Überfüllte Tierheime: Sind Aussetzungen und Tiertötungen die Folge?

Viele Tierheime äußerten in den vergangenen Wochen öffentlich, dass ihre Kapazitätsgrenzen erreicht seien und sie teilweise überhaupt keine Tiere mehr aufnehmen könnten. So haben kürzlich Tierheime in Berlin[1]Schnack, Aufnahmestopp in Berlin Kaum erzogen, kaum sozialisiert – darum landen so viele Coronatiere im Heim, … Weiterlesen, Hamburg,[2]NDR, Hamburger Tierheim Süderstraße verhängt Aufnahmestopp, https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Hamburger-Tierheim-Suederstrasse-verhaengt-Aufnahmestopp,tierheim1052.html [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen Saarbrücken, Nürnberg[3]N-TV, Aufnahmestopp für Neuzugänge Corona-Haustiere füllen Tierheime, … Weiterlesen und zahlreiche weitere einen Aufnahmestopp verkündet. „Wir haben gemahnt, appelliert, aufgefangen und jetzt brechen wir unter der Last der in Not geratenen Tiere zusammen“, hieß es in einem Brandbrief vom 23. Juli 2023 verschiedener Tierheime an die Bundesregierung.[4]Tischkov, Tierheime schreiben Brandbrief an Bundesregierung, https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/brandbrief-tierheime-fordern-hilfe-100.html [zuletzt abgerufen am 15.08.2023]; Koster/ Bauer, … Weiterlesen Pro Jahr werden rund 350.000 Tiere neu in den Tierheimen aufgenommen. Rund 100.000 dieser Tiere werden jährlich nicht vermittelt.[5]ZDF, Mehr als 100.000 Tiere werden jährlich nicht vermittelt, https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/tierheime-ueberfuelleung-corona-pandemie-100.html [zuletzt abgerufen am 24.08.2023]

Gründe für überfüllte Tierheime

Die Gründe für die angespannte Situation sind vielfältig. Obwohl zahlreiche Tiere in überfüllten Tierheimen leben, werden weiterhin Welpen von profitorientierten Menschen gezüchtet und verkauft. Aktuell werden über 45.000 Hunde auf Internetplattformen zum Verkauf angeboten, darunter mindestens 21.000 Welpen. Der illegale Welpenhandel im Internet hat sich in den vergangenen Jahren zu einem ernstzunehmenden tierschutzrechtlichen Problem entwickelt.[6]Drucksache 19/19390, https://dserver.bundestag.de/btd/19/193/1919390.pdf [zuletzt abgerufen am 15.08.2023]. Dass ein Systemkollaps entsteht, wenn immer mehr Tiere gekauft werden, diese nach einiger Zeit in Tierheime abgegeben werden und immer weniger Menschen Tiere aus dem Tierheim adoptieren, ist die logische Folge. Die Leidtragenden dieses Systemversagens sind die Tiere.

In Folge der Corona-Pandemie hat sich das Problem verschlimmert. Viele Personen haben während der Pandemie ein Tier zu sich geholt und dann aus Überforderung, fehlender Fachkunde oder Zeit, aber oft auch aus finanziellen Gründen wiederabgegeben. Gerade in den Sommermonaten werden Tiere häufig einfach abgegeben oder ausgesetzt, weil die Halter:innen in den Urlaub fahren.[7]Thalmann, Schämt euch! Hunderte Hunde ausgesetzt – weil Ferien sind, https://www.berliner-kurier.de/kolumnen/schaemt-euch-hunderte-hunde-ausgesetzt-weil-ferien-sind-li.377184 [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen Allein im Sommer 2023 wurden in Hamburg 190 Tiere ausgesetzt.[8]Berner, Hamburger Abendblatt, Tierheim Hamburg: HTV „erschüttert!“ – So viele Tiere wurden in Ferien ausgesetzt – Hamburger Abendblatt, … Weiterlesen Insbesondere Tierbabys überleben das Aussetzen oft nicht.[9]Godau, Volkmer, BILD.de, Einer überlebte, der andere starb, Unbekannter setzt Hunde-Babys aus, … Weiterlesen

Aussetzungsverbot

Das Aussetzen von Tieren wie zum Beispiel das Anbinden im Park oder das Verjagen durch die Haltenden oder die Personen, die das Tier in ihrer Obhut haben, ist verboten (§ 3 S. 1 Nr. 3 TierSchG). Wer diesem Verbot zuwiderhandelt, begeht eine Ordnungswidrigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 4 TierSchG, die mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 25.000 Euro geahndet werden kann. Je mehr die Art der Aussetzung das Leben, die körperliche oder seelische Unversehrtheit des Tieres verletzt oder gefährdet, desto höher fällt das Bußgeld aus.[10]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, 4. Auflage 2023, § 18 Rn. 14. Das Verbot des § 3 S. 1 Nr. 3 TierSchG erfordert nicht, dass es zu einer konkreten Gefährdung des Tieres an Leben, Unversehrtheit oder Wohlbefinden kommt. Jede Aussetzung soll verhindert werden, weil sie immer mit einer Gefährdung des Tieres verbunden ist.

Das Aussetzen von Tieren kann darüber hinaus den Tatbestand der Tierquälerei nach § 17 TierSchG erfüllen, wenn die Tiere sterben, Schmerzen haben oder leiden, beispielsweise weil sie nicht genug Wasser oder Nahrung bekommen. In diesem Fall kann das Aussetzen mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden.

Trotz des Verbots werden jährlich tausende Hunde, Katzen und andere Tiere,[11]Thalmann, Schämt euch! Hunderte Hunde ausgesetzt – weil Ferien sind, https://www.berliner-kurier.de/kolumnen/schaemt-euch-hunderte-hunde-ausgesetzt-weil-ferien-sind-li.377184 [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen einfach ausgesetzt. Es ist davon auszugehen, dass diese Zahl rapide steigt, wenn die Tiere nicht mehr ins Tierheim gebracht werden können.

Was passiert mit den Tieren, wenn im Tierheim kein Platz ist?

Werden Tiere gefunden oder durch die Veterinäraufsicht sichergestellt, werden sie normalerweise im Tierheim untergebracht. Doch durch die Überfüllungen in den Tierheimen stehen die Veterinärämter vor dem Dilemma, wie mit diesen Tieren umzugehen ist. Erst kürzlich drohte ein Veterinäramt in Hessen bei einem Animal-Hoarding-Fall, 40 Katzen, die aus einer Wohnung in Groß-Gerau gerettet wurden, einzuschläfern.

Auch private Tierhalter:innen schrecken offenbar vor der Tötung ihrer tierischen Begleiter nicht zurück. „Verzweifelte Hundehalter lassen ihre Hunde durch Tierärzte töten, töten sie selbst oder versuchen, sie unter Angabe falscher Tatsachen im Tierheim abzugeben oder im Internet zu verkaufen“, heißt es in dem Brandbrief der Tierheime vom 23. Juli 2023. Dass dies grausame Realität ist, zeigt beispielsweise ein Fall aus Gießen. Dort versuchte ein Mann laut Medienberichten, vier Katzenbabys zu ertränken. Da Passant:innen eingriffen, konnten drei geschwächte Katzenbabys überleben. Ein Kitten schaffte es nicht.[12]Merkur, Katzenbaby in Regentonne ertränkt – Drei weitere entkräftet und „total verstört“, … Weiterlesen Dabei sind die Fälle, die publik werden, nur die Spitze des Eisbergs; die Dunkelziffer dürfte äußerst hoch liegen. Was hinter verschlossenen Haustüren mit Tieren jeder Art geschieht, lässt sich nur erahnen.

Verbot der Tiertötung nach § 17 Nr. 1 TierSchG

Die Tötung eines Tieres ist eine Straftat, wenn kein „vernünftiger Grund“ vorliegt. Ein Grund zum Töten von Tieren ist nach der Gesetzesbegründung dann „vernünftig“, wenn er als triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen anzuerkennen ist und wenn er unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit.[13]BT-Drs. 16/9742, S. 4.

Für die Tötung von gesunden Tieren, die von Menschen als Gefährten gehalten werden, gibt es für die Halter:innen keinen „vernünftigen“ Grund.[14]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, 4. Auflage 2023, § 17 Rn. 75. Ein Zuwiderhandeln ist strafbar und kann mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren sanktioniert werden. Ein „vernünftiger“ Grund kann nur bejaht werden, wenn das Tier an einer schweren Krankheit oder Verletzung leidet und keine Hilfe möglich ist, die die Leiden beheben oder wenigstens auf den Grad „gering“ reduzieren kann, so dass dem Tier ein Weiterleben nur noch unter erheblichen Schmerzen oder Leiden möglich wäre.

Platzmangel im Tierheim – ein „vernünftiger“ Tötungsgrund im Sinne von § 17 Nr. 1 TierSchG?

Ob das vorstehende Verbot auch bei Tieren im Tierheim gilt, ist in der juristischen Literatur umstritten, da einige Autor:innen die „Bestandsminderung“ für einen „vernünftigen“ Grund im Sinne von § 17 Nr. 1 TierSchG halten.

Der maßgeblichen Kommentierung des Tierschutzgesetzes von Hirt/Maisack/Moritz/Felde zufolge darf eine Tötung von Tieren in Tierheimen jedenfalls nicht schon dann erfolgen, wenn das Tierheim überbelegt ist.[15]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, 4. Auflage 2023, § 17 Rn. 75. Eine nach hiesiger Ansicht mit Art. 20a GG nicht zu vereinbarende Ansicht von Lorz/Metzger hingegen hält eine Tötung von Tieren zur Bestandsverminderung, wenn sie sonst nicht artgerecht untergebracht werden können, für gesellschaftlich anerkannt. Bezogen auf Tierheime dürfe eine solche Tötung nach Lorz/Metzger jedoch nicht erfolgen, um Aufnahmekapazitäten zu erhöhen[16]Metzer, in: Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz, 7. Auflage 2019 § 17 TierSchG Rn. 23; Anh. Zu § 1 Rn. 10, 74. – sodass die Tötung auch nach dieser Ansicht nur als letztes Mittel in Betracht kommt.

Eine weitere Regelung für die Tötung als letztes Mittel ergibt sich aus § 16a S. 2 Nr. 2 TierSchG zu fortgenommenen Tieren, die nicht veräußert werden können:

Wenn trotz nachweisbarer geeigneter Vermittlungsversuche (zum Beispiel Medienhinweise) ein durch die Veterinärbehörde fortgenommenes Tier nicht verkauft, verschenkt oder abgegeben werden kann, sieht § 16a S. 2 Nr. 2 TierSchG in Verbindung mit Nr. 15.1, 15.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes vor, dass die zuständige Behörde unter Beteiligung des beamteten Tierarztes die Tötung eines Tieres als letzte in Betracht kommende Maßnahme veranlassen kann. In die Vermittlungsversuche sollen aber andere Fachbehörden und Tierschutzorganisationen einbezogen werden. Die Tötung muss erforderlich und verhältnismäßig sein und die Verfahrensvorschriften müssen gewahrt werden. Eine Tötung scheidet demnach aber aus, wenn eine verhaltensgerechte Unterbringung durch die Behörde oder durch Dritte möglich wäre und lediglich an dem dafür notwendigen Aufwand an Arbeit, Zeit und/oder Kosten scheitert.[17]VG Ansbach Urt. v. 15.3.2007, AN 16 K 06.03325, juris-Rn. 57; AG Landau 1 C 466/86.

Die vorstehende Diskussion zeigt, welche Ausmaße die Situation angenommen haben muss, wenn Tiertötungen in Tierheimen als Ultima Ratio überhaupt in Betracht gezogen werden. Es stellt sich die Frage, wie eine Lösung für das Problem gefunden werden kann, damit es nicht auf dem Rücken von Tierheimen, die doch das Ziel haben, Tieren zu helfen, ausgetragen wird – und die Tiere es mit dem Wichtigsten bezahlen müssen, was sie haben: ihrem Leben.

Möglichkeiten bei Betreuungsunfähigkeit

Wenn Sie beispielsweise in einer Notsituation sind und sich nicht um Ihr Tier kümmern können, suchen Sie verantwortungsvolle Menschen, die die Betreuung übernehmen. Bestenfalls kennen die Tiere die Betreuer:innen schon oder können in ihrem gewohnten Umfeld verbleiben. Sollte das nicht möglich sein, gibt es Ehrenamtliche, Pflegestellen oder Tierpensionen, die helfen können. Umliegende Tierheime haben notfalls möglicherweise noch Kapazitäten.

Was muss sich verändern?

Zunächst sollten Tierheime aufgrund der anhaltend prekären Lage finanziell besser durch den Staat unterstützt werden, damit hilfsbedürftige Tiere ausreichend ernährt und versorgt werden können. Tierschutz ist ein Staatsziel, das in Art. 20a GG mit Verfassungsrang ausgestattet ist.

Wenn Sie Menschen kennen, die langfristig ein Tier aufnehmen möchten, teilen Sie diesen die Probleme mit, die durch die Zucht entstehen, und klären sie auf, wie Tiere und überfüllte Tierheime unter den Folgen leiden. Schlagen Sie ihnen vor, lieber ein Tier aus dem Tierheim zu adoptieren.

Ein Sachkundenachweis wie ein Hundeführerschein könnte Spontankäufe verhindern und die Bindung zwischen Tier und Halter:in so verstärken, dass kritische Situationen besser bewältigt werden können. PETA fordert von der Politik seit langer Zeit die Einführung von Hundeführerscheinen.

Um die Ursache des Problems wirksam zu beheben, sollte ein Nachzuchtverbot für kommerzielle Züchterinnen und Züchter erfolgen. Nur so kann verhindert werden, dass eine riesige Zahl von Tieren nachgezüchtet wird und ihre Artgenossen gleichzeitig ein hoffnungsloses Leben in überfüllten Tierheimen fristen; denn jeder Kauf eines Tieres bei Züchter:innen besiegelt das Schicksal eines anderen Tieres – bestenfalls im Tierheim, schlimmstenfalls als Wegwerfobjekt.

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Ist seit März 2023 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin und befasst sich schwerpunktmäßig mit tierschutzrechtlichen Themen.

Quellen[+]