Am 18. Januar 2022 fand in Berlin der 6. Agrarkongress des Bundesumweltministeriums statt. Die von Dr. Tanja Busse und Dr. Jens Weigelt moderierte Veranstaltung stand unter der Überschrift „Umwelt und Landwirtschaft im Aufbruch – Die Zukunft jetzt auf den Weg bringen!“ Diesem Leitspruch folgend wurden zentrale agrar- und umweltpolitische Themen diskutiert, wobei der Schutz der Biodiversität, faire Preise, Ernährungsstrategien sowie Fragen der Nachhaltigkeit und des Tierwohls im Mittelpunkt standen.
Neben Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (beide Bündnis 90/Die Grünen) beteiligten sich zahlreiche weitere Gäste aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft und der landwirtschaftlichen Praxis an der Diskussion über eine Neuausrichtung der Agrarpolitik bzw. über das, was die Teilnehmer:innen darunter verstanden. Interessierte Bürger:innen konnten via Livestream den Kongress verfolgen und sich mit Fragen an die Teilnehmer:innen einbringen.
Die Einbeziehung der Zuschauer:innen hatte jedoch nicht zur Folge, dass ein zentraler Eckpfeiler unseres landwirtschaftlichen Systems, die Nutzung und Tötung von Tieren zum Zwecke der Nahrungsmittelproduktion, auf den Prüfstand gestellt wurde. Bereits existierende und vielversprechende Alternativen zur Herstellung tierischer Proteine diskutierten die Teilnehmer:innen nicht einmal ansatzweise. Anstatt das „Ob“ der Tierhaltung kritisch zu hinterfragen, wurde lediglich das „Wie“ thematisiert.
Stärkere Zusammenarbeit der Ministerien
Den Auftakt der Veranstaltung bildete eine Gesprächsrunde mit der Bundesumweltministerin und dem Bundeslandwirtschaftsminister sowie dem Kommissar für Umwelt und Ozeane der Europäischen Kommission, Virginijus Sinkevicius. Die Leiter:innen der Ministerien betonten gleich zu Beginn die Freundschaft beider Häuser und machten deutlich, dass man künftig auf eine stärkere Zusammenarbeit setzen wolle. Die bei vergangenen Agrarkongressen wahrzunehmenden Spannungen zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerium wolle man dagegen hinter sich lassen und die bevorstehenden Aufgaben als Team angehen. Die „Hausfreundschaft“ machte sich auch im Verlauf der Diskussion bemerkbar, welche insgesamt von großer Harmonie geprägt war. Man war sich darüber einig, dass es einen Wandel in der Agrar- und Ernährungswirtschaft braucht und den bestehenden Wünschen der Verbraucher:innen Rechnung tragen muss. Hierzu gehöre insbesondere auch eine Stärkung des Tierwohls. So verwies der Landwirtschaftsminister etwa darauf, dass die Zahl der Tiere im Einklang mit der zur Verfügung stehenden Fläche stehen muss.
„Künftig müsse man die Ställe für die Tiere bauen, anstatt zu versuchen, die Tiere an die Ställe anzupassen“,
so Cem Özdemir weiter. Den Landwirt:innen sicherte er Unterstützung beim Umbau der Nutztierhaltung[1]PETA Deutschland e.V. vermeidet den Begriff „Nutztier“ grundsätzlich, da dieser zu Unrecht suggeriert, dass es Tiere gibt, welche dazu bestimmt sind, vom Menschen genutzt zu werden: Vorliegend … Weiterlesen zu und kritisierte am Beispiel Schweinefleisch, dass die „Hersteller“ zu wenig an ihren Erzeugnissen verdienen würden. Gleichzeitig macht er deutlich, dass der Konsum hochwertiger und bezahlbarer Lebensmittel auch weiterhin für alle möglich sein solle. Wie die Forderungen nach mehr Tierwohl, fairen Preisen für die Landwirt:innen und bezahlbaren Lebensmitteln für alle unter einen Hut zu bringen sind, blieb dabei offen.
Die Bundesumweltministerin zeigte als weitere Schritte hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft den Ausstieg aus dem System der Flächenprämien sowie eine umweltverträglichere Gestaltung des Einsatzes von Pestiziden auf. So nehme man etwa das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt.
Der EU-Kommissar Sinkevicius mahnte die Einhaltung der planetaren Grenzen an und rief zum Schutz der Wälder auf, welche er als die besten Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel bezeichnete.
Künftig mehr „Tierwohl“
Während sich die Vertreter:innen aus der Politik im Wesentlichen auf die Formulierung allgemeiner Ziele beschränkten, wurde es in der anschließenden Diskussion mit dem Vorsitzenden der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), Prof. Peter Strohschneider, und dem Vorsitzenden des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung (sogenannte Borchert Kommission), Jochen Borchert, etwas konkreter.
Borchert brachte seine Überzeugung zum Ausdruck, dass eine Transformation der Nutztierhaltung nicht allein über den Markt zu erreichen sei, sondern es für mehr Tierwohl einer öffentlichen Förderung bedarf. Die höheren Produktionskosten, die den Landwirt:innen für das von ihnen bereitgestellte öffentliche Gut „Tierwohl“ entstehen, müsse man mit öffentlichen Mitteln auffangen. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass eine Verteuerung der Produktion im Inland den Import aus anderen Ländern anrege und die Nutztierhaltung schließlich in Länder mit weniger Tierwohl abwandere. Zur Finanzierung der Umstellung der Nutztierhaltung zog Borchert eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für tierische Produkte auf 19 Prozent oder die Einführung einer Tierwohlabgabe in Betracht.
Nach Einschätzung von Prof. Strohschneider ist ein Rückgang der Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln zu erwarten. Ein Ausstieg aus der Tierhaltung sei jedoch nicht beabsichtigt, da eine Rückführung der Tierhaltung in Deutschland auf null lediglich zu einer Externalisierung – also einer Verlagerung der Tierhaltung ins Ausland – führe, was für den Globus ein „Nullsummenspiel“ darstellen würde. Der Rückgang der Nachfrage nach tierischen Produkten werde zu einem Rückgang der Bestände führen, was wiederum den Landwirt:innen zugutekommen wird. Der Vorsitzende der ZKL führte weiter aus, dass der Transformationsprozess in der Landwirtschaft mit einem Transformationsprozess in der Ernährungsindustrie einhergehen müsse. Die Gesellschaft müsse darauf vorbereitet werden, dass Lebensmittelproduktion und Ernährung „kognitiv anspruchsvoller werden“. Hierbei sei Bildung ein wichtiger Baustein.
Bürgerräte, weniger Fleisch, faire Preise
Im weiteren Verlauf des Kongresses folgten Gesprächsrunden mit Politiker:innen aus dem In- und Ausland, (Agrar-)Wissenschaftler:innen, Landwirt:innen sowie Vertreter:innen verschiedener Organisationen wie etwa dem NABU, dem Bauernverband und der Verbraucherzentrale. Dass es eine Landwirtschaft braucht, die die Grenzen des Ökosystems einhält, dem Tierwohl gerecht wird und den Landwirt:innen ihre Existenz garantiert, stellte dabei nicht nur der Präsident des Umweltbundesamtes Messner fest. Insoweit bestand ein Konsens unter den Kongressteilnehmer: innen. Als Beitrag zur Erreichung dieser Ziele schlug die Autorin und Filmemacherin Gundula Oertel (Netzwerk der Ernährungsräte) die Etablierung von Bürger:innenräten vor. Diese sollen aus zufällig ausgewählten Personen aus der Bevölkerung bestehen und bestimmte Probleme wie etwa Ernährung und Landwirtschaft diskutieren.
Die Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, Prof. Dr. Britta Renner, ordnete den erforderlichen Wandel als gesamtgesellschaftliche Aufgabe ein, welche Wahlfreiheit durch verlässliche Informationen, Preisanreize und Werbebeschränkungen nötig mache. Sie wies zudem darauf hin, dass der Fleischkonsum in Deutschland derzeit doppelt so hoch sei wie empfohlen. Ganz in diesem Sinne forderte Noura Hammouda als „Jugendvertreterin“, den Fleischkonsum zu halbieren, besser zu dritteln.
Um Landwirt:innen ein faires Einkommen zu ermöglichen, sprach sich neben dem Agrarökonom Prof. Harald Grethe und dem Präsidenten des NABU Deutschland, Jörg Andreas Krüger, auch die Redakteurin und Reporterin Christiane Grefe („Die Zeit“) dafür aus, eine Vergütung für die von diesen erbrachten Gemeinwohlleistungen zu zahlen.
Fazit
Der 6. Agrarkongress des Bundesumweltministeriums zeichnete sich in erster Linie durch ein harmonisches Miteinander der geladenen Gäste aus. Hitzige Debatten und heftige Wortgefechte suchte man hier vergebens. Die von dem Bundeslandwirtschaftsminister und der Bundesumweltministerin gleich zu Beginn des Kongresses demonstrierte Einigkeit zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Veranstaltung. Dass es eine Neuausrichtung der Agrarpolitik braucht und dass die Landwirtschaft der Zukunft vieles hinter sich lassen muss, was sie in der Vergangenheit geprägt hat, wurde von keinem der Teilnehmer:innen in Zweifel gezogen. Einig waren sich die Diskutant:innen auch in der Forderung nach fairen Preisen, mehr Tierwohl und mehr Nachhaltigkeit. Ob und inwieweit diese ebenso populären wie altbekannten Forderungen Realität werden, bleibt abzuwarten. Gerade im Hinblick auf den Schutz der Tiere hat die Vergangenheit gezeigt, dass vielen Worten nur wenige bis keine Taten folgen.
Doch selbst wenn die postulierten Veränderungen umgesetzt werden sollten, genügen diese nicht. Es war wohl der Auswahl der Teilnehmer:innen geschuldet, dass der 6. Agrarkongress arm an langfristigen Perspektiven und großen Ideen war.
Das, was unser landwirtschaftliches System bis heute prägt, die Ausbeutung unserer Mitgeschöpfe, wurde von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Die Fantasie der Redner:innen reichte offensichtlich nicht aus, um sich eine Landwirtschaft vorstellen zu können, welche frei von Tiermissbrauch und Tiertötung ist. Aus ethischer Sicht ist es erschütternd, dass man offenbar keine Notwendigkeit sieht, dass milliardenfache Töten hochentwickelter Lebewesen mittel- bis langfristig zu beenden. Zumal diese Form der Fleisch-, Milch- und Eierproduktion im Jahr 2022 mehr als nur überflüssig geworden ist. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Kongressveranstalter:innen die Entwicklung auf dem Lebensmittelmarkt stärker zur Kenntnis genommen hätten. Das zunehmende Angebot veganer Alternativen zu tierischen Proteinen hätte die Teilnehmenden dazu ermutigen sollen, den Blick in eine pflanzlich basierte Ernährungszukunft zu werfen. Zumal diese Entwicklung täglich voranschreitet.
Dies wäre auch im Hinblick auf den Klimawandel geboten gewesen, da die Tierhaltung als eine der größten Verursacherinnen von Treibhausgasen kein Modell für die Zukunft sein kann. Insbesondere vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung reicht es nicht aus, der sogenannten landwirtschaftlichen Nutztierhaltung lediglich einen grünen Anstrich zu verpassen. Insgesamt kann daher nicht festgestellt werden, dass der Agrarkongress seiner Überschrift „Umwelt und Landwirtschaft im Aufbruch – Die Zukunft jetzt auf den Weg bringen“ gerecht wurde. Zukunft geht anders!
der Tierschutzorganisation PETA Deutschland e.V.
Quellen