinäraufsicht eine gesetzliche Verweisung „erweiterte“ und eine Äußerung eines Bußgeldadressaten als Widerspruch auslegte. Es wurde sehr deutlich, dass mit dieser Auslegung das Akteneinsichtsrecht von PETA unter dem Deckmantel des vermeintlichen Rechts- und Persönlichkeitsschutzes der Betroffenen untergraben werden sollte. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Berliner Gerichte bislang recht unbeeindruckt von den Verrenkungen der Gegner des BlnTSVKG gezeigt haben, stellt sich die Frage, wie die Veterinäraufsichten nach alldem zu der Behauptung kommen, die Akteneinsichtsgesuche und Verfahren nach dem Tierschutzverbandsklagegesetz führten zu einer Behinderung ihrer Tierschutzarbeit.[5]Berliner Morgenpost vom 23.03.2023: „Tierfeindlichste Behörde“: Pankow kontert Attacke von PETA.“, zuletzt abgerufen am 21.02.2024.

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ist seit Dezember 2021 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin mit den Schwerpunkten Tier(schutz)recht, Tierethik und Verfassungsrecht.

Quellen[+]