A bit late to the vegan party: DGE folgt endlich dem Stand der Wissenschaft

Richtig neu ist die Erkenntnis nicht: Der Konsum rein pflanzlicher Nahrung ist aus Gesundheitsaspekten empfehlenswert. Nun erklärte auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) am 14.06.2024 in einem Positionspapier die „sorgfältige“ vegane Ernährung als für Erwachsene gesundheitsfördernd.

Noch 2016 hatte die DGE gemeint, dass bei rein pflanzlicher Ernährung eine ausreichende Versorgung mit einigen Nährstoffen „nicht oder nur schwer möglich“ sei.[1]Position Vegane Ernährung | DGE; zuletzt abgerufen am 05.08.2024.

Die Rolle der DGE

Die DGE ist ein gemeinnütziger Verein. Sie versteht sich selbst[2]DGE – Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. | DGE, zuletzt abgerufen am 05.08.2024. als „wissenschaftliche Fachgesellschaft, die ernährungswissenschaftliche Aussagen und Empfehlungen erarbeitet und diese in die Praxis umsetzt“. Sie ist nach ihrer Satzung[3]Satzung der DGE, abrufbar unter: https://www.dge.de/fileadmin/dok/dge/organisation/DGE-Satzung.pdf, zuletzt abgerufen am 29.08.2024. dem Gemeinwohl und der Wissenschaft verpflichtet. Ihre Ziele sind unter anderem Ernährungsberatung und -aufklärung im Dienste der Gesundheit der Bevölkerung. Auf den Empfehlungen der hauptsächlich vom Bund und von den Ländern finanzierten DGE basieren etwa offizielle Broschüren, die erklären, wie viel man von welchen Lebensmitteln essen soll – woran sich Köch:innen in Schulen oder Kantinen orientieren.[4]Unter anderem, um eine DGE-Zertifizierung zu erhalten: DGE-zertifizierte Gemeinschaftsverpflegung | DGE; zuletzt abgerufen am 05.08.2024.

Aus verschiedenen Gründen wurde und wird berechtigte Kritik[5]Deutsche Gesellschaft für Ernährung – Wikipedia; zuletzt abgerufen am 29.08.2024; Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in der Kritik (aerzteblatt.de), zuletzt abgerufen am … Weiterlesen an der Organisation der DGE, ihrer personellen Besetzung und ihrer hervorgehobenen Rolle geäußert. Immer wieder kooperiert die DGE mit der tierbasierten Lebensmittelindustrie.[6]Die Milchlobby: Wie unsere Milch dem Klima und der Umwelt schadet (correctiv.org), zuletzt abgerufen am 29.08.2024. Und bis heute führt etwa der DGE-Verband Thüringen „Milchpartys“ durch.[7]DGE Projekte – Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. TH (dge-th.de); Neubewertung: DGE ändert ihre Position zu veganer Ernährung! (vegpool.de), zuletzt abgerufen am 22.08.2024.

Auch die Bundesregierung stützte sich bei ihren ernährungsrelevanten Empfehlungen bislang auf die Positionen der DGE – das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) beauftragt im Vierjahresturnus den DGE-Ernährungsbericht.[8]Der 14. Ernährungsbericht von 2020 ist abrufbar unter 14. DGE-Ernährungsbericht DGE; zuletzt abgerufen am 19.08.2024. Die Empfehlungen eines privatrechtlichen Vereins haben zwar keine Gesetzeswirkung. Sie haben aber ab dem Moment einen (quasi-)normativen Charakter, in dem öffentliche Institutionen verlangen, dass in ihren Kantinen nach den Empfehlungen der DGE zubereitetes Essen serviert wird. Teilweise wendet auch die Leistungsverwaltung die DGE-Empfehlungen wie antizipierte Sachverständigengutachten an – in der Vergangenheit betraf dies unter anderem ethisch motivierte vegan lebende Menschen, deren Verpflegungsanspruch in einer öffentlichen Einrichtung inhaltlich strittig war.[9]Ralf Müller-Amenitsch, in: Vegan im Recht, 1. Auflage 2016, S.20, am Beispiel der Berliner Senatsverwaltung, die die vegane Ernährung unter Berufung auf die DGE-Position als „ungesund“ … Weiterlesen Dies wirft durchaus die Frage nach der demokratischen Legitimation der DGE für derartig weitreichende bzw. durch öffentliche Stellen weitreichend interpretierte „Entscheidungen“ auf.

Erstmalig positive Position: vegane Ernährung gesundheitsfördernd

Im neuesten Positionspapier schließt sich die DGE der überzeugenden Studienlage an und kommt zu dem Ergebnis:

„Für die gesunde erwachsene Allgemeinbevölkerung kann neben anderen Ernährungsweisen auch eine vegane Ernährung, unter der Voraussetzung der Einnahme eines Vitamin-B12-Präparats, einer ausgewogenen, gut geplanten Lebensmittelauswahl sowie einer bedarfsdeckenden Zufuhr der potenziell kritischen Nährstoffe (ggf. auch durch weitere Nährstoffpräparate), eine gesundheitsfördernde Ernährung darstellen.“ Die dann folgenden Ausführungen zu den „kritischen“ Nährstoffen lassen den irrtümlichen Schluss zu, dass diese bei einer omnivoren Ernährung immer automatisch abgedeckt seien – was ausdrücklich nicht der Fall ist.

Im Gegenteil: Seit den 1970er-Jahren wurden zunehmend mehr und mehr Studien zum Zusammenhang zwischen der Ernährung mit Erzeugnissen tierischen Ursprungs und möglichen Krebs- sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen durchgeführt.[10]Bert Herbrich, Das System Massentierhaltung im Verfassungsrecht, Berlin 2022, S. 56 ff. Stark vereinfacht lässt sich sagen: Abgestuft nach Art, Menge und Ursprung sind Produkte tierischen Ursprungs als gesundheitsschädlich einzustufen. Im Hinblick auf den Verzehr von verarbeitetem Fleisch lässt sich etwa festhalten: Dieser ist ab einer Menge von 50 Gramm pro Tag „definitiv krebserregend“.[11]Bert Herbrich, Das System Massentierhaltung im Verfassungsrecht, Berlin 2022, S. 56 ff. Unverarbeitetes rotes Fleisch ist in diesen Mengen „wahrscheinlich“ krebserregend und ebenfalls „wahrscheinlich“ Ursache koronarer Herzerkrankungen.[12]Bert Herbrich, Das System Massentierhaltung im Verfassungsrecht, Berlin 2022, S. 52 ff, S. 73. Die Personen, die vermehrt Butter und Vollfettmilch konsumieren, stehen unter einem erhöhten Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken und zu sterben.[13]Bert Herbrich, Das System Massentierhaltung im Verfassungsrecht, Berlin 2022, S. 52 ff, S. 74. Die Gefährdung vorerkrankter Einzelpersonen durch die Verbreitung multiresistenter Keime als Folge der Intensivtierhaltung sei hier bewusst ausgeklammert.[14]Dazu Bert Herbrich, Das System Massentierhaltung im Verfassungsrecht, Berlin 2022, S. 74 ff.) Mehr als nur gesund „Neben aktuelleren Daten zur Gesundheit betrachtet die DGE erstmals alle vier … Weiterlesen

Die Antwort darauf, ob auch die genannten „anderen Ernährungsweisen“, d. h. insbesondere die omnivore, nur gesundheitsfördernd sind, wenn ein B12-Präparat und andere „potenziell kritische Nährstoffe“ eingenommen werden, bleibt die DGE schuldig. Was die DGE in dieser Position vertritt, ist objektiv nicht neu. Unter anderem in der vielfach zitierten Oxford-Studie von 2016 wurden die positiven Auswirkungen einer veganen Ernährung auf die Gesundheit bereits nachgewiesen.[15]Zusammengefasst unter Veggie-based diets could save 8 million lives by 2050 and cut global warming | University of Oxford; zuletzt abgerufen am 19.08.2024.

Kommt jetzt die Wende?

Die Empfehlungen und Positionen der DGE gelten als die bedeutsamsten Ernährungsempfehlungen in Deutschland. Sie haben zwar keinen (legitimationsbedürftigen) Entscheidungscharakter, kommen durch die Anwendung durch öffentliche Stellen diesem jedoch nahe. Über die mediale Aufmerksamkeit sowie die Verbindung der DGE zu Regierungseinrichtungen finden ihre Publikationen zudem eine große Reichweite und ein respektables Medienecho. Auch wenn sich offiziell niemand an diese Empfehlungen halten muss, nützen sie den Lebensmittelherstellern deren „Produkte“ ausdrücklich positiv benannt wurden – und das waren jahrelang auch die Milch- und Fleischindustrie. Ein Wandel an dieser Stelle wäre höchst begrüßenswert – und ist eigentlich längst überfällig.

Bemerkenswert ist an der aktuellen positiven Einordnung der veganen Ernährung aber, dass diese immer noch vorsichtig formuliert und unter einige Bedingungen gestellt wird. Dies kann politisch motiviert sein – oder dem Imageerhalt dienen. Ebenfalls auffällig waren die im März 2024 neu veröffentlichten Orientierungswerte für Fleisch: Hier riet die DGE körperlich gesunden omnivor lebenden Menschen zwischen 18 und 65 Jahren zum Verzehr von „höchstens“ 300 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche – obwohl die Ernährungswissenschaftler:innen selbst errechnet hatten, der Nährstoffbedarf (nur bezogen auf omnivor lebende Menschen) sei auch mit lediglich 119 Gramm pro Woche zu decken. Die Begründung: Man wolle eine „höhere Akzeptanz“ erreichen.[16]Jost Maurin, Neue Ernährungsempfehlungen der DGE, taz vom 07.03.2024, https://taz.de/Neue-Ernaehrungsempfehlungen-der-DGE/!5994546/, zuletzt abgerufen am 29.08.2024 Wandel ja – aber noch mit angezogener Handbremse.

Fazit: Gesundheitsfördernd für die Menschen – lebensrettend für die Tiere

Es ist anerkennenswert, dass die DGE langsam in ihre Selbstbeschreibung hineinwächst, indem sie der Studienlage entsprechende Empfehlungen abgibt. Idealerweise wird die Verbreitung dieses Wissens auch durch diese gesellschaftlich und politisch respektierte Einrichtung dabei helfen, alte Ernährungsmythen zu beseitigen. Die Akzeptanz der veganen Ernährung kann dadurch gesteigert werden – was zumindest mittelbar dazu führt, dass die Nachfrage nach Erzeugnissen tierischer Herkunft sinkt.

Überdies ist sehr erfreulich, dass erstmals „Tierwohl“- und Umweltaspekte in die Empfehlung miteinfließen – auch wenn die relevante Ethik damit fast ausgeklammert bleibt. All dies lässt auf weiteren Ausbau in den nächsten Jahren hoffen – bis hin zur Empfehlung, nur noch Produkte aus biozyklisch-veganem Anbau zu konsumieren. Für die Gesundheit der Menschen und das Leben von Millionen von Tieren kann das nur förderlich sein.

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ist seit Dezember 2021 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin mit den Schwerpunkten Tier(schutz)recht, Tierethik und Verfassungsrecht.

Quellen[+]