In Berlin gibt es seit einiger Zeit eine Diskussion um das Berliner Tierschutzverbandsklagegesetz. Das Verbandsklagerecht von PETA Deutschland e.V. war bereits Gegenstand eines gerichtlichen Eilverfahrens und ist momentan Gegenstand ausführlicher Presseberichterstattung. Dieser Beitrag fasst die Vorgänge und die Diskussion um Gesetz und Gerichtsverfahren zusammen und beleuchtet insbesondere die Beeinflussung der Öffentlichkeit durch Politik und Presse.
I. Die Tierschutzverbandsklage in Berlin
Im September 2020 wurde in Berlin per Gesetz das Tierschutzverbandsklagerecht eingeführt. Dies gewährt anerkannten Tierschutzorganisationen bestimmte Beteiligungsrechte in Verwaltungsverfahren mit tierschutzrechtlichem Bezug. Unter anderem können sie in diesen Verfahren Akteneinsicht nehmen, Stellungnahmen abgeben und erforderlichenfalls Klage erheben. So wird den verbandsklageberechtigten Tierschutzorganisationen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Berliner Tierschutzverbandsklagegesetz (BlnTSVKG) von Amts wegen rechtzeitig bei der Vorbereitung von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften im Bereich des Tierschutzes, rechtzeitig vor Erteilung von Erlaubnissen nach § 11 Abs. 1 des Tierschutzgesetzes (tierschutzrechtliche Genehmigungen) sowie unverzüglich nach Erteilung von Genehmigungen nach § 8 Abs. 1 des Tierschutzgesetzes (Tierversuchsverfahren) ein Recht auf Akteneinsicht bzw. Stellungnahme eingeräumt. Auf Antrag können die Organisationen in allen weiteren Verfahren nach dem Tierschutzgesetz (TierSchG) – mit Ausnahme von Strafverfahren – Stellung nehmen, gegebenenfalls nach erfolgter Akteneinsicht. Der Begriff „Tierschutzverbandsklage“ ist also weit zu verstehen und umfasst nicht nur das eigentliche Klagerecht, sondern mehr im Sinne eines Rechtsinstituts auch bereits die vorgeschalteten Beteiligungsrechte.
Im Januar 2021 wurde PETA Deutschland e.V. von der für das Veterinärwesen zuständigen Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung antragsgemäß als verbandsklageberechtigte Tierschutzorganisation im Sinne des § 2 Abs. 1 BlnTSVKG anerkannt. Auf dieser Grundlage beantragte PETA bei den zwölf Berliner Bezirksämtern zunächst eine Aufstellung der laufenden Verwaltungsverfahren mit tierschutzrechtlichem Bezug. Unter anderem sollte die Lage sondiert werden, um ein für die Beteiligten praktikables und effektives Vorgehen für die Zukunft zu etablieren. Vier der Bezirksämter verweigerten diese Auskunft jedoch; eine diesbezüglich gesetzte Frist verstrich fruchtlos.
Dem darauf von PETA beim Verwaltungsgericht Berlin beantragten Eilrechtsschutz auf (differenzierte) Verpflichtung zur Auskunftserteilung wurde im Juni 2021 vom Gericht mit Beschluss stattgegeben. Gegen den Beschluss legten die vier Bezirksämter Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein. Dieser Beschluss ist nunmehr rechtskräftig, nachdem die Berliner Senatsverwaltung im Dezember 2021 das Verfahren an sich gezogen und die Beschwerde zurückgenommen hat.
Das Institut der Tierschutzverbandsklage dient der Behebung eines strukturellen Ungleichgewichts der Rechtsschutzmöglichkeiten im Dreieck Tiernutzer:innen – Behörde – Tier. Überall dort, wo eine Tiernutzung stattfindet oder beantragt wird, liegt ein erhebliches Potential von Tierquälerei begründet. Tiere haben nach jetziger Rechtslage noch keine subjektiven Eigenrechte und können Verwaltungsentscheidungen, die sie betreffen, nichts entgegensetzen.[1] https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen/vorgang/d18-2229.pdf; abgerufen am 24.02.2022. Tiernutzer:innen kommt das zugute, da der schnellere Weg zur tierschutzrechtlichen Genehmigung meist für sie günstig ist (zur Durchsetzung eines „Weniger“ an Tierschutz). Die Gefahr einer gerichtlichen Kontrolle durch eine Instanz auf Seiten der Tiere und des Tierschutzes hat so eine gewollt abschreckende Wirkung, die nachhaltig auf die Einhaltung des Tierschutzes wirkt. Weiterhin ist bekannt, dass es innerhalb der Behörden zu Vollzugsdefiziten im Bereich des Tierschutzes kommt, beruhend auf unzureichenden Kontrollen, diese wiederum beruhen auf mangelnden personellen und finanziellen Ressourcen. Dem soll mit der Schaffung des BlnTSVKG und den dort eingerichteten Beteiligungsrechten abgeholfen werden.
Zu einem nicht unerheblichen Teil sind es aber politische Interventionen, die die Behörden zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen im Bereich des Tierschutzes motivieren. So lag der Fall auch in Berlin. Hier geriet der Zweck des Gesetzes im Streit um dessen Anwendung über die politisch motivierte Abwehrhaltung der vier Bezirksämter in den Hintergrund. Nachdem PETA bei den Behörden den ersten Antrag gestellt hatte, wurde diese Anfrage von den vier oben genannten Bezirksämtern mit unterschiedlichen Begründungen abgewiesen (beispielhaft):
- die Behörden verfügten nicht über die ausreichenden personellen und technischen Mittel, um die Anfragen der Tierschutzorganisationen zu beantworten;
- eine behördliche Vorbereitung auf die Handhabung des Gesetzes sei nicht erfolgt;
- es gebe Bedenken, was das Gesetz angehe, man müsse sich intern abstimmen/prüfen und könne solange keine Auskunft geben;
- unvorhergesehene Ereignisse und personelle Engpässe stünden der Auskunftserteilung entgegen;
- das Gesetz sei mit „höherrangigem und gleichrangigem“ Recht nicht vereinbar;
- das Gesetz signalisiere den Amtstierärzt:innen, sie hätten jahrzehntelang ihre Arbeit nicht richtig gemacht;
- das Gesetz gehe an seinem eigentlichen guten Zweck aufgrund seines überschießenden Regelungsgehalts vorbei.
Die verbleibenden acht Bezirksämter erteilten die begehrten Auskünfte anstandslos innerhalb der Frist. Deren Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft hält seitdem an. Anschließen konnten, beziehungsweise wollten, sich die übrigen Bezirksämter der Verweigerungshaltung nicht. Relevant sind auch weniger die Argumente, mit denen die vier Behörden sich einer Auskunft sperrten. Rechtlich viel bemerkenswerter ist die Tatsache, dass sie sich dies überhaupt anmaßten und über geltendes Recht verhandeln wollten.
II. Einordnung des behördlichen Handelns – Grundsatz der Gewaltenteilung
Das BlnTSVKG ist von den Behörden in Verwaltungsverfahren mit tierschutzrechtlichem Bezug de lege lata anzuwenden. So ist die Lage jetzt, und so war sie bereits vor der Rechtskraft des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Berlin. Die Berliner Bezirksämter sind als Organe der Exekutive nach dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG, zwingend zur Anwendung geltenden Rechts gehalten. Dies ergibt sich aus dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Grundsatz der Gewaltenteilung.[2]Huster/Rex, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck-Online-Kommentar zum Grundgesetz, 49. Auflage 2021, Art. 20 Rn. 164. Genau aus diesem Grund sind sie aber auch nicht berechtigt, geltendes Recht für unanwendbar zu erklären, denn trotz des Vorrangs der Verfassung gilt für die Exekutive ein Anwendungsvorrang einfachen Rechts.[3]Huster/Rex, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), Beck-OK zum GG, 49. Auflage 2021, Art. 20 Rn. 169. Die Begründungen, mit denen die Behörden die Auskunft oder Akteneinsicht verweigerte, lassen den Schluss zu, dass sie ihre Position eklatant verkannten. Die Verweigerung der Auskunft stand ihnen aus verfassungsrechtlicher Sicht unter keinen Umständen zu. Gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen, war für PETA damit die einzige Vorgehensmöglichkeit.
III. Die Argumentation im gerichtlichen Verfahren
Die sachfremde Argumentation gegen die Beteiligung von PETA durch die vier Bezirksämter fand nach den außergerichtlichen Vorgängen ihre Fortsetzung im Gerichtsverfahren. Hier wurde unter anderem vorgetragen, die Amtstierärzt:innen hätten eine lang anerkannte Garantenstellung sowie verwaltungsrechtlich eine alleinige Bewertungskompetenz in Verfahren mit Tierschutzbezügen. Ihre Einordnung und Bewertung sei abschließend und nicht ersetzbar durch die Beteiligung einer Organisation „von Laien“. Sachlich wie rechtlich unzutreffend und an der Grenze zur Beleidigung waren weitere Einordnungen von PETA als „in der Öffentlichkeit als militant wahrgenommen“ mit „Nähe zur Rechtswidrigkeit“ und die Behauptung, es drohten wirtschaftliche Schäden sowie Zweifel an der Neutralität behördlichen Handelns durch die Beteiligung von PETA.[4]So auch fast wörtlich der ltd. Veterinärmediziner des Bezirksamts Pankow im Beitrag https://www.deutschlandfunk.de/peta-streit-ums-berliner-tierschutzverbandsklagerecht-dlf-5d035f46-100.html; … Weiterlesen
Die Zweifel an der Neutralität des eigenen Handelns haben die Bezirksämter durch ihr defensives und abstruses Vorbringen allenfalls selbst geschürt. Das Verwaltungsgericht Berlin hat sich der Auffassung der Ämter zu Recht so auch nicht angeschlossen. Inhaltlich ist die Einordnung von PETA als Laienorganisation schon unzutreffend; dies wird den Bezirksämtern aber sehr wohl bewusst sein. PETA verfügt über eine hochprofessionelle personelle Ausstattung und finanzielle Leistungsfähigkeit. Die Anerkennung als verbandsklageberechtigt erfolgte durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung und ist bindend auch für die Veterinärämter. Am prozessualen Vorbringen zeigt sich wieder, dass die Behörden das Verbandsklagerecht juristisch unzutreffend einordnen. Das BlnTSVKG dient dem Tierschutz, der über Art. 20 a GG Verfassungsrang genießt, und damit dem Ausgleich im oben genannten Dreiecksverhältnis zugunsten der Gruppe, die keine Stimme im Verfahren hat, nämlich der Tiere.
Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig: Die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte führt nicht dazu, dass PETA eine Entscheidung an Stelle der Behörde trifft. Führen die Bezirksämter aber aus, durch den Einbezug von PETA komme es zu Zweifeln an der Neutralität, vermischen sie ihren Auftrag mit dem der verbandsklageberechtigten Organisationen. Die Mitwirkungsrechte ändern nichts am materiellen Tierschutzrecht, sie stellen nur eine erste Möglichkeit dar, Vollzugsdefizite zu verringern und die Einhaltung eines Mindeststandards zu gewährleisten. Dass die Bezirksämter dies boykottieren, zeigt deutlich, wie unwichtig ihnen die Schutzobjekte dieser neuen Normen – die Tiere – wirklich sind.
Der Widerwille zur Überprüfung behördlicher Akte mit Tierschutzbezug existiert nicht nur in Berlin. Ein weiteres Beispiel ist die ebenfalls politisch angetriebene fehlende Anerkennung der Verbandsklageberechtigung von PETA in Baden-Württemberg,[5]Das baden-württembergische Landesgesetz findet sich unter https://mlr.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/mmlr/intern/dateien/PDFs/Tierschutz_und_Tiergesundheit/TierSchMVG.pdf; abgerufen am … Weiterlesen zuletzt abgelehnt durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg.[6]Az.: VGH 1 S 702/18; , ZUR 2020, S. 424 ff. Gegen dieses Urteil ist eine Landesverfassungsbeschwerde beim Landesverfassungsgericht Baden-Württemberg anhängig, denn auch in diesem Fall zeigt die Historie – von der Gesetzesentstehung bis hin zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs – wie die Agrarlobby und Vertreter:innen bestimmter Parteien Druck ausüben und eine rechtliche Situation schaffen können, die nicht nur zur verfassungswidrigen Gesetzesauslegung des Vereinsrechts nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch durch das Gericht, sondern auch zu der absurden Situation führt, dass PETA in Baden-Württemberg gleichheitswidrig anders als andere dort tätige Organisationen keine Verbandsklageberechtigung erhält. Auch im Fall einer positiven Entscheidung hätte diese im Übrigen keine Präjudizwirkung, da es um die Anwendung landesgesetzlicher Vorschriften ging. Im Gerichtsverfahren versuchten die Bezirksämter dennoch, diese Entscheidung als weitere Grundlage für ihre Boykotthaltung heranzuziehen. Auch diesem Ansatz erteilte das Verwaltungsgericht Berlin eine klare Absage.
IV. Die Instrumentalisierung des Streits über die Presse und bestimmte politische Lager
Ein Teil der Berliner Presse wählte trotzdem die Äußerungen der Bezirksämter statt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin als Grundlage ihrer Berichterstattung. Dies hatte fatale Folgen für die Vollständigkeit und Richtigkeit,[7]Exemplarisch https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/01/verbandsklagerecht-berlin-peta-justizsenator-tierschutz-konflikt.html , abgerufen am 22.02.2022; zuletzt … Weiterlesen was durch die „Abschreibepraxis“ der Presse untereinander offenbar perpetuiert wurde. Es entstand der Effekt, den die Bezirksämter bereits vor dem Verfahren ausriefen – die Diskreditierung von PETA in der Öffentlichkeit und damit die Unterstützung der Selbsterhöhung und Selbstlegitimierung der Bezirksämter.
So konnten beispielsweise die im Verfahren geäußerten Bedenken der Bezirksämter hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin im Ordnungswidrigkeitenrecht vom Verwaltungsgericht Berlin nicht geteilt werden. In der Begründung seines Beschlusses geht das Gericht zwar auf diese Frage ein; es sagt jedoch an keiner Stelle, dass sich „Berliner Recht und Bundesrecht an dieser Stelle nicht so recht vertragen“[8]So behauptet aber vom RBB24 https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/01/verbandsklagerecht-berlin-peta-justizsenator-tierschutz-konflikt.html, abgerufen am 24.02.2022. – und das dürfte es auch gar nicht. Wäre das Verwaltungsgericht Berlin tatsächlich dieser Auffassung gewesen, hätte es diese Vorschrift dem Bundesverfassungsgericht zur Kontrolle vorlegen müssen,[9]Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber, BeckOG GG, 49. Auflage 2021, Art. 100 Rn. 5. da nur dieses die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes feststellen darf. Eine solche Vorlage ist an strenge Voraussetzungen geknüpft und stellt die Ausnahme dar. Sie wurde vom Verwaltungsgericht Berlin in seiner Beschlussbegründung klar abgelehnt.
Ganz im Lichte der tendenziösen Presseberichterstattung gab es aus den Reihen der CDU im Dezember 2021 eine Schriftliche Anfrage bei der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, ob das BlnTSVKG „verfassungswidrig“ sei und wie diese es bewerte, dass das Verwaltungsgericht Berlin „Zweifel“ an der Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin geäußert habe; und ferner, dass die Bezirke sich dieser Auffassung angeschlossen und deshalb PETA die Mitwirkung verwehrt hätten. Zitat: „Der für ihren provokanten und als militant wahrgenommenen Aktionismus bekannten Organisation PETA“ – diese Polemik zieht sich durch den gesamten Fragenkatalog.
Die Senatsverwaltung setzte dem ganz klar entgegen: „Das Gericht hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Berliner Tierschutzverbandsklagegesetzes insgesamt geäußert. Insbesondere hat es die Bedenken der Bezirke an der Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 1 Nr. 2 BlnTSVKG ausdrücklich zurückgewiesen. (…) Der Senat geht davon aus, dass die Bezirke den Beschluss des Gerichts vom 23. Juni 2021 beachten.“ Er führte aus, dass nur die Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin für einen Teilbereich dieses Gesetzes behandelt wurde, nämlich die Beteiligung der verbandsklageberechtigten Organisationen bei tierschutzrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren. Die fehlende Gesetzgebungskompetenz hätte jedoch nicht zur Nichtigkeit des gesamten Regelungskomplexes geführt.
Auch dies geht aber in der laufenden Berichterstattung unter. Damit verfestigt sich der Eindruck, dass die Journalist:innen voneinander abschreiben, ohne aber das Gesetz, das Verfahren oder den Beschluss zu kennen, und dass der Zweck dieser Berichterstattung darin liegt, PETA über Bande anzuspielen, wobei es die vier Berliner Bezirksämter waren, denen ein Rechtsverstoß vorzuwerfen ist.
Im Januar 2022 folgte eine weitere Schriftliche Anfrage[10]https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/SchrAnfr/S19-10511.pdf, abgerufen am 24.02.2022. an den Berliner Senat mit ähnlicher Zielrichtung. Auch hier fragt die CDU, ob der Senat das Gesetz für verfassungsgemäß halte und was es mit der Beschwerde gegen die Gerichtsentscheidung auf sich habe. Weitere Fragen betrafen die Anzahl der verbandsklageberechtigten Organisationen, deren Mitgliederzahlen sowie die Zahl der beantragten Akteneinsichten, die Zahl der Stellungnahmen und zuletzt die Zahl der „kritisierten oder blockierten Abläufe in Forschungseinrichtungen“.
Der Senat antwortete auch auf diese Anfrage souverän und sachlich. Gleichwohl wurden die Antworten auf diese Anfrage als Vorlage für einen erneuten Angriff der Presse auf das Verbandsklagerecht und auf PETA genommen.[11]https://plus.tagesspiegel.de/berlin/umstrittenes-verbandsklagerecht-tierschutzer-finden-offenbar-keine-mangel-in-berlins-laboren-376996.html, abgerufen am 24.02.2022; der komplette Artikel ist nur … Weiterlesen Der Autor eines Artikels im Tagesspiegel scheute sich nicht, aus der Auskunft des Senats, es habe bisher noch keine „Blockade“ von Tierversuchen gegeben, den Schluss zu ziehen, es laufe „offenbar alles korrekt in Berlins Laboren, wie neue Zahlen zeigen“. Dies nicht genug, wird die Behinderung der Arbeit in den Laboren durch das Gesetz kritisiert – und zuletzt die durch das Gesetz verursachten Kosten, all dies mit der deutlichen Intention, das Gesetz selbst für überflüssig zu erklären.
Grob irreführend ist die Aussage, dass Tierschützer:innen keine Mängel in den Berliner Laboren finden. Die Laborbegehung ist im Verbandsklagerecht nicht vorgesehen. Kein:e Tierschützer:in hat dementsprechend je einen Fuß in ein Labor setzen dürfen. Mängel werden dagegen vom Landesamt für Gesundheit und Soziales in schöner Regelmäßigkeit gefunden. Es bleibt unklar, wie die Forschungsarbeit dann durch den Einbezug der verbandsklageberechtigten Organisationen faktisch behindert werden kann. Ein Gesetz für überflüssig, zu teuer und arbeitsblockierend zu erklären, dessen Anwendung von vornherein im Keim erstickt werden soll, ist irrational und defensiv. Jeder positive Ansatz der Gesetzesanwendung sowie die Gesamtdiskussion werden mit einem zähen Anstrich versehen.
V. Stellungnahme
Das BlnTSVKG soll Tieren, die einer Nutzung durch den Menschen unterstehen oder zugeführt werden sollen, eine rechtlich wirksame Stimme geben. Entgegen einer leider noch weit verbreiteten Auffassung ist es nicht mehr zeitgemäß, den Tierschutz lediglich als Derivat der Rechte der Menschen zu sehen. Die Rechte der Tiere sind nicht nur zu beachten, solange und soweit man sich in dem Spannungsfeld zwischen gesetzlich geregeltem „Tierschutz“ und (angeblich) grundrechtlich geschützter Tiernutzung bewegt, sondern auch, wenn ein „Mehr“ an Tierschutz von denjenigen gefordert wird, die sich in dieses Spannungsfeld begeben und dort gemeinnützige Arbeit leisten. Art. 20 a GG und das TierSchG gewähren dem Tier einen ethisch begründeten individuellen und unmittelbaren Schutz gegen Quälerei. Gradmesser für das „ob“ und „wie“ von Tierschutz sind daher nicht menschliche Interessen oder menschliches Empfinden.[12]Hirt/Maisack/Moritz, Kommentar zum Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2016, § 1 Rn. 2.
Was hierzu in den Gesetzen und juristischen Kommentaren steht, ist im Anspruch weit von der Realität entfernt;[13]Künast, in: Bülte/Felde/Maisack, Reform des Tierschutzrechts, 1. Auflage 2022, Vorwort S. 5. findet aber eine vorsichtige Fortsetzung in den Landesgesetzen zur Tierschutzverbandsklage. Die Veränderungsprozesse in der Gesellschaft zeigen, dass auch das Recht nicht statisch, sondern zeitgemäß und organisch sein muss. Auf juristischer Ebene kann das Instrument der Tierschutzverbandsklage als das momentan aussichtsreichste Instrument angesehen werden, um einen Bewusstseinswandel hinsichtlich des Umgangs der Menschen mit den Tieren in Gang zu setzen.[14]Schneider, Das Tierschutzverbandsklagerecht im Land Berlin, NuR 2021, S. 505 ff. (S. 513). Diese Gesetzesinstrumentarien noch vor ihrer Etablierung in Frage zu stellen, führt schlimmstenfalls dazu, dass der Status quo erhalten und damit die Kluft zwischen den bereits vor 20 Jahren verfassungsrechtlich vorgegebenen Zielsetzungen und der tatsächlichen Vollzugspraxis bestehen bleibt.[15]Augsberg, in: Bülte/Felde/Maisack, Reform des Tierschutzrechts, 1. Auflage 2022, Vorwort S. 10.
Es ist eine Binsenweisheit, dass niemand Tiere quälen darf. Diese nutzt aber keinem Tier, wenn aus Rücksicht auf Eitelkeiten von Amtstierärzt:innen oder politische Motivationen aus konservativen Lagern in der Praxis nicht einmal dieser erste Ansatz zur tatsächlichen Durchsetzung der Rechte der Tiere einsatzfähig bleibt.
ist seit Dezember 2021 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin mit den Schwerpunkten Tier(schutz)recht, Tierethik und Verfassungsrecht.
Quellen